Schuld, Blut und Vergebung?

(Vorschaubild (c) Thilo Beu)

Aischylos‘ Orestie im Schauspielhaus Bonn feiert Premiere

Der Abend beginnt mit der Retrospektive des Zweimann-Chores bestehend aus Moritz Löwe (auch Musik) und Bernd Braun, die dem Zuschauer die Vorgeschehnisse aus Troja näher bringen. Im Hintergrund hört man Regen vom Himmel prasseln. Die karge felsige Landschaft, die Jil Bertemann geschaffen hat, passt sich dieser Ödnis an; kein Land in dem man gerne Leben würde oder in das man gerne zurückkehren möchte, denkt sich wohl manch einer.

(c) Thilo Beu

Die Orestie – eine Trilogie des griechischen Dichters Aischylos aus 458 v. Chr. – setzt (sozusagen) an die „Iphigenie bei den Taurern“ an. Iphigenie – die Tochter des Königs Agammemnon wurde von ihrem eigenen Vater geopfert, um seine Schiffe sicher übers Meer nach Troja zu kommen. Zehn Jahre nach dem Opfer kommt der siegreiche König nach Hause zurück – die Orestie beginnt. Aus Rache für den Tod der Tochter ermordet die Königsgattin Kytaimnestra sowohl Agammemnon als auch seine Geliebte. Um diesen Mord zu rächen, verbünden sich die beiden verstoßenen Kinder Orest und Elektra. Orest bringt daraufhin seine Mutter und deren Geliebten Aigisth um. Man könnte an dieser Stelle auf die Idee kommen, die gesamte Familie sei äußerst aggressiv. Alle Personen im Stück eint jedoch der Fluch der Atriden:

In jeder Generation werde sich ein Mörder gegen seine Familie wenden. Ihren Ursprung findet der Fluch bei Tantalos. Er ist bei den Göttern sehr beliebt, möchte diese aber auf eine Probe stellen. Er serviert den Göttern seinen eigenen Sohn Pelops. Als diese die grausame Tat durchschauen, verfluchen sie Tantalos. So tötet der Enkel des Tantalos die Kinder seines Bruders und serviert sie diesem wiederum als Mahlzeit. An dieser Stelle kommt auch Aigisth mit dem Fluch in Berührung: Er ist der Bruder der verspeisten Kinder. Agammemnon führt den Fluch durch das Opfern seiner Tochter weiter; seine Frau und sein Sohn morden ebenfalls in der Familie. Erst mit Orest gelangt der Fluch zu einem Ende. Von den Rachegöttinen verfolgt, wird dieser von der Göttin Athene gerettet und vor ein Schwurgericht gestellt und eben nicht wiederum von seiner Familie ermordet.

Neben der Rückschau, verrät der Chor zugleich auch erst noch kommende Ereignisse, die er eher spöttisch kommentiert, weiß er doch schon um alle Bluttaten, die zu erwarten sind. Freudig überbringt er der Königsgattin Klytaimnestra die Botschaft von der Rückkehr ihres Mannes aus dem trojanischen Krieg und setzen so eine Maschinerie aus Rache und Schuld in Gang.

(c) Thilo Beu

Doch der vielversprechende Anfang des Abends von Marco Štormann (Regie) kommt ins Stocken. Die zu Beginn noch betonte Schwere und Ernsthaftigkeit auf den Gemütern kippt bald mit Kassandras Prophezeiung (Daniel Breitfelder). Wild wehendes blondes Haar, Heulschläuche und Leuchtstrahler lassen den eigentlich erschreckenden Moment der Verkündigung des Gattenmordes glatt vergessen bzw. wird der Mord selbst fast übersehen, dieser geschieht nämlich bereits still und heimlich, während das Unheilswort noch ausgesprochen wird. Weniger flott geht es bei der Tötung Kassandras im Anschluss zur Sache. Der Todeskampf der Tochter des troischen Hauses dauert unendlich lange, dabei versuchen es Klytaimnestra (Sophie Basse) und ihr Liebhaber Aigisth (Christian Czeremnych) wirklich mit aller Kraft. Schließlich muss es doch die Königsgattin mit bloßen Händen tun, bevor die Seherin den letzten Atemzug tut (und bevor Aigisth die Kettensäge zum Einsatz bringen kann).

Durch die starke Kürzung des Textes (Dramaturgie: Male Günther und Carmen Wolfram), die zwar durchaus auch eine Erleichterung für den Zuschauer sein kann, findet dieser aber nicht richtig in das Stück hinein. Das liegt wahrscheinlich an den sowieso schon schwierigen Familienverhältnissen und Verstrickungen, allerdings wird sich der Zuschauer, dem das Original nicht geläufig ist, möglicherweise fragen, wer eigentlich der anfangs so schweigsame junge Mann ist, der die Königin küsst (während ihr Mann sich über Kassandra hermacht). Er stellt sich später als Aigisth raus. Sieht er doch mit seiner Kleidung, die in futuristisch silbernen Stoff glänzt, dem Königshaus zugehörig aus – Klytaimnestra und später ihre Kinder Orest (Sören Wunderlich) und Elektra (Sandrine Zenner) tragen gleiche Kleider, während der zehn Jahre abwesende Agamemnon in rosa Anzug und später Oberkörperfrei mit dicken Goldketten behangen fast archaisch wirkt. Das wiederum passt zu seiner aus Troja geraubten Sklavin Kassandra, die nichts außer einer Unterhose trägt (Kostüme: Bettina Werner, Rabea Stadthaus). Hier wurde zum einen durch dieses einfache Mittel indirekt angedeutet, wie lange Agamemnon weg war und wie weit sich das Königspaar auch seelisch voneinander entfernt hat; zum anderen stellen die Kostüme die Verhältnisse der Figuren zueinander dar.

(c) Thilo Beu

Der bewegendste Moment des Abends war Sophie Basses Ansprache, als sie dem Publikum entgegentritt und sich für den Mord an ihrem Ehemann rechtfertig. Jener Mann hatte doch zuerst ihre Tochter Iphigenie geopfert hatte, damit er mit gutem Wind nach Troja segeln konnte, um dort die Frau seines Bruders zurück zu holen. Kann man einer Ehefrau mehr Schmach und Leid antun? Und tatsächlich hat der Zuschauer das Gefühl die Beweggründe der Mörderin nachfühlen zu können. Daher ist es fast paradox, dass der Racheakt des Orest an seiner Mutter, angestachelt durch seine Schwester Elektra, dem Publikum grausamer vorkommt als der Gattenmord – völlig abstrus wirkt dann erst recht der Freispruch Orestes durch das von der Göttin Athene einberufene Gericht, da Štormann dieses Teil des Stückes nur in wenigen Sätzen andeutet und so die Argumentation für eine Begnadigung nicht nachzuvollziehen ist.

Es ist schade, dass die eigentlich wichtigen und denkwürdigen Momente wie Kassandras Vorhersage oder auch das Gespräch zwischen Orest und seinem Vater bezüglich der Rache für seinen Tod so komisch untermalt werden, dass die Tragik der Situation gar nicht zum Tragen kommt.

Ebenso wird auch der beginnende Wahnsinn des Orestes, der trotz Freispruch von Schuld geplagt wird, nicht ganz deutlich. Sein Wahn, der durch die Rachegöttinnen – den Erinnyen – ausgelöst wird, verfolgt ihn trotz Freispruch.

Nicht zuzuordnen war schließlich das große Familienzusammentreffen vor einem technisch raffiniert aufgeklappten Blockturm, der sehr an DDR-Zeiten erinnerte. Immerhin, der Bezug zum Spielzeitmotto wurde klar: trotz des Freispruchs des Orestes, ist eine Welt, in der eine Mutter Rache für geopfertes Kind nimmt und ein Sohn, der seine Mutter wiederum aus Rache an dem Vater tötet, keinesfalls die perfekte Welt. Man hätte hier vielleicht sogar noch etwas mehr draus machen können. Viele in der Vergangenheit öffentlich diskutierten Gerichtsentscheide wären hier gute Anknüpfungspunkte gewesen, stattdessen präsentierte sich der Abend als eher offenes und wenig harmonische Darbietung; eine konsequente Entscheidung zwischen einem schlichten Aufbau und einer eher bunten Präsentation, wie in der Vorhersagung von Kassandra zu sehen, hätte den Inhalt der griechischen Tragödie besser zur Geltung gebracht. Trotzdem sind vor allem Sophies Basses und Wolfgang Rüters spielerische Leistungen positiv hervorzuheben.

Tabea Herrmann & Rebecca Telöken

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