Eine bitterböse Parodie des Lebens

(Vorschaubild (c) Thilo Beu)

Erste Premiere im Schauspielhaus war ein voller Erfolg

Mit vielen Neuheiten startete das Theater Bonn in die Spielzeit 2018/2019. Bei der ersten Premiere am 14. September im umbenannten Schauspielhaus in Bad Godesberg gab es einen tosenden Schlussapplaus für die Schauspieler sowie für das gesamte Regieteam. Hausregisseur Simon Solberg eröffnete die Spielzeit mit CANDIDE ODER DER OPTIMISMUS nach Voltaire.

(c) Thilo Beu

Die Handlung kurz im Überblick: Zu Beginn befinden wir uns in Westfalen. Genauer gesagt im Schloss des Barons von Thundertentronckh, einem Freiherren. Selbiger hat nicht nur eine schöne Tochter namens Kunigunde sondern auch einen unehelichen Neffen Candide. Dieser wird von seinem Onkel aus dem Schloss geworfen, nachdem Kunigunde und er sich annäherten. Auf seiner erzwungenen Reise um die Welt, die er nun antritt, erlebt Candide Worst-Case-Szenarien wie Kriege, Gefangenschaft, Sklaverei, Folter und Naturkatastrophen. Dabei findet er sich unter anderem in beschaulichen Städten wie Venedig wieder. Nachdem auch Kunigunde ihre Heimat verlassen musste, da das Schloss in Westfalen zerstört wurde, sucht Candide jeden Kontinent nach ihr ab.

Ein kurzer philosophier Exkurs: An sich klingt die oben kurz zusammengefasste Geschichte bereits sehr aufführungsreif. Das war sie allerdings noch nicht. Zu erwähnen wäre da noch, dass Candide vor seinem Rausschmiss in die große weite Welt einen Lehrer namens Pangloss hatte, der Philosoph war. Dieser Philosoph überzeugte seinen Schützling von der Theorie, dass er „in der besten aller möglichen Welten lebe und, dass alles so gut sei, wie es ist.“ Dabei betrachtet man die Welt oder eine bestimmte Sache nur von seiner besten Seite, hat eine lebensbejahende Grundeinstellung Inne und schaut vollkommen positiv auf die Dinge, die da kommen mögen. Kurz, der pure Optimismus. So weit so gut. Pangloss ist aber eine Art Tarnname für einen Kollegen Voltaires. Die Theorie der besten aller möglichen Welten stammt vom Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz, der zum Zeitpunkt der Entstehung der Novelle bereits verstorben war.

Auf seiner Reise durch sämtliches Übel und andere Katastrophen kommt Candide natürlich sehr ins Zweifeln, sodass das Stück mehr wie eine Parodie auf Leibniz‘ Theorie rüberkommt. Und genau so hatte sich Voltaire das auch gedacht. Der contraire Philosoph war überzeugt vom Skeptizismus und Pessimismus – also vom kompletten Gegenteil der leibniz’schen Auffassung – und nutzte aus diesem Grund Leibniz‘ Theorie, um in einer satirischen Weise seine eigene Weltphilosophie darzustellen. Dies gelingt Voltaire mithilfe seines „Antihelden“ und gleichzeitigem Versuchskaninchen Candide. Somit handelt es sich bei CANDIDE ODER DER OPTIMISMUS um nichts anderes als um eine Geschichte, die zeigt, welche schlimmen Folgen eine zu naive Sicht auf die Wirklichkeit haben kann.

(c) Thilo Beu

Viel fürs Auge…: Bei der visuellen Gestaltung setze Solberg auf besonders starke Bilder. Die Grundgestalt der Szenerie zu Beginn des Stücks ist eine schiefe Scheibe auf einer Holzhalterung die fast die gesamte Bühne einnimmt. Aus dieser Ausgangslage werden immer wieder neue Bilder gebaut. Aus den einzelnen Teilen der Scheibe entstehen Hausdächer, Bäume und Paläste. In Kombination mit aufwendigen Lichtdesign und -effekten (Sirko Lamprecht) entstehen eindrucksvolle Illusionen: Mal eher farbenfroh und schrill, mal ein zwielichtiges Spiel aus Licht und Schatten. Franziska Harm arbeitete an der Bühne mit und war für die Kostüme verantwortlich. Was die Garderobe der Schauspieler angeht – da ist wirklich alles mit dabei. Von vor Sarkasmus triefenden Fat-Suits, über detailgetreue Uniformen, dreckige Lumpen, halben Clownsgesichtern, Kriegsbemalung und funkelnden Kleidern, bis hin zu langen Mänteln und Hexenhüten. Wie gesagt, viel fürs Auge in jeglicher Hinsicht. Beeindruckend, Daumen hoch!

…und für die Ohren: Hinter oben benannter Scheibe befindet sich das kleine Lager einer Live-Band von Jann Marvin Beranek, Lukas Berg, Philip Breidenbach und Samuel Reissen. Candide ist weit mehr als ein einfaches Schauspielstück. Wenn man genauer hinhört, kann man sogar eine kleine Musikdramaturgie erkennen. Wie ein roter Faden zieht sich beispielsweise das Liebes-Leitmotiv, mal instrumentalisch, gesummt oder gepfiffen, durch den gesamten Abend. Möglicherweise kann man hier sogar von Musiktheater oder Musical sprechen, denn die Darsteller sorgen mal mit lauten und mal leisen Tönen für viel Abwechslung. Es wird auch viel gesungen und dabei Lebensgeschichten erzählt, Schicksale beschrieben und einige Begebenheiten aufgeklärt. Eine passende Überraschung!

 

Der fast dreistündige Abend ist sehr kurzweilig. Neben den visuellen und audi-technischen Effekten liegt das an der Leistung der Schauspieler. Beinahe alle sind neu am Bonner Theater. Fast jeder schlüpft im Laufe des Stückes in mehrere verschiedene Rollen. Neben der Geschichte um die Welt, gibt es auch viele komische und vor Ironie triefende Momente im Stück – wir erinnern uns an Voltaires Parodie. Daniel Stock gibt den Candide, mal cool, verzweifelt, sarkastisch, lässig und dabei immer sehr unterhaltsam und meistens amüsant. Sein Gegenstück Kunigunde wird gespielt von Annika Schilling, mit Herz und Ausdruck sorgt sie für viel Leben auf der Bühne. Pangloss, der Großinquisitor, der Statthalter, der Greis und der Senator – sie alle heißen Wilhelm Eilers und sind durch selbige stets nicht zu verachtende Charaktere. Christoph Gummert spielt den Baron, Martin, den Kaufmann und den Späher und bringt viel Mystik sowie Witz mit in das Stück. Annina Euling ist die Zofe und Paquette und sorgt bei den Zuschauern dafür, dass man auch den unscheinbareren Rollen mehr Aufmerksamkeit schenkt als sonst. Ganz viel Spaß machen die Darstellungen von Timo Kähler als Cacambo und Jakob, einfach echt und originell. Unterstützt wurde das Ensemble von Studenten der Alanus-Hochschule, als Soldaten, Ureinwohner und mehr bringen sie viel Bewegung in den Abend.

Bei CANDIDE ODER DER OPTIMISMUS handelte es sich um einen Premierenabend der besonderen Art. Dass nun etwas Neues beginnen soll, merkte man nicht nur an den Worten des neuen

(c) Thilo Beu

Schauspieldirektors Jens Groß, der sich vor Beginn der Vorstellung an das Publikum wandte. Groß wies auf die Wichtigkeit des Austausches am Theater hin. Auch wenn es einem nicht gefallen haben sollte, solle man doch bitte auch zur Premierenfeier im Anschluss bleiben. Da das Theater immer noch eine offene Plattform sei, die man schützen solle und dazu diene verschiedene Weltansichten darzustellen und sich über diese zu verständigen, gerade dann wenn sie einem zunächst nicht gefallen sollten. Seiner Einladung folgten übrigens viele Gäste und trafen sich nach der Vorstellung im neugestalteten Foyer des Schauspielhauses. Kurz vor einer zweiten Ansprache des Theatermachers blätterten dabei Mann und Frau im ebenfalls neugestalteten, ansprechenden Programmheft.

Abschließend ist der Abend schlichtweg ein Gesamtkunstwerk. Mit starken Bildern und Texten in Kombination mit reichlich Musik hat man als Zuschauer ab und zu vielleicht das Gefühl von „Reizüberflutung“ – allerdings im positiven Sinne. Es handelt sich um einen anregenden Abend mit viel Herz, Witz, großartigem Spiel und Charme. Die Lachmuskeln im Zuschauerraum sollten nach den kurzweiligen Stunden nicht zuletzt durch Anspielungen auf bekannte Phantasie- und Science-Fiction-Filme, Wortspielen wie „Bonn-es-Aires“ und die ein oder andere einfach nur lustige Darstellung bestens trainiert sein. Mit allen Mitteln parodieren die Darsteller jegliches Klischee was es auf der Welt auch nur geben mag. Das Wichtigste ist hierbei: man versteht alles (Dramaturgie Nadja Groß). Durch das flexible Bühnenbild und durch den ständigen Rollenwechsel auch in eine Erzählerrolle, versteht man die Vorkommnisse in der „Manege der Welt“ ganz genau und entdeckt immer wieder kleine versteckte Messages. So ist für jeden etwas dabei und es wird nie langweilig! Ein perfekter Start mit viel Energie und die neue Spielzeit! Bitte mehr davon!

Die nächsten Vorstellungen sind am 30. September und an mehreren Terminen im Oktober.

Kim Sterzel

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