IM SÜNDENREIGEN

Fritz Kater alias Armin Petras Uraufführung blut wie fluss tanzt zwischen Vergangenheit und Gegenwart

Bereits zum zweiten Mal in dieser Saison beschäftigt sich eine Inszenierung im Schauspiel Bonn mit der politischen Vergangenheit der ehemaligen Bundeshauptstadt. Während Rainald Grebe sich im vergangenen Monat an einer bunten Godesberg-zentrierten Komödie versuchte (Theatral berichtete), konzentriert sich Fritz Kater (alias Armin Petras) in seinem Stück BLUT WIE FLUSS nur einer politischen Person: Willy Brandt. In dessen Regierungszeit von 1969 – 1974 pickt sich Kater die Affäre um Günter Guillaume (1974) und die Ostverträge heraus. Damit setzt Kater ein klares Zeichen gegen eine nostalgische Bonn-Rückschau. Zudem schlägt er durch den Einsatz fiktiver Charaktere, die im Jahr 2015 aufeinandertreffen, eine Brücke zu unserer Gegenwart. Die Uraufführung fand am 31. März im Schauspielhaus Bonn statt.

Katers Stück ist eine sehr komplexe Angelegenheit, das Kater durch Szenenüberschriften zu gliedern sucht. Diese Szenenüberschriften sind die Sieben Todsünden: Zorn, Hochmut, Neid, Habgier, Trägheit, Völlerei und Wollust. Eigentlich ein Thema, das seit dem Spielfilm „Sieben“ mit Brad Pitt in der Hauptrolle verbraucht scheint, doch erfreuen sich (wenn man so will) die schlimmsten der menschlichen Eigenschaften immer noch einer großen Popularität, wie die gleichlautende Premiere im April zeigt.
Doch will Kater mehr als nur den inhaltlichen Bezug zu den Sünden, die die Schwächen der Protagonisten hervorheben.

Viele Figuren – viele Geschichten

Nicht füreinander bestimmt – Marta und Terodde alias Sandrine Zenner und Daniel Stock. Foto (c) Thilo Beu

Im Stück selbst ist es der erfolglose Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Terodde (Daniel Stock), der einen Roman über die Sieben Todsünden schreiben will, aber zu keinem Ende findet. Gleichzeitig wird er ebenfalls ein Opfer der Sünden.
Ob der Begriff Opfer bei allen Figuren passt, ist fraglich, bei manchen scheint es sich eher um Jüngerschaft zu handeln. So ist das Kapitel um Willy Brandt, seinem persönlichen Sekretär Guillaume, der eigentlich für die DDR spioniert und Guillaumes Sohn Pierre , mit der Todsünde „Superbia“ – Hochmut überschrieben. Guillaume war sicherlich kein Opfer seiner Hochmut, sondern überzeugter Täter.
Eine weitere wichtige Figur im Stück ist Milena (Annika Schilling). Sie erscheint in gleich mehreren Szenen. In der ersten, Ira – „Zorn“, sieht man sie noch als junges Mädchen, das von ihrem Vater Lennart (Wilhelm Eilers), einem Wasserbauingenieur, angeekelt ist, weil er ihre Mutter mit der Sekretärin Willy Brandts, Frösi* (Ursula Grossenbacher), betrügt. Sie ist es, die den wichtigen Anruf des rasant steigenden Rheinpegels nicht an ihren Vater weitergibt und damit Menschenleben gefährdet. Besagte Milena ist zudem die Ex-Freundin des durch einen Unfall entstellten Terodde. Da Milena mittlerweile als Professorin für Geschichte an der Uni Erfolg hat, passt der „Versager“ Terodde nicht mehr in ihr Leben. Sie trennen sich. Er lernt daraufhin auf einer Zugfahrt die junge Moldawierin Marta (Sandrine Zenner) kennen, die aus ihrer Heimat vor der Armut geflohen ist und nun auf einer Apfelplantage arbeitet. Auf sie ist Terodde neidisch, da sie einfach ihr Land verlassen hat und schämt sich, weil er so denkt („Neid“). Da auch Terodde von etwas Leben muss, da es mit dem geplanten Roman ja nicht klappt, jobbt er in einem Café, wo Frösi regelmäßig einkehrt. Dort arbeitet auch der jungen Biologie-Studenten Yussuf (Christian Czeremnych), der aus Palästina stammt. Frösi wünscht sich ein Baby, obwohl sie schon fast 70 ist, und will sich von Yussuf beraten lassen in Bezug auf Leihmutterschaft. Jener wird am Ende ein Zukunftsversion in einer Tagung vortragen, in der die Natur, nachdem der Mensch sich selbst zerstört hat, sich langsam wieder ihre Herrschaft über den Planeten zurückerobern wird. Ist das nun romantisch oder beängstigend?

Wie viel ahnt Sohn Pierre von dem doppelbödigen Spiel seines Vaters? (Links Christian Czeremnych, rechts Daniel Stock, im Hintergrund Wilhelm Eilers). Foto: (c) Thilo Beu.

Die Spannung entsteht durch die verwebten Schicksale aller Figuren miteinander und ins teils sehr überraschender Weise, dabei werden auch Zeitsprünge von mehreren Jahrzehnten in Kauf genommen. Die Zeitebenen zwischen 1974 und 1993 halten vor allem Frösi und Lennart zusammen und die Erzählerin – bzw. Autorin bzw. Regisseurin (sie ist alles in einem): Lena Geyer. Ohne spezifische Rollennennung ist ihre Aufgabe, das weit verzweigte Konstrukt Katers miteinander in Beziehung zu setzen. Dem Zuschauer zu helfen, zu verstehen, in welchem Jahr, in welcher Szenerie man sich befindet. Gerade zu Anfang, wo die Beziehungen der Figuren untereinander noch unklar sind, sehr hilfreich. Später muss Geyers vermittelnde Rolle allerdings gebrochen werden, weil das bloße Erzählen und Kommentieren nicht mehr ausreicht. Man kann sogar sagen, ihre Figuren gehorchen ihr nicht mehr, weigern sich das zu tun, was sie sagt. Am deutlichsten in der Wiedersehensszene zwischen Milena und Terodde. Frustriert nimmt sie irgendwann hin, dass der Wille der Autorin zweitrangig ist, das Stück sucht sich seinen eigenen Weg.

Weniger ist mehr

Mit recht einfachen Mitteln, aber zum Teil wunderbaren Lichteinsatz (Thomas Tarnogorski), kommt die Bühne im Kleinen aus. In der Regel befinden sich kaum mehr als ein paar wenige Sitzmöbel auf der Bühne (Tom Musch), mal sogar nur eine Türe, die ausreicht um Welten entstehen zu lassen. Besonders beeindruckend ist eine Regenwand, die zu Beginn des Stückes den Blick auf die Szenerie verdeckt und bereits eine Vorahnung auf die kommenden Ereignisse gibt sowie auf die Flutkatastrophe von 1993 und Erinnerungen an 2021 hervorruft.

Immer wieder werden zudem Mitschnitte aus den berühmten Willy Brandt-Reden („Mehr Demokratie wagen“) und zu den Jahren passende Musik (Jörg Kleemann) eingespielt. Die eingespielten Reden Brandts klingen dabei als Vorwurf – haben wir heute die Demokratie verlernt? Die Frage muss sich jeder Zuschauer selbst stellen.

Die Kostüme (Katja Strohschneider) halten sich an das Zeitgeschehen, nur Milenas rotes Kostüm wirkt für eine Uniprofessorin etwas überkandidelt, bringt jedoch ihren Charakterzug der Frau, die bekommt, was sie will („Habgier“), gut zur Geltung.

Ist vielleicht Frösi am Ende die Gewinnerin aller Figuren? Ensemble v. l. n. r.: Wilhelm Eilers, Annika Schilling, Daniel Stock, Sandrine Zenner und Ursula Grossenbacher.
Foto: (c) Thilo Beu

Die Darsteller Wilhelm Eilers als Lennart (und Willy Brandt, hier allerdings schweigsam), Annika Schilling als Milena und Daniel Stock als Terodde (und Günther Guillaume) haben den Löwenanteil unter den Rollen erhalten, die sie mit besonderer scharfen Kontur zeichnen. Wobei Ursula Grossenbacher in einer kleineren Nebenrolle als Frau Willy Brandt und Großmutter von Marta ebenfalls eine schlichte Größe zeigt. Die Jungdarsteller Christian Czeremnych und Sandrine Zenner als Marta bzw. Pierre haben weniger Raum ihre Rollen zu entfalten. Czeremnych vor allem, da Pierre zum Zeitpunkt der Affäre seines Vaters erst 14 und bei dessen Verhaftung 16 Jahre alt war, wodurch erst gegen Ende eine richtige Reflexion über die Taten seines Vaters möglich ist. Zuvor fährt er als pubertierender Teenie auf seinem von Brandts Sohn geliehenem Fahrrad mit Fuchsschwanz über die Bühne. Czeremnychs wichtigster Auftritt ist aber sicher der als Yussuf, wenn dieser sein Umweltplädoyer in resignierter Weise vorträgt. Auch Sandrine Zenners Marta bekommt ihr Leben erst richtig eingehaucht, als sie in einem Gespräch mit Terodde von ihrer Schwester erzählt, die ebenfalls nach Deutschland kommt und auf die sie sich unbändig freut, waren sie doch Jahre lang getrennt.

Besonders beeindruckend ist jedoch eine Szene mit dem bereits gealtertem und auf der Intensivstation liegenden Lennart. Er wird wohl sterben müssen, da er ein neues Herz braucht. Im Angesicht des Todes hält er einen interessanten Monolog, den Kater vielleicht an Dürrenmatts Ballade „Minotaurus“ angelehnt hat. „Labyrinth“ lautete auch der Arbeitstitel des Stückes, bevor sich Kater für „blut wie fluss“ entschieden hatte. Das gefangene Ungeheuer kann aus seinem Labyrinth nicht entfliehen, aber es kann auch nicht sterben. „Der Mensch hat etwas gebaut, was es (das Ungeheuer) in Schach hält, aber es nicht tötet.“ Eine Metapher für den modernen Menschen. Sie baut dem Menschen unablässig Hilfen, die ihn am Leben erhalten, selbst wenn dieser es gar nicht möchte. So möchte Lennart nach seinem Zusammenbruch kein Herz transplantiert bekommen, aber seine Tochter Milena verstößt sogar gegen das Gesetz, um ihm ein Spenderherz zu besorgen, getrieben von einer plötzlichen Vaterliebe, die man ihr zu Beginn des Stückes gar nicht zugetraut hätte. Hier offenbart sich vielleicht auch eine kleine Schwäche, da im Stück nicht alle Geschehnisse en détail erzählt werden, bleiben manche Fragen, wie es z. B. zur Versöhnung zwischen Vater und Tochter oder wie es genau zum Bruch zwischen Milena und Terodde kam, offen. Letzten Endes bleibt sogar der Titel des Stückes ein kleines Rätsel. Kann man mit „Fluss“ noch den Rhein, Hochwasser, das Dahinfließen oder das Hinfortwaschen als Metapher verstehen, ist „Blut“ vielleicht mit Gewalt, dem Erbe oder auch der Blutschuld zu assoziieren. Zieht sich also Schuld und Gewalt durch den Strom der Geschichte?

Zieht man diese kleinere Schwächen ab, hat Kater einen insgesamt sehenswerten Abend gestaltet, der sich nicht allein durch geschichtliche Fakten trägt, sondern durch die Geschichten ihrer Protagonist*innen. Als zum Schluss erneut der Regen einsetzt und den Blick der Zuschauer wieder dem Geschehen entzieht, schließt sich der dramaturgische Kreis. Den vielen Erzählsträngen zu folgen, historische Fakten aufzunehmen und philosophischen Gedankengänge nachzuvollziehen fordert vom Publikum doch einiges an Aufmerksamkeit. Vor allem wenn eine mit Fachbegriffen überbordende Seminardiskussion gestartet wird, kann der ein oder andere schon mal abschalten. Nichtsdestotrotz lohnt sich die Konzentrationsleistung.

Rebecca Telöken

* Eigentlich hieß Brandts Sekretärin Rita Lintz. Über sie scheint es im Internet so gut wie keine Einträge zu geben.

URAUFFÜHRUNG – blut wie fluss – von Fritz Kater INSZENIERUNG: Armin Petras / MUSIK: Jörg Kleemann / BÜHNE: Tom Musch / KOSTÜME: Katja Strohschneider / DRAMATURGIE: Carmen Wolfram / LICHT: Thomas Tarnogorski PREMIERE: 31. März 2023, SCHAUSPIELHAUS Foto: (c) Thilo Beu
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