Simon Solberg inszeniert THE BROKEN CIRCLE auf der Werkstattbühne und begeistert das Publikum
Eigentlich sollte in der Überschrift zu diesem Artikel nicht einfach „Countrysong“ stehen, denn das was Protagonist Didier (Daniel Stock) in THE BROKEN CIRCLE liebt, ist Bluegrass. Diese Musikrichtung wird zwar unter dem Oberbegriff Country geführt, und Musikbanausen wie mir wird der Unterschied zu anderen Stilrichtungen des Genres beim bloßen Hören sicher nicht unbedingt auffallen, aber für die Szene ist es ein himmelweiter Unterschied.
Didier ist eigentlich ein Typ aus dem Ruhrpott: die Mutter früh abgehauen, der Vater versoffen und unzuverlässig. Mit einer Jogginghose, die vier statt drei Streifen hat, einem dazu nicht passendem Hemd und einem etwas prolligen Silberkettchen um den Hals (Kostüme: Sophie Peters) wirkt er nicht unbedingt wie der Sänger einer Bluegrass-Band, wären da nicht seine Cowboystiefel. Doch genau diese Musik Amerikas scheint ihm Trost und Halt zu sein, denn sie spricht irgendwie auch von seinem Leben, dem eines normalen Menschen mit normalen Problemen und Sehnsüchten. Das Land Amerika und seine Musik liebt er, auch wenn er seine „Einwohner“ nicht besonders schätzt. Und er liebt noch etwas bzw. jemanden: Elise (Julia Philippi). Eine Hotpants tragende Tätowiererin aus Wuppertal, die eine ähnlich traurige Kindheit hinter sich hat und durch Didier die Liebe zu den mal sentimentalen, mal lebensfrohen Songs entdeckt. Sie stehen ganz im Bann der Musik und geben sich daher auch andere Namen: Aus Didier wird Monroe –
von Bill Monroe den Erfinder des Bluegrass –; aus Elise wird Alabama, nicht nach dem Bundesstaat, sondern nach dem Volksstamm, der sie auf die Namensänderung gebracht hat: In diesem Stamm ist es üblich, seinen Namen zu wechseln, wenn derjenige der Meinung ist, dass er nicht mehr derselbe Mensch ist wie zuvor. Man gibt sich dann einen neuen Namen, der besser zu einem passt.
Sie leben ihre Liebe in vollen Zügen aus und wie es manchmal so geht, entspringt aus dieser wilden Liebelei ein Kind: Maybelle – hier ist die Bluegrass-Legende Maybelle Carter die Namenspatronin. Das Familienglück scheint perfekt, bis Maybelle gerade sechs oder sieben Jahre alt, erkrankt und zwar so schwer, dass sie ins Krankenhaus muss. Trotz dutzender Untersuchungen kriegen die Ärzte jedoch nicht raus, was dem Kind eigentlich fehlt. Über dem Leid der Tochter zerbricht, wie so oft auch in der Realität, das Familienidyll. Als Maybelle nach langem Kampf schließlich stirbt, beginnt der letzte Teil der Liebesgeschichte und wenn es bisher nicht schon schmerzhaft genug war, dann bohren sich die Bilder und Worte kurz nach Maybelles Tod sicher tief ins Gedächtnis und machen klar, was für nicht mehr zu heilende Wunden der Tod eines Kindes verursachen kann.
John Heldenberghs und Mieke Dobbels Stück über den Schmerz und das Leid von Eltern eines todkranken Kindes benutzt die Countrymusik als Katalysator für die angestauten Emotionen. Wenn sie verliebt sind, können sie zusammen singen, wenn sie traurig sind ebenfalls, aber auch jeder für sich allein. Trauer, das sagt Elise, ist das persönlichste – man kann sie nicht teilen. Hier liegt sicher auch der Grund, warum sie mit Didier nicht mehr zusammenbleiben kann: Sie trauert anders und versucht anders mit dem Tod der Tochter umzugehen als ihr Mann.
Hausregisseur Simon Solberg hat eine ungewohnt zurückhaltende Inszenierung auf die kleine Werkstattbühne gebracht. Das beginnt schon beim Bühnenbild, das er ebenfalls gestaltet hat: Da Didier und Elise ihr eigenes „kleines Amerika“ gründen wollen, gestalten sie das Stück Land nach ihren Vorstellungen. Da stehen also zwei blattlose Bäume, eine Menge Autoreifen, die beiden Mikrofonständer und natürlich der Musiker Philip Breidenbach im Hintergrund. Mehr braucht es nicht. Oder doch – einen kleinen Bach, der an den Fluss Jordan aus dem berühmten Song von Johnny Cash „Wayfaring Stranger“ erinnern soll und ähnlich wie der Hades das Land der Lebenden und Toten trennt. So wirkt auch die Inszenierung wie die zwei Seiten derselben Medaille. In der ersten Hälfte wird alles etwas überzeichnet bunt, fröhlich und lustig dargestellt, sodass selbst die überhaupt nicht schöne Kindheit der Protagonisten irgendwie witzig ist. Der Bruch erfolgt dann schlagartig mit der Erkrankung Maybelles. Nun muten alle Albernheiten gezwungen an und die Verzweiflung angesichts der endlosen Untersuchungen, die keine Hilfe oder wenigstens Linderung für Maybelle schaffen, bricht sich immer wieder ihre Bahn. Hier gewinnt die Inszenierung deutlich an Stärke. Es sei hier nur angedeutet, dass es zu noch einem Unglück kommt, um nicht alle Überraschungen vorweg zu nehmen. An dieser Stelle hätte das Stück natürlich enden können, doch ist es mittlerweile möglicherweise etwas unmodisch geworden, die Stücke wie in der Antike mit dem Heldentod enden zu lassen. Daher gibt es eine Rückblende, die sich sehr ausführlich mit dem Thema des Lebens nach dem Tod auseinandersetzt. Für den Atheisten Didier ist das eigentlich vollkommen unmöglich, für Elise der letzte Strohhalm, an den sie sich klammern kann, damit ihre Tochter noch irgendwie mit ihr verbunden bleibt. Die Fragen sind tief existenzieller Natur, die wir uns alle einmal im Leben stellen müssen. Eigentlich sind die Dialoge nicht schlecht, auch das Spiel ergreifend, aber es wirkte nun leider etwas nachgeschoben, obwohl es wahrscheinlich eine Art letzten, hoffnungsvollen Höhepunkt darstellen soll; verständlich bei so viel Unglück (Dramaturgie: Nadja Groß). Hier muss die Autorin eingestehen, dass sie weder die viel gelobte Verfilmung von 2012 noch die Vorlage kennt, möglicherweise war dieses Ende also so vorgesehen und keine Idee des Regieteams.
Erstaunlich war sicherlich, wie gefühlvoll und harmonisch Daniel Stock und Julia Philippi zusammen mit Philip Breidenbach die Songs vorgetragen haben (auch wenn sie natürlich nicht ganz an die Originale heranreichen). Dabei nahmen die musikalischen Einlagen aber nicht den Sprechteilen die Show weg, sondern es hielt sich gut das Gleichgewicht. Gerade in den Szenen äußerster elterlicher Verzweiflung litt der Zuschauer mit den beiden. Mancher emotionaler Ausbruch wirkte aber auch etwas „too much“, aber da kann man sicher unterschiedlicher Meinung sein.
Doch auch wenn hier ein paar kritische Töne gesprochen werden, möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass obwohl es bereits die dritte Vorstellung war und nicht die Premiere, wo sich doch auch oft Freunde und Verwandte einfinden, das Publikum sehr laut und lange geklatscht und auch gejohlt hat. Somit beuge ich mich der eindeutigen Begeisterung und finde, dass die Mischung aus Musik und Theater, von Witz und Leid gerade für Theatereinsteiger gut geeignet ist, da die Geschichte klar erzählt wird. Also wer die kleinen Schwächen verschmerzen mag, sollte seine Cowboystiefel auspacken und in die Werkstattbühne losreiten.
Rebecca Telöken