Aus der Traum von der Märchenprinzessin

Prinzessinnendramen von Elfriede Jelinek im Livestream des Theater Bonn

Beitragsbild (C) Lars Figge

Am 16. April wurde die Premiere PRINZESSINNENDRAMEN (Tod eines Mädchens I-III) von Elfriede Jelinek kostenlos für 48 Stunden auf der Website des Theater Bonns gestreamt. Der Vorteil einer digitalen Premiere ist die zeitliche Ungebundenheit, weswegen sich die Autorin am Sonntagmorgen um 9.00 Uhr, in Schlafanzug und mit einer Tasse Tee ausgestattet, die Inszenierung anschauen durfte.

Die Regisseurin Charlotte Sprenger nennt die Inszenierung einen „Theaterfilm“, der wie ein landesläufiger Fernsehspielfilm mit 1 Std. 20 Min. auch ungefähr dessen Format entspricht. Die Prinzessinnendramen behandeln normalerweise sechs „Prinzessinnen“ – sowohl fiktive als auch reale. Für das Bonner Projekt wurden, wie auch in anderen Inszenierungen, jedoch nur die ersten drei Prinzessinnen ausgewählt: Schneewittchen, Dornröschen und Rosamunde. Während sich die ersten beiden wahrscheinlich allgemeiner Bekanntheit erfreuen, wird der Name Rosamunde vielleicht noch eher mit der Autorin der Rosamunde-Pilcher-Filme in Verbindung gebracht, jedoch weniger mit dem von Helmina von Chézy 1823 geschriebenen Stück „Rosamunde“. In diesem ist Rosamunde eine Prinzessin, die zuerst nichts von ihrem Königreich Cypern weiß, da sie bei Hirten aufwächst. Als ihre Eltern aber frühzeitig sterben, soll sie den Thron besteigen. Der hinterhältige Statthalter, der für den Tod der Eltern sowie einige Intrigen verantwortlich ist, versucht alles, um die Macht zu erlangen. Sogar eine Heirat mit der Thronerbin will er erzwingen. 

Das Stichwort, das alle drei Figuren miteinander verbindet, ist damit gefallen: Macht. Aber Macht über was oder wen? Die Macht der Männer über die Frauen? Die Macht der Frauen durch ihre Schönheit? Die Macht über das Volk? Macht durch Texte? Macht über die eigene Identität? Vielleicht sogar die Macht über den Tod? Diese Fragen werden den Figuren und von den Figuren immer wieder gestellt. Jelineks Texte sind vielschichtig; sie spielen mit verschiedenen Andeutungen, verwenden Wortwitze, Gedanken springen hin und her. Der Zuschauer pflückt sich geradezu die kunstvollen und philosophischen, mitunter auch witzig-bissigen Sätze zusammen. Doch die/der Zuschauer/in muss nicht nur diese Sätze sammeln, sonder sie auch auf ihre Wahrheit prüfen und seine Haltung zu der Jelineks hinterfragen. Das macht die Texte der Nobelpreisträgerin nicht einfach, aber wenn man hinter den Anspruch zurücktritt, alles sofort verstehen zu wollen, ist es wie eine Abenteuerreise durch eine Welt, die nur im ersten Moment eine Märchenwelt ist. 

Wie aber hat Sprenger diese Texte umgesetzt?

Sie hat jede Prinzessinnenrolle mit einem Mann besetzt: Schneewittchen mit Markus Bachmann, Dornröschen mit Christian Czeremnych – Rosamunde wird von Sören Wunderlich gespielt. Die Intention hinter dieser Besetzung, so erzählt die Regisseurin in einem kurzen Interview auf der Seite des Theater Bonns, war zu sehen, welche Wirkung die Texte aus den Mündern von Männern erzielen und wie sich die Texte dadurch möglicherweise verändern. Die Texte behalten sich nicht allein eine kritische Haltung Männern gegenüber vor, sondern gehen auch mit den Frauen ins Gericht. Ganz besonders bei Rosamunde ist die Zwiespältigkeit zu sehen, in deren Figur auch Jelinek selbst Eingang gefunden hat. Doch es soll nicht zu viel analysiert, sondern sich der Inszenierung gewidmet werden.

Die Bühne ist ein überwiegend in rosa gehaltenes Badezimmer mit pinkem Plüschteppichboden, einem Waschbecken und einer Menge Spiegeln, die allerdings nichts als Schwärze spiegeln (Bühne: Aleksandra Pavlovic). Schwarze Löcher in einer sonst rosa Welt. In ihnen spiegelt sich nichts außer der Person, die hineinblickt. Der Raum wirkt wie eine Anderswelt, gar nicht real, sondern irgendwo im Winkel des Kopfes der Protagonistinnen. Dorthin können sie sich zurückziehen, sich mit ihrer Situation auseinandersetzen.

Bei Schneewittchen sind zwei Personen in diesem Raum, die sich aber nie begegnen, da sie ein und dieselbe Person sind: der Jäger und Schneewittchen. Schneewittchen ist beinahe nackt. Androgyn wirkt Markus Bachmann in der engen Korsage und den unpassenden Tennissocken (Kostüm: Claudia Irro). Der Jäger ist mit Federbuschhut und grünem Jackett unverkennbar. Er steht  steif und hat einen leicht irren Blick. Die Schnitte lassen Bachmann seine Doppelrolle gut zur Geltung bringen.

Sie philosophiert über den Tod, der der eigentliche Feind ist „Der Tod nährt sich von fremder Zeit und ist daher immer hungrig“. Als Personifikation des Todes fungiert der Jäger, der nach seiner Raison entscheidet, wer leben darf und wer nicht. Von Beginn an klebt Blut an seinen Händen, das er penibel abzuwaschen sucht wie Pontius Pilatus als er Jesus zum Tode verurteilte. Schneewittchen ist in dieser religiösen Parabel die „Wahrheitssuchende“. Und so nimmt der Jäger Schneewittchen ihr Leben, das sie gerade erst durch den Prinzen zurückbekommen hatte. Er hat in der Schönheit des Mädchens eine Gefahr erkannt, die er bannt, indem er sie ermordet. 

Dornröschen erscheint zuerst als recht selbstbewusste Person, sie inszeniert sich gemütlich Kuchen vernaschend und Energy-Drinks trinkend, während sie sich auf dem Boden wälzt. Sie misstraut aber der vom Schicksal einfach bestimmten Verbindung aus Prinzessin und Prinz: „Bin ich heute noch der Mensch, der ich gestern war und der ich morgen sein werde? / Man kennt sich nicht, ein Kuss macht nicht klar, wer man ist.“ Dennoch ist sie dem vermeidlichen Prinzen zur „Dankbarkeit“ verpflichtet, da er sie aus dem Todesschlaf geholt hat. Doch die Stimmung kippt. Czeremnychs Dornröschen findet sich nicht in die Rolle der Prinzessin ein. Sie kommt immer weniger mit ihrer Situation klar. Langsam verändert sie sich von der bejubelten Hohen Dame zu einer verzweifelt wie im Delirium redenden abhängigen, die dann zur Waffe greift. 

Das Spiel von Sören Wunderlich als Rosamunde geht besonders tief, wühlt auf. Rosamunde ist schon am Ende, als man sie das erste Mal sieht. Verheult, gebrochen, angegriffen, nervös und verzweifelt irrt sie durch sie schwarze Spiegelwelt. Nur kurz findet sie Erholung beim Rauchen, bevor auch sie ihrem Ende zugeht.

Alle drei Schauspieler haben ihren Weg gefunden, den Texten eine Vielstimmigkeit und Emotionen zu verleihen, sodass sie sofort in den Kopf des Zuschauers eindringen. Das Wort steht eindeutig im Mittelpunkt, nicht das körperliche Spiel. Die Worte erhalten durch die zurückhaltende Kameraführung bzw. durch den Schnitt und die Lichtstimmung die Bühne die sie brauchen (Video: Lars Figge; Licht: Ewa Górecki). Auch die Musik hält sich bescheiden im Hintergrund. Sie besteht aus Geräuschen und leisen instrumentalen Unterstreichungen, die mit den Worten auf und abwogen, Wendungen ankünden und unterstreichen und manchmal den Schlusspunkt setzt (Musik: Julian Stetter).

Sprenger hat sich in diesem Projekt mit Effekten und Affekten wesentlich zurückgehalten, was der Inszenierung sehr gut tut, da die Qualität der Texte und des Spiels trotz (oder gerade wegen?) des Computerbildschirms in ihrer Konsequenz erfahrbar werden (Dramaturgie: Carmen Wolfram). 

Rebecca Telöken

Zum Zeitpunkt dieser Kritik war auf der Website des Theater Bonns leider noch nicht zu entnehmen, wie die Inszenierung zukünftig zu sehen sein wird: Wir werden aber auf weitere Termine hinweisen, sobald diese online sind.

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