(Vorschaubild (c) Thilo Beu)
In einem mit Originalteilen nachgebauten Straßenbahnabteil feierte am 12. Oktober die Produktion LINIE 16 ihre Premiere im Schauspielhaus Bad Godesberg. Der Hausregisseur des Theaters Simon Solberg führte Regie.
Zwischen anderen Fahrgästen sitzt eine adrette junge Frau (Annika Schilling) in der Straßenbahn und telefoniert. In übertrieben fröhlicher Manier reiht sie Werbesprüche aneinander. Plötzlich dringt Rauch aus ihrer Tasche und die Perspektive wechselt in die Innensicht der Figur: Die eben noch so selbstsichere Frau singt zur Demonstration ihrer seelischen Erschöpfung „I’m On Fire“ von Bruce Springsteen.

Die Bühne ist dabei mit Originalteilen der Bonner Straßenbahn ausgestattet (Bühnenbild: Simon Solberg und Lucie Hedderich). Doch während es in einer normalen Straßenbahn nicht möglich ist, seinen Mitreisenden in den Kopf zu schauen, ihre Gedanken und Geschichten zu hören, geschieht genau das bei der „musikalischen Achterbahnfahrt“ im Schauspielhaus. Die Straßenbahn als Ort des Geschehens erlaubt es den Produzenten, unterschiedlichste Figuren und Charaktere zusammenzubringen. So versucht beispielsweise ein stotternder Mann (Daniel Stock) mit einer kleptomanischen Mutter zu kommunizieren, die sich von ihrem Kind gestalkt fühlt, während ein anderer Mann (Timo Kählert) durch das Mitführen zweier riesiger Toilettenpapierpackungen auffällt und dem Publikum den Hintergrund dieses Umstands erläutert. In einer anderen Szene berichtet eine junge Frau (Lena Geyer) von ihrer Zucker- und Fettsucht. Untermalt werden diese Szenen stets durch von den Schauspielern vorgetragene Lieder und eine im Hintergrund spielende Live-Band (Philip Breidenbach, Jann Marvin Beranek und Thomas Esch). Meist greifen die Lieder die Stimmung oder die Thematik der Szene auf, zum Teil konterkariert die Musik jedoch in gewissermaßen die Szene. So rappt der Stotterer beispielsweise „Lose yourself“ von Eminem, was in starkem Kontrast zu der zuvor unartikulierten Sprache der Figur steht.
Das Stück ist in seiner Grundstimmung lustig gehalten und vermag es dennoch, eine geeignete Balance zwischen komischen und ernsten, persönlichen und gesellschaftlichen Themen zu finden. Ernstere Szenen, wie beispielsweise ein Mann, der sich an seinen verstorbenen Vater erinnert (Christoph Gummert), unterbrechen auf angenehme Weise die komischen Elemente des Stücks. Dieser Wechsel von heiter und nachdenklich drückt sich manchmal sogar in einer einzigen Szene aus: Ein junger Mann (Christian Czeremnych) hält eine Keksdose mit der Asche seiner verstorbenen Mutter in der Hand, doch die Szene wechselt schnell in die Retrospektive und das Publikum sieht und hört ein urkomisches Gespräch der beiden.

An manchen Stellen schlägt das Stück gesellschaftskritische oder gar politische Töne an: In einer Szene vertreiben die anderen Fahrgäste Horst Seehofer zur Titelmusik von Ghostbusters aus ihrer Mitte. In einer anderen übt die Natur, verkörpert von Lena Geyer im Kostüm einer Weltkugel (Kostüme: Katia Köhler), Vergeltung an den Menschen für den achtlosen Umgang mit ihr.
Der einzige Wermutstropfen ist ein qualitativ etwas schwächeres letztes Drittel: Die Strukturen der einzelnen Szenen beginnen sich zu wiederholen und auch die Figuren wirken weniger originell oder eigenartig als zu Beginn des Stücks. Dieser Umstand ist wahrscheinlich der relativ kurzen Probenzeit zuzuschreiben, da es sich bei LINIE 16 um eine eingeschobene Produktion handelt.
Allerdings beeinträchtigt dieser kleine Kritikpunk den extrem unterhaltsamen und kurzweiligen Abend nur in geringem Maße. Alle Schauspieler überzeugen nicht nur durch ihr gesangliches Talent, sondern vor allem auch aufgrund ihrer darstellerischen Leistung. Die Grundidee und die Umsetzung sind originell und abwechslungsreich, was sich auch im beachtlichen Szenen- und Endapplaus bei der Premiere widerspiegelte.
Ein Besuch ist auf jeden Fall zu empfehlen! Weitere Vorstellungen finden am 31.10. und 24.11. statt.
Frederike Sophie Hubl