Eine Nacht lang Theater – wie jedes Jahr

Gedanken zur Theaternacht

Wenn man an diesem einen Mittwochabend Ende Mai, vor dem Feiertag am Donnerstag dessen Namen man irgendwie immer vergessen hat, eine halbe Völkerwanderung kreuz und quer, mit Bus und Bahn oder auch zu Fuß, durch Bonn beobachten kann – dann, ja dann, hat der Einzelhandel nicht spontan eine lange Einkaufsnacht im Mai ins Leben gerufen. Allerdings geht der Begriff „Nacht“ schon einmal in die richtige Richtung. Es ist, oh Überraschung, mal wieder Theaternacht. Wie jedes Jahr. Und aus irgendeinem Grund weiß das auf einmal auch jeder. Und noch viel wichtiger: aus irgendeinem Grund entpuppt sich an diesem Abend fast jeder Mensch in Bonn zum absoluten Theaterexperten und Theaterliebhaber – oder befindet sich zumindest auf dem Weg genau das zu werden. Wie jedes Jahr.

Irgendwie merkt man an diesem Abend immer, dass in Bonn etwas zu passieren scheint. Eine Art Bewegung und das nicht nur im eigentlichen, offensichtlichen Sinne. Alles erinnert an einen anderen Zeitgeist, der jedes Mal, von der ehemaligen Bundeshauptstadt und seinen Bewohnern Besitz zu ergreifen scheint. Sämtliche mobilen Endgeräte werden lediglich für die Suche nach der richtigen Route benutzt und wohin man auch schaut, laufen Jung und Alt herum, dabei immer die nächste kleine Theaterrunde im Blick. Das Programm dieser lauen frühsommerlichen Nacht ist längst kein Geheimtipp mehr. Längst ergreift das Theaterfieber in dieser Nacht immer wieder Besitz von sämtlichen Bonnern. Und man sieht kleinere und größere Gruppe über das eben Gesehene oder über das noch zu Sehende diskutieren sowie über die Bonner Theaterlandschaft im Allgemeinen. Denn die existiert auch in der restlichen Zeit des Jahres, auch an jenen Abenden, die nicht auf den Namen „Theaternacht“ hören. In allen Spielstätten, in jedem Ensemble und Theaterteam – wenn wir in Bonn eine Sache haben, dann sind es wohl Theater. Und das ist auch gut so.

Vielleicht kann die Theaternacht 2019 ein Anfang sein. Und vielleicht kann diese Schnupperstunde der Künste gleichzeitig auch einen Anreiz schaffen – nicht nur an diesem einen Abend zum Theaterliebhaber zu werden. Sondern sich ab sofort sein kulturelles Wissen über das Jahr verteilt anzueignen, um einmal im Jahr wirklich als Bonner Theaterexperte glänzen zu können. Und das sogar ganz ohne dabei wild und einfach seltsam gestikulierend die ersten paar Zeilen von Goethes Faust als selbstgestellte mündliche Prüfung in Sachen Theater in der Freundesrunde vorzutragen. Das braucht wirklich niemand. Ein monatlicher oder wöchentlicher Theaterbesuch in einem der vielen schönen, älteren, modernen, größeren und kleinen Theater kann dafür schon ausreichen. Auch im Anschluss daran wird die neueste Folge der aktuellen Lieblingsserie noch verfügbar sein – und die Bars in der Innenstadt haben auch dann noch auf.

Dann müsste man sich die Frage – warum man dieses theaterbedingte Völkerwanderungsschauspiel immer nur an diesem einen Mittwochabend Ende Mai, vor dem Feiertag am Donnerstag dessen Namen man irgendwie immer vergessen hat, beobachten kann –

Nicht mehr stellen. Denn dann könnte es sich dabei nicht mehr allein um diese eine frühsommerliche Nacht mit Kulturesprit in der Luft handeln – sonder vielleicht ganz einfach auch um einen normalen Samstagabend, eine ganz normale Theaternacht.

 

Kim Sterzel

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