Türkische Pop-Ikone im Schauspielhaus

(Vorschaubild (c) Thilo Beu)

ISTANBUL feiert erfolgreich Premiere und bringt das Schauspiel zum Tanzen

Wie sich zeigte, war die Vermutung von Schauspieldirektor Jens Groß, dass nach der langen Zeit der Corona-Entbehrungen man das Publikum nicht gleich mit schweren Stoffen füttern, sondern lieber etwas Unterhaltsames bieten sollte, auch für sein Haus angedacht und traf voll ins Schwarze (Interview mit Jens Groß hier).

(c) Thilo Beu

Ein Sezen Aksu- Liederabend stand auf dem Programm mit dem Titel einer der bekanntesten Städte der Welt: ISTANBUL. Die Stadt am Bosporus ist an diesem Abend aber nicht das Traumziel deutscher all-inclusive Touristen. Sondern sie ist das, was in den 60er Jahren Köln für türkische Gastarbeiter war: die Hoffnung auf ein besseres Leben. Das etwas spießige deutsche Ehepaar Klaus (Timo Kählert) und Luise Gruber (Lydia Stäubli) aus Graurheindorf sind ebenfalls Hoffende, als Klaus in den frühen 60ern in das über 2000 km entfernte fremde und auch zuerst „befremdliche“ Land aufbricht. Mit dem Geld aus Istanbul wollen die frischgebackenen Eltern später ein Haus in Graurheindorf bauen.

Was kommt, ist im Prinzip bekannt, eben hier nur umgekehrt. Die Probleme zwischen Gastarbeiter und Gastgeberland, die Frage, was Heimat ist, die Unsicherheit der zweiten Generation, die ein anderes Verständnis von Heimat hat als ihre Eltern – das alles wurde bereits in vielen Filmen verarbeitet und durchleuchtet; am bekanntesten wahrscheinlich in dem Film „Almanya“. Daher ist die Geschichte eher einfach, ohne große Überraschungen. Die Emotionen entstehen durch die Musik. Dennoch birgt die Verkehrung eine große Komik in sich, wenn Vater Klaus immer seinem Lieblingsverein dem 1. FC Köln hinterhertrauert, wenn Luise plötzlich nach jahrelanger Trennung in Istanbul auftaucht oder es kleine „Bitch-Kämpfe“ zwischen ihr und der schönen Sängerin Ela (Sophie Basse) gibt, die sich in den netten Deutschen verguckt hat. Erzählt werden die Geschichte aus der Perspektive von Klaus‘ Sohn Deniz (David Hugo Schmitz), der nach dem Tod des Vaters noch einmal auf das Leben seiner Eltern zurückblickt. Daneben gibt es noch den Übersetzer Ismet (Christoph Gummert), die erste Ansprechperson für Klaus in der Türkei und sein späterer Freund. Sein lockerer Lebensstil und die sich zwischen den beiden Welten – der deutschen Gastarbeiter und der türkischen Bevölkerung – hin und her zu bewegen, lässt ihn als Beobachter zwischen den Fronten agieren. Und so scheut er sich auch nicht einmal kräftig Kritik an den sich manchmal zu sehr abschottenden „deutschen Kartoffeln“ zu äußern. Denn obwohl Klaus Türkisch lernt und bald Istanbul zu lieben beginnt, so bleiben er und Luise doch auch immer noch Deutsche. Vor allem in den Streitereien mit dem erwachsenen Sohn kommt dieser Aspekt sehr zum Tragen. Denn der fühlt sich eben mehr als Türke denn als Deutscher und für ihn ist das „Haus in Graurheindorf“ eben nicht seine Heimat. Er ist einer derjenigen, die nie irgendwo richtig ankommen, da die Eltern stets auf gepackten Koffern sitzen, jeden Moment bereit, das Land zu verlassen und es doch nie tun.

(c) Thilo Beu

Emotional begleitet wird der Abend von den Liedern der in der Türkei äußert bekannten Pop-Sängerin Sezen Aksu, aber auch anderen bekannten Songs wie Şımarık (Kiss Kiss) von Tarkan. Die teils leicht zum Pathos neigenden Lieder über den Schmerz (der Liebe aber auch über den Schmerz der fernen Heimat) werden Live gespielt von den hervorragenden Musikern Torsten Kindermann (zugleich Musikalischer Leiter), Jan-Sebastian Weichsel/ Peter Imig (wechselnde Besetzung), Koray Berat Sari und Ceren Bozkurt. Sie spielen nicht versteckt in einem Orchestergraben, sondern bewegen sich als Teil der Inszenierung mit den SchauspielerInnen bzw. SängerInnen auf der Bühne. Die gesangliche Leistung reicht zwar nicht ganz an die originalen Stimmen heran (wobei bei dem ein oder anderen Song wirklich kaum ein Unterschied zu hören ist), aber die Leidenschaft mit denen sie die türkischen, fast schon lyrisch klingen, Verse vortragen, häufig auch gekoppelt mit tänzerischen Einlagen, hat nicht nur mich, sondern auch das ganze restliche Publikum beeindruckt. So gab es am Ende nicht nur Standing Ovations, sondern das Publikum tanzte sogar kurzerhand mit (also Dancing Ovations). So eine ausgelassene Stimmung war bisher selten im Schauspielhaus zu sehen; höchstens zu vergleichen bei den Musical-Abenden in der Oper. Alle Liedtexte werden zweisprachig über Beamer eingeblendet, sodass man sogar gleich etwas Türkisch mitlernen kann – am Ende weiß jeder, dass „Kuss“ auf Türkisch „öp“ heißt.

Dem und Autoren-Trio bestehend aus Selan Kara, Torsten Kindermann, Akin E. Şipal sowie dem Musiker Torsten Kindermann ist unter der Regie von Roland Riebeling ein unterhaltsamer Abend mit vielen Emotionen und viel Spaß gelungen, der neben der Komponente der Erinnerung an die türkischen Gastarbeiter – die vor 50 Jahren nach Deutschland kamen – auch noch einmal in Erinnerung ruft, dass Heimat mehr ist als nur ein Ort, an dem man ist oder an dem man eben gerade nicht ist. Heimat sich vor allem eines: der Ort an dem Menschen leben, die man liebt.

Rebecca Telöken

Die nächsten Termine sind am: 21.10.; 22.10.; 12.11. und 13.11.


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