Neues, Altes und Aktuelles

Das Bonner Theater verspricht viel für die Spielzeit 2022/23. Aber was genau erwartet uns eigentlich? Wir haben einen genaueren Blick auf das geworfen, was bis jetzt für das Bonner Schauspiel angekündigt ist.

„Eine Entdeckungsreise“ soll die neue Spielzeit werden. Erstmal geht es aber mit etwas Traditionellem los: Das Theaterfest am 21. August im und vor dem Opernhaus. Ab September stehen uns dann 14 Premieren und 7 Uraufführungen bevor. Zur besseren Übersicht haben wir die Premieren mit K für Klassiker, J für Jugend und M für Modern gekennzeichnet.

9. September: Medea 38/Stimmen (Doğan Akhanlı) (K)

Medea ist ursprünglich ein griechischer Mythos. Euripides schuf daraus 431 v. Chr. eine Tragödie: Medea begleitet ihren Geliebte Jason bei der Jagd nach einem goldenen Vlies. In der darauffolgenden Ehe betrügt Jason sie aber, was zu einer blutigen Racheaktion führt, bei der Medea  ihre eigenen Söhne tötet (für eine ausführlichere Zusammenfassung). Das von Doğan Akhanlı geschriebene Stück arbeitet aber mit einer neueren Version, nämlich mit dem Roman „Medea:Stimmen“ von Christa Wolf. Darin ist Medea nicht aus Liebe mit Jason unterwegs, sondern weil sie vor einem maroden Regierungssystem flieht. Sie findet aber auch in ihrem neuen Zuhause keine Ruhe: Dort will sie ein Regierungsgeheimnis aufdecken und wird deshalb dann verfolgt. Diese Situation nimmt Akhanlı – übrigens selbst politisch Geflüchteter und Experte für Genozide – und baut sie weiter: Medeas Geschichte wird zu einer Erinnerung, die mit drei Frauen aus der türkischen Stadt Dersim im Jahr 1938 verbunden wird. Sie alle müssen damit leben, dass ihre Identität unterdrückt wird und um sie herum patriarchale Willkür herrscht. Akhanlıs Text wird umgesetzt von Nuran David Calis. Calis kommt aus Bielefeld und arbeitet als Regisseur, Theater- und Drehbuchautor u.a. bisher in Köln, Berlin und Stuttgart.

10. September: Wildfire Road (Eve Leigh/Henning Bochert) (M)

Wildfire Road ist die erste Produktion der Regisseurin Verena Regensburger in Bonn. Sie hat an den Münchener Kammerspielen studiert und wurde bereits zu nationalen und internationalen Festivals eingeladen. Nach Bonn kommt sie mit einem Text von Eve Leigh, übersetzt ins Deutsche von Henning Bochert: „Wildfire Road“ (Flächenbrand). „Wildfire Road“ beginnt mit einer Flugzeugentführung – doch die Entführerin will den Flieger, der eigentlich nach Tokio fliegen sollte, einfach nur in Sibirien landen. Wie umgehen mit dieser friedlichen Entführung? Das müssen die Passagiere und das Bordpersonal erst einmal selbst herausfinden. Ein Protokoll oder Anweisungen gibt es für diesen Fall nicht. Das Blatt wendet sich, alsdie Entführerin berichtet, dass sich über ganz Europa Lauffeuer ausbreiten. Sibirien wird zum sicheren Hafen und  zum gemeinsamen Ziel.

30.09.: Peer Gynt von Henrik Ibsen (K)

Peer Gynt ist eigentlich ein Gedicht – Henrik Ibsen schrieb das Gedicht auf der Vorlage norwegischer Feenmärchen. Ibsen hatte nicht vorgesehen, sein Gedicht für die Bühne tauglich zu machen. Ein paar Jahre nachdem er es geschrieben hatte, änderte Ibsen aber wohl seine Meinung: Er erarbeitete eine Bühnenfassung . Heute gehört z. B. Auch die Oper Peer Gynt, komponiert von Werner Egk, zu einer der bekanntesten.

Die – eher als Antiheld konzipierte – Person des Gedichtes und der Bühnenfassung ist Peer Gynt. Er blickt auf sein eigenes Leben. Dabei versucht er jedoch, immer wieder mit Lügen seiner Realität zu entfliehen. Stück wird Stück fliegt jede Lüge auf und damit immer auch ein Stück der konstruierten Identität von Peer Gynt.

Inszeniert wird Peer Gynt von Simon Solberg, der seit der Spielzeit 2018/19 Bonner Hausregisseur ist. Zu seinen letzten Inszenierungen in Bonn gehörten Linie 16, Unsere Welt neu denken und The Broken Circle.

27.10.: Zerbombt von Sara Kane (ins Deutsche übersetzt von Nils Tabert) (M)

Zerbombt ist ein Stück mit brutaler Aktualität, aber gleichzeitig nichts für schwache Nerven. 1995 wurde Zerbombt bzw. Blasted am Royal Court Theatre in London uraufgeführt und löste einen Skandal aus. Das Stück von Sara Kane findet während eines Bürgerkriegs statt. Die beiden Protagonisten, der Journalist Ian und seine (ehemalige) Geliebte, leben in einem Hotelzimmer in einer toxischen Beziehung. Im Verlaufe des Stückes vergewaltigt er sie, dann dringt ein Soldat in das Zimmer ein und misshandelt und foltert Ian. Zerbombt bringt die Grausamkeiten des Krieges eins zu eins auf die Bühne und zwingt die Zuschauenden den Albtraum immer weiter zu beobachten.

Sara Kane schrieb das Stück vor dem Hintergrund des Balkankrieges. Mit Blick auf russische Kriegsverbrechen in ukrainischen Städten wie Butscha erlangt es traurige Aktualität. In Bonn wird Zerbombt inszeniert von Charlotte Sprenger. Es ist ihre dritte Produktion am Theater Bonn nach Minna von Barnhelm und Prinzessinnendramen.

28.10. Recht auf Jugend von Arnolt Bronnen und Lothar Kittstein (M)

Recht auf Jugend  vereint zwei Stücke und zwei Jahrhunderte in einem. Arnolt Bronnen schrieb im 20. Jahrhundert als 17-Jähriger sein Stück Recht auf Jugend.

Er erzählt von Hans Harder der sich gegen die autoritäre Elterngeneration stellt und dabei auch an Aufstände und Gewalt denkt. Dann nimmt ihn einer seiner Gefolgsleute beim Wort.

Lothar Kittstein verlegt Recht auf Jugend jetzt ins 21. Jahrhundert und bringt junge Aktivist:innen mit ein – reicht der friedliche Protest von Fridays for Future aus, um die Menschheit zu retten? Inszeniert wird das Ganze von Volker Lösch, der immer wieder auch Vertreter:innen sozialer Gruppen auf die Bühne holt, wie z.B. bei Bonnopoly oder Nathan. Man kann also gespannt sein, wie und vor allem mit wem Lösch Recht auf Jugend in Bonn umsetzen wird.

25.11.: Der Sturm nach William Shakespeare und A. W. Schlegel (K)

Im November gibt es dann wieder einen Klassiker: Der Sturm nach William Shakespeare – in einer Bearbeitung von Jens Groß. In Der Sturm strandet Prospero auf einer Insel und bringt dessen Bewohner anhand seiner magischen Kräfte dazu ihm zu dienen. Dann kommt ein Sturm und bringt Antonio, den Herzog von Mailand, Alonso, den König von Neapel, seinen Sohn Ferdinand und dessen Gefolgsleute auf die Insel. Ausgelöst hatte den Sturm Prospero. Die Männer kennen sich von früher, denn Antonio hatte Prospero vom Thron vertrieben (zum Inhalt) Es folgen Verwirrung, Liebe, Rache und Vergebung. Das Ganze als Familienstück umgesetzt – anscheinend ähnlich geplant wie Sommernachtstraum. Regie führt Jan Neumann, der in Bonn bereits Unterleuten, Der Menschenfeind und Kleiner Mann – Was nun? auf die Bühne gebracht hat. Zuletzt wurde der Sturm 2017 von Gavin Quinn inszeniert.

15. Dezember: Löwenherzen von Nino Haratischwili (J)

Löwenherzen ist eine Premiere für die jüngeren Theaterbesucher (ab 10 Jahren) aber nicht weniger aktuell. Löwenherzen beginnt mit dem achtjährigen Anand. Er arbeitet in einer Fabrik in Bangladesch und näht Spielzeuglöwen. Aber: Er hat einen Traum: Anand möchte Magier werden.

Dafür muss er zur Schule gehen und deshalb braucht er einen Plan. Er schreibt eine Nachricht an „Gott in Europa“ und näht sie in einen Löwen ein. Dieser Löwe geht dann auf eine Reise und begegnet den verschiedensten Menschen.

Auch wenn Löwenherzen für Kinder geschrieben ist, erinnert das Stück an aktuelle politische Themen, die auch die eigene Verantwortung als Konsument in den Fokus rücken: Immer wieder gibt es Geschichten über angebliche Hilferufe in Billig-Kleidung. Und auch ohne Hilferufe ist klar, dass die sogenannte Fast Fashion auch zu Lasten derjenigen geht, die sie herstellen… Löwenherzen ist das Debütstück der Regisseurin Hanna Müller in Bonn. Geschrieben ist es von Nino Haratischwili, einer georgisch-deutschen Dramatikerin, die zuletzt sehr gute Kritiken für ihren Roman „Die Katze und der General“ erhielt. Vor kurzem veröffentlichte sie mit „Mangelndes Licht“ einen neuen Roman.

20. Januar: Der Haken von Lutz Hübner und Sarah Nemitz (M)

Lutz Hübner und Sarah Nemitz sind keine unbekannten in Bonn: Sie schrieben bereits Frau Müller muss weg. Der Haken ist jetzt ein eigens für Bonn geschriebenes Stück, das auch wiederum von keinem unbekannten umgesetzt wird: Roland Riebling führt Regie; er inszenierte in Bonn bereits Shakespeares sämtliche Werke (Leicht gekürzt) und Istanbul.

Worum geht es? Eine Gruppe verschiedenster Menschen trifft sich in einer deutschen Großstadt zu einer Wohnungsbesichtigung. Doch der angebliche Makler ist komisch – es muss einen Haken geben. Oder vielleicht auch nicht, denn der Makler ist wohl der Neffe des Eigentümer und weiß vielleicht gar nicht, wie wertvoll die Wohnung ist. Je länger die Besichtigung dauert, desto klarer wird, dass auch Vertragsabschluss es eine Herausforderung geben wird, die mit ein Stockwerk höher wohnenden Eigentümer zusammenhängt….

3. Februar: Mnemon von Simon Solberg und Ensemble (M)

Mnemon lässt sich – ganz ehrlich – schwer im Voraus zusammenfassen. Deshalb hier die zwei wichtigsten Teile:

Der Namen Mnemon spielt auf eine antike griechische Tradition an: Die Mnemones waren die Archivare, die Geschehnisse, Regeln und Mythen aufbewahrten, indem sie diese mündlich weitergaben. Das Wissen wurde, um es zu erhalten, immer wieder weitererzählt – was nach aktuellem Forschungsstand ein gutes Bild für die Funktionsweise von Erinnerungen ist. Das Gedächtnis ist demnach ein Nacherzählen des Erlebten, also immer auch beeinflusst von aktuellen Kontexten. Das allein eröffnet viele Fragen rund um Erinnerungen, Identität und Realität… Die Rahmenhandlung: Mnemon folgt einer Geschichte im Stil eines sogenannten „mindfuck“-Thrillers, erzählt in elliptischer Weise – es werden also Teile der Fantasie des Zuschauenden überlassen. Außerdem sind für das Stück Mnemon wissenschaftliche Versuche, philosophische Theorien und moderne Erkenntnisse der Neurologie angekündigt, die in das Stück einbezogen werden sollen. Man kann zu Recht gespannt sein, was Simon Solberg und sein Ensemble auf die Bühne bringen….

10. Februar: Hotel Godesberg von Rainald Grebe und Ensemble (M)

Für Hotel Godesberg hat Rainald Grebe Archive, Zeitzeugen, Alteingesessene und Zugezogene befragt. Am Ende steht ein Stück über Bad Godesberg – über seine Geschichte, Geschehnisse und Eigenarten. Und über das Heute und die Zukunft. Alles erzählt anhand eines Hotels. Und: mit Musik.

Rainald Grebe ist Autor, Regisseur und Liedermacher, aber auch Puppenspieler, Ethnograf und Obstbauer. Er inszenierte schon in Berlin, Hamburg, Hannover, Köln, Dresden und Wien. Außerdem ist er mit Band oder Soloprogramm auf Tour und 2023 das erste Mal in Bonn zu sehen.

31. März: Labyrinth von Fritz Kater (M)

Nach Hotel Godesberg ist Labyrinth eine weitere historisch anmutende Produktion. Diesmal geht es aber nicht nur um eine Stadt, sondern gleich um ganz Deutschland. Trotzdem ist Labyrinth in der Region Bonn angesiedelt. Aus der Perspektive einzelner Protagonisten sollen größere Fragen geklärt werden z.B.: Was passiert mit Wünschen und Sehnsüchten wenn sich die Gesellschaft verändert? Und was, wenn sich die politischen Konstellationen nur ein ganz bisschen geändert hätten – hätte dann die Geschichte anders ausgesehen?

In diesen Kontext passt auch die Lebensgeschichte von Regisseur Armin Petras gut rein. 1964 wird er im Sauerland geboren, 1969 zieht er mit seinen Eltern in die DDR. In Berlin studiert er bis 1987 Regie und zieht 1988 in die Bundesrepublik. Er war in Berlin und Stuttgart Intendant und arbeitet seit 2018 als freier Regisseur. In der Spielzeit 2020/21 inszenierte er in Bonn Lenz von Georg Büchner.

15. April: Das Floss der Medusa nach Georg Kaiser (J)

Das partizipative Jugendprojekt in Bonn gibt es seit drei Jahren – dieses Jahr soll es mit Das Floss der Medusa musikalisch werden. Zentrale Frage diese Spielzeit: Wie ist das eigentlich die Generation zu sein, die Pandemie, Rassismus, Klimawandel und Krieg in Europa verkraften muss? Und nebenbei der Alltag weiter läuft? Dazu kommt der Text Das Floss der Medusa von Georg Kaiser, der auf einer wahren Begebenheit beruht: Im September 1940 soll ein Dampfer Kinder aus bombardierten Städten in England nach Kanada bringen. Das Schiff wird torpediert. Nur dreizehn Kinder und Jugendliche schaffen es, sich auf ein Rettungsboot zu flüchten. Tagelang treiben sie auf dem Ozean und müssen irgendwie überleben.

Die Jugendlichen werden in der Umsetzung begleitet von Regisseur Max Immendorf und dem Rapper Kutlu Yurtseven.

21. April: Die sieben Todsünden – Ein Recherche-Projekt zu Wirklichkeit und Fiktion im Digitalen (M)

Es ist eine Situation die wir alle wahrscheinlich so schon erlebt haben. Eine Eilmeldung – man liest die ersten Schlagzeilen – verfolgt die Berichterstattung. Das Ganze ist komplex und unübersichtlich, trotzdem sind die Sozialen Netzwerke voll mit Berichten und Meinungen.

In Die sieben Todsünden erlebt das eine Frau, die in den Strudel aus Meinung, News und Fake News gerät und immer mehr das Vertrauen in ihr eigenes Urteil verliert. Angela Richter möchte in ihrer Inszenierung genau diese Effekte besprechen. Warum funktionieren Fake News so gut? Und was macht das mit unserer Unterscheidung von Fiktion und Fakt?

20. Mai: Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui von Bertolt Brecht (K)

Mit Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui kehrt eine alte Bekannte nach Bonn zurück: Laura Linnenbaum inszenierte bereits Spieltrieb, Romeo und Julia und Die Heilige Johanna der Schlachthöfe für das Theater Bonn. Jetzt hat sie Brechts Parabel umgesetzt.

Brecht schrieb sein Stück 1941 im Exil. Der darin beschriebene Aufstieg von Arutoro Ui ist angelehnt an den Aufstieg Adolf Hitlers. Brecht hat seine Geschichte aber in Chicago angesiedelt. Das kämpft mit einer Wirtschaftskrise, die am Beispiel des Blumenkohlhandels beschrieben wird. Eigentlich wollen die Blumenkohlhändler den Gangster Arturo Ui nicht in ihrem Geschäft haben. Sie intrigieren aber gegen den alten Politiker Dogsborough, dessen einzige Rettung daraufhin Arturo Ui zu sein scheint. Der nutzt das skrupellos aus und steigt immer weiter auf. Das Stück ist voller Anspielungen auf den Aufstieg Hitlers (mehr zum Inhalt). Der Aufstieg Uis ist jedoch eben aufhaltsam. Seine Mittel sind offen sichtbar und basieren auch auf gesellschaftlichen Entwicklungen. Hier hat die Produktion ihre aktuelle Parallele in der Zunahme autokratisch-nationalistischer Systeme bei gleichzeitig wachsender sozialer Ungleichheit.

Der Versuch eines Fazits

Es gibt wenig geplante Premieren, bei denen einem nicht direkt ein aktueller Bezug deutlich wird. Identität, Wahrheit, Kriege und Krisen tauchen immer wieder auf und scheinen so etwas wie einen roten Faden zu bilden; immer wieder auch aus der Perspektive jüngerer Generationen. Gleich drei Stücke besprechen lokale Themen beziehungsweise behandeln Bonner Geschichte. Das Theater Bonn setzt dabei gefühlt wenig auf Klassiker, sondern arbeitet viel mit eigenen Inszenierungen bzw. modernen Stücken. Die Mischung klingt spannend – wir freuen uns drauf.

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