(Vorschaubild: (c) Thilo Beu)
Volker Lösch wühlt in Skandalgeschichte(n) Bonns
Es gab großen und langanhaltenden Applaus, nachdem der letzte Satz des Bürgerchors auf der Bühne verstummt war. Ein gelungener Auftakt für das Theater Bonn, das mit der Uraufführung BONNOPOLY – Das WCCB, die Stadt und ihr Ausverkauf, mit dem Text von Ulf Schmidt und unter der Regie von Volker Loesch die neue Saison am vergangenen Samstag, den 9.9.2017, besonders spektakulär gestaltete.
Von dem großen Skandal rund um das World Conference Center Bonn (WCCB) hat jeder Bonner gehört und auch von den darauf folgenden jahrelangen Untersuchungen in der Hoffnung den/die Schuldigen zu finden und zur Rechenschaft ziehen zu können. Der Abend beginnt allerdings lange vor dem Großbauprojekt, nämlich im Jahr 1991. Der Schock in der ehemaligen Bundeshauptstadt, die bis dato nicht davon ausgegangen war, dass es tatsächlich zu einem Umzug nach Berlin käme, sitzt tief. Doch man plant neu, wenn nicht mehr offizielle Bundeshauptstadt, dann eben das inoffizielle Berlin des Westens!

Zeitsprung. Wir befinden uns nun Anfang der 2000er und die Bürgermeisterin (Laura Sundermann) berät, was für ein Gebäude Bonn braucht, um international wieder im Rennen zu sein und Geld in die Stadtkasse fließen zu lassen. Bald steht der Plan des Baus des WCCBs und die Devise lautet: Der Bau sollte möglichst ohne zu große eigene Investitionen finanziert werden. Dafür braucht man einen privaten Investor. Dieser ist dank eines übermotivierten Beraters (Jan Jaroszek) schnell gefunden: Ein Koreaner KIM(Holger Kraft), der den Namen einer großen Autofirma in seiner eigenen Firma trägt (SIM Hyundai), soll den Bau durch PPP (Privat-Public-Partnership, das magische Wort des Abends) stemmen. Trotz mehrmalige Warnungen durch die Sparkasse (verkörpert durch Lisan Lantin), die allesamt mit dem immer wieder gebrüllten „Schnauze Sparkasse!“ ignoriert werden, wird ein Vertrag geschlossen. Die Bürgermeisterin achtet allerdings penibel darauf, dass weder ihr Name noch ihre Unterschrift irgendwo auftauchen, sondern stellt dafür lieber einen Projektleiter (Glenn Goltz) und eine Chef-Controllerin (Birte Schrein) ein, die im Laufe der Aufführung immer weiter zu Sündenböcken werden, was sie allerdings durch Inkompetenz und Fahrlässigkeit selbst mitverschulden. Da nun der Koreaner der Stadt und der Bank ein Eigenkapital von 10 Millionen Euro nachweisen muss, wenn die Kredite von der Sparkasse gegeben werden sollen, muss er sich Geld bei einem anderen Investor leihen und verkauft ihm seine Anteile des WCCB, die er zuvor von der Stadt Bonn erhalten hat.
Nun, beruhe diese Geschichte nicht auf Tatsachen, man würde meinen, nur das Theater kann sich einen solchen Plot ausdenken. Natürlich kommt es letztlich zum großen Desaster und die Stadt Bonn steht vor einem Schuldenberg von 300 Millionen Euro für das WCCB, das ursprünglich mit ca. 75 Mio. veranschlagt war. Das Gerichtsverfahren ergibt kaum Verurteilungen. Ausschließlich der Investor Kim wird verurteilt, während der Projektleiter und die Stadtmitarbeiterin gegen Zahlung einer Geldbuße

entlassen werden. Gegen die Bürgermeisterin wird das Verfahren sogar (vorläufig) eingestellt, nicht ohne ihren Hinweis, dass ihr Mann ja einmal Justizminister NRWs war. Der Höhepunkt des Abends ist sicherlich ein aufgezeichnetes, von dem Theater Bonn live geführtes, Gespräch mit dem Investor Kim, in welchem er beteuert, dass er auch an der Aufklärung des Falles interessiert sei, zugleich aber die Stadt Bonn (und die Sparkasse) anklagt. Sie wären die ersten gewesen, bei dem ein PPP-Partner so wenig Mitentscheidungsrecht, gerade über die finanziellen Aspekte, gehabt hätte wie in Bonn.
Soweit das Geschehen bis zur Pause.
Nun wandte sich Loesch den anderen Problemen Bonns zu, die neben der Millionen-Grube ebenfalls in Bonn brodelten. Ein neuer Bürgermeister (Daniel Breitfelder) wirbt dafür, die Schuldenlast, die auf Bonn liegt, reduzieren zu wollen durch Sparmaßnahmen – hört man aber die Auszüge, die von den Schauspielern verlesen werden, spart der Bürgermeister an teils sonderbaren Stellen. In diesem Zug fallen dann die Schließung der Bonner Stadtteilbäder, sowie Kultureinrichtungen und Sportstätten und der Verkauf des Victoriaviertels, die zu massiven Unruhen in der Bevölkerung führen. Hinzu kommt das in der ganzen Bundesrepublik schwelende Problem der Mietpreiserhöhungen, durch teils ungewollte Modernisierungen und vor allem den Verkauf von städtischen Wohnungen an Privatinvestoren. Als der uneinsichtige Bürgermeister weiterhin auf Sparmaßnahmen drängt, werden immer wieder Interviews mit Peter Bofinger – Professor für Volkswirtschaftslehre in Würzburg und Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung – und Bernhard von Grünberg vom Mieterbund Bonn eingeblendet, die darauf hinweisen, dass die Prokopfverschuldung Bonns wesentlich niedriger ist als in Hamburg oder Berlin und Bonn damit im bundesweiten Vergleich noch recht gut dasteht. Aller Ärger und alle Forderungen der Bürger werden schließlich in einem großen Sprechchor als Manifest vorgetragen – das wollen die Bonner und dafür sind sie bereit Schulden zu machen: Sie sind bereit Schulden zu machen, wenn das Geld für gute Zwecke ausgegeben wird und es jedem Menschen möglich ist in einer Stadt zu wohnen, zu einem vernünftigen Preis mit einem reichen Angebot an Sport und Kultur.

Es steht außer Frage, dass Regie, Dramaturgie (Nicola Bramkamp, Elisa Hempel, Ulf Schmidt), alle Assistenten und das sonstige Team hier eine Stück auf die Bühne gebracht haben, das sehr viel Kraft, Schweiß, Kreativität, vor allem aber auch Recherche benötigt hat. Entgegen der Vermutung ein ernstes Politdrama zu sehen, wurde der Weg der Satire gewählt. Alles ist etwas überzeichnet, dennoch sind gerade die beiden Bürgermeisterfiguren sehr eindeutig zu identifizieren, genau wie der koreanische Investor.
Loesch arbeitet mit einfachen Bühnenbildern, besonders hervorsticht ein Becken, das Fundament des Baus, das mit einer betonähnlichen grau-braunen Masse gefüllt ist und in dem die Schauspieler in Ekstase baden, Aktenordner geschmissen werden, Geldscheine runterregnen, aber auch zum Schauplatz einer Schlammcatch Arena wird, nachdem das Projekt zu scheitern droht und Verantwortliche gesucht werden.

Der Zuschauer wird fast drei Stunden lang mit allerlei Informationen, Namen, besonders aber Zahlen (Baukosten) und Statistiken bombardiert, was einem schwindelig lassen werden kann. Dabei kommt der immer wieder aufblitzende Witz, auch in Form von Wortspielen, nicht zu kurz – man ist immer am Ball und spürt gerade zu, wenn es auf die Gerichtsverhandlung zugeht, dass man langsam aber sicher Gerechtigkeit für so viel veruntreutes Geld erkämpfen möchte – diese wird aber nicht gegeben werden können.
Alle Schauspieler bekleiden übrigens Doppelrollen, so ist Bernd Braun nicht nur der „Ruckherzog“, sonder auch König Midas, der entgegen seines Mythos, nicht verhungerte, weil alles nur noch aus Gold war, sondern jetzt die Stadtführung anstachelt möglichst mehr Geld zusammenzuraffen. Besonders beeindruckend waren vor allem die Darstellungen von Daniel Breifelder und Laura Sundermann in den Rollen der Bürgermeister, aber auch die anderen Ensemblemitglieder haben eine beachtlich konstante und überzeugende Darstellung an diesem Abend gezeigt.
Trotz der bereits geleisteten Mammut-Recherche (mehrere tausend Seiten, laut Programmheft, dazu Interviews und Fragebögen), vermisst man allerdings an mancher Stelle eine Stellungnahme der Stadt oder aber Befürworter der Veränderungen. Diese konträren Standpunkte sind bei Löschs Nathan deutlicher zu tragen gekommen. Insgesamt prägt das Stück aber seine Relevanz und Tragweite: Noch einmal in Erinnerung zu rufen, was alles in Bonn, aber auch in anderen deutschen Städten, schief läuft – was sich Bürger wünschen und wofür sie kämpfen. Diesen Wünschen einen Raum zu geben, war sicherlich eine sehr gute Entscheidung, die die Relevanz des Stadttheaters für aktuelle gesellschaftliche Konflikte auch in der eigenen Stadt neu profiliert.
Rebecca Telöken
Ein Kommentar zu “Durch Bonn muss ein Ruck gehen!”