Am 18. März 2022 war es soweit. Unter der Regie von Jan Neumann feierte das Stück KLEINER MANN –WAS NUN? nach dem gleichnamigen Roman von Hans Fallada im Schauspielhaus Premiere.

Der 1932 veröffentlichte Roman beschreibt das Leben von Johannes Pinneberg (Timo Kählert) und seiner Familie in der Weimarer Republik vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise. Johannes Pinneberg ist ein kleiner Angestellter, als er und Emma, genannt „Lämmchen“ (Linda Belinda Podszus), erfahren, dass sie Eltern werden. Es folgt die Heirat, die von Lämmchens Eltern nicht gutgeheißen wird. Dennoch freuen sich beide auf ihr zukünftiges, wenn auch einfaches, Leben. Einen ersten Dämpfer gibt es jedoch, als Pinneberg kurz nach dem Einzug in die erste gemeinsame Wohnung von seinem Chef Herrn Kleinholz (Bernd Braun) entlassen wird. Auf der Suche nach neuer Arbeit, und weil ihnen eine Unterkunft bei seiner Mutter Mia (Annika Schilling) angeboten wird, ziehen sie nachBerlin. Durch die Hilfe des Freundes seiner Mutter Jachmann (Wilhelm Eilers) bekommt Pinneberg eine Anstellung als Verkäufer in einem Modehaus. Um seine neue Arbeit nicht zu verlieren, erträgt Pinneberg diverse Demütigungen. Dennoch wird er erneut entlassen und ist nun der Bürokratie des Arbeitsamtes ausgesetzt. Während Pinneberg aufgrund seiner Niederlagen in der Arbeitswelt immer depressiver wird, hält Lämmchen die Familie zusammen und stärkt Pinneberg mit ihrem optimistischen Wesen immer wieder den Rücken. Lämmchen hat nichts mehr mit dem gleichnamigen Tier zu tun. Sie entwickelt sich zu einer sehr energievollen Frau, die nun auch noch für den Lebensunterhalt der Familie sorgt.
Arbeitslosigkeit, Entfremdung von der Arbeit, Ausnutzung, Bürokratie, Mobbing und dadurch bedingte Depressionen sind heute leider nicht weniger aktuell als zur damaligen Zeit. Heute würde man
bei Pinneberg wahrscheinlich ein schwerwiegendes „Burnout-Syndrom“ diagnostizieren. Hans Fallada gibt dem „kleinen Mann“ eine Stimme, der sich in der Welt versucht durchzukämpfen. Pinneberg, der immer wieder auf Hindernisse trifft, ist so herzzerreißend und dramatisch, dass man selbst als Zuschauer immer wieder hofft, dass er in jedem Moment doch noch das Glück erfährt. Und tatsächlich erscheinen die personifizierten Hoffnungsschimmer immer wieder, sei es die Tochter seines Chefs, Marie Kleinholz, die ihn nicht bei seinem Chef verrät oder sein Arbeitskollege Heilbutt (Christian Czeremnych), der ihm hilft, die Verkaufsquote zu erreichen. Jedoch endet damit der Teufelskreis nicht. Dieser Teufelskreis und die Auswirkungen der Wirtschaftskrise erscheinen schließlich auch in Persona auf der Bühne mit einer echsenartigen Teufelsmaske (Kostüm: Cary Gayler), die Pinneberg noch bis zum Schluss des Stücks verfolgen wird.
Erwähnenswert ist die hervorragende schauspielerische Leistung aller Darsteller. Besonders hervorzuheben ist, dass die Schauspieler – mit Ausnahme von Timo Kählert und Linda Berlinda Podszus – mehrere Rollen übernehmen. So hat Alois Rheinhard in einem Teil nicht nur die hochnäsige Mutter Kleinholz, sondern auch den kauzigen Arbeiter Spanfuss verkörpert und damit für manchen Lacher im Publikum gesorgt. Annika Schilling überzeugte in ihren Rollen als die verliebte Marie Kleinholz und später als die extravagante und sehr durchgedrehte Mutter Mia Pinneberg. David Hugo Schmitz als Emmas Bruder Karl Mörschel, der Abteilungsleiter Jänicke und Pinnebergs Sohn Murkel hatte zwar kleinere Rollen, doch gerade Erstere sind die, die Pinneberg auf doppelte Weise zusetzen: Der Bruder, der seinen Schwager nicht besonders ausstehen kann, weil er selbst ein Arbeiter ist und Angestellte wie Pinneberg in seinen Augen keine richtige Arbeit leisten. Als Abteilungsleiter Jänicke wird dann der psychische Druck erhöht: Statt auf der Seite seines Angestellten zu sein, wenn der reiche Kunde sich über Pinneberg beschwert, obwohl es der Kunde ist, der sich unmöglich aufführt. Christian Czeremnych als Kollege Heilbutt ist der sympathischste Charakter – und der größte Freidenker, da er der gerade aufkommenden FKK-Kultur anhängt. Dies ist auch der Grund für seine Entlassung. Czeremnych scheut sich nicht, den Protest des selbstbewussten Lebemannes nackt auf die Bühne zu bringen. Kählert und Podszus verstehen es meisterhaft, die Gefühle der beiden Protagonisten zum Leben zu erwecken. Insgesamt eine sehr gute Ensembleleistung.
Sehr interessant ist die Gestaltung der Bühne (Dorothee Curio): Auf einer rotierenden kreisförmigen Platte sind Wände in T-Form hochgezogen, die drei Schauplätze darstellen. Durch diese bewegen sich die Schauspieler athletisch während des gesamten Stückes. Es erfüllt seinen Zweck als Symbol des ununterbrochenen Teufelskreises, in dem sich Pinneberg bewegt. Dadurch entstehen auch eindrucksvolle Szenen, wie z.B. wenn Pinneberg von einem Polizisten und der Gesellschaft verfolgt und gedemütigt wird. Jan Neumann scheut nicht zurück, die dramatische Geschichte von Pinneberg in angemessener Länge zu zeigen, sodass die Zeit nicht einfach „verfliegt“ und der Zuschauer die Angst und Verzweiflung von Pinneberg zu spüren bekommt. Auch wenn die Handlung an sich bedrückend ist, versteht es der Regisseur durch einige lustige Einfälle die Stimmung etwas aufzuheitern. Leider driften diese teilweise ins Alberne ab. An diesen Stellen wäre manchmal weniger einfach mehr.
Yasmin Ibrahim

(c) Thilo Beu