HOTEL GODESBERG FEIERT IM SCHAUSPIELHAUS PREMIERE
An was denkt der Bonner, wenn er „Godesberg“ hört? Welche Bilder, welche Menschen, welche Ereignisse sind im Gedächtnis der Menschen miteinander verknüpft?
Umso größer der Abstand zwischen Gegenwart und Vergangenheit ist, desto reizvoller ist es, diese vergangenen Epochen wieder zum Leben zu erwecken. So erschien erst vor kurzem die Miniserie „Bonn“ und im vergangenen Jahr ein Film über die Geschichte des Rheinhotels Dreesen. Bonn, die ehemalige Hauptstadt der kurzen Wege, ist wieder ins Interesse der Öffentlichkeit gerückt. Und auch wenn der Titel des Stückes „Hotel Godesberg“ im ersten Moment an den Fernsehfilm anknüpfen zu wollen scheint, legt Regisseur Rainald Grebe und sein Team den Schwerpunkt doch ganz anders.
Wir blicken vom Zuschauerraum in einen mit Liebe zum Detail ausgestatteten Speisesaal. Im Hintergrund sind große Fenster mit Flügeltüren, die den Blick auf das romantische Siebengebirge freigeben. Die Möbel sind allerdings noch mit weißen Laken verdeckt, so wie man es aus britischen Filmen kennt, wenn die aristokratische Familie ihr Sommerdomizil aufsucht und das bis dato stillgelegte Gebäude aus seinem Winterschlaf gerissen wird. Auf beiden Seiten der Bühne befinden sich große Türen, rechts dazu die Rezeption. Auf der linken Seite ragt ein Wasserhahn aus dem Mauerwerk – man denkt an den Draischbrunnen, dessen Wasser im 19. Jh. Godesberg zum Kurort machte. Über dem Brunnen sind sogar, wenn ich mich nicht täusche, die Daten des Rheinhochwassers notiert. Die Bühne (Jürgen Lier) vermittelt auf diese Weise den Charme des Boulevardtheaters im positiven Sinn. Die Chefin des „Rheinhotels“ (Sophie Basse) und ihr Team bestehend aus zwei Liftboys bzw. Pagen (Christoph Gummert und Sören Wunderlich), dem Dienstmädchen (Ursula Grossenbacher) und dem Rezeptionisten bzw. Concierge (Wilhelm Eilers) sind selbst noch etwas verschlafen, während die Chefin durchgeht welche Gäste für den Tag erwartet werden, wer in welchem Saal untergebracht ist und was bis dahin erledigt sein muss. Dabei erinnern die schwarzen Pagenanzüge, die bleichen Gesichter und das zum Teil wirre Haar (Kostüme Kristina Böcher) an eine abgespeckte Version der Rocky Horror Picture Show oder an Leichenbestatter. Hat sich das Hotel schon selbst überlebt?
Doch was wäre ein Hotel ohne seine Gäste? Und von diesen gibt es reichlich viele und völlig losgelöst von seiner Historizität begrüßt der Concierge Charlie Chaplin, Queen Elizabeth, den ertaubten Beethoven und sogar Hitler darf auf die Verschwiegenheit dieses Hotels setzen. Er ist ein Gast wie jeder andere. Nun, wie fast jeder andere. Denn neben diesen Prominenten gibt es auch noch fünf „Menschen aus Godesberg“, wie es im Programmheft heißt. Sie sind Standbesitzer, Altenpfleger, Ehefrauen von DBK*-Pressesprechern und tragen im realen Leben die Namen Rüdiger Bauer, Mechthild Hammerschmidt, Ulrike Morfopoulos, Ralf Reifenberg und Sue Schulze. Sie bilden das „normale“ Bürgertum gegen das mondän-politische Bonn ab.
Dazu kommen noch die Musiker einer Live-Band, die sich harmonisch in das Bühnenbild einfügen. Es spielen Jasin Mjumjunov, Christina Ardelean Montelongo, Jens-Karsten Stoll und Poolad Torkamanrad für Hotelgäste und Publikum.
Die Inszenierung trägt sich also durch drei Elemente: die politischen Szenen, die musikalische Einlagen und die Erzählungen der „alteingesessenen“ Godesberger. Leider geht diese Konstellation nicht ganz auf bzw. vielleicht wäre sie aufgegangen, wenn man sich über die Richtung einig gewesen wäre. Also politische Rückschau? Bürgerliche Satire? Melancholische Heimatrevue? Etwas, was es in erster Linie wohl nicht sein wollte: provozierend. Obwohl durchaus kritische Töne fallen: So werden immer wieder die Vorbehalte der „Godesberger“ gegen die arabisch/türkischen Mitbürger eingespielt, womit man auch das historische Parkett verlässt und sich gegenwärtigen Problemen zuwendet. Auf der anderen Seite ist die Figur eines Nazis (Hitler?) zwar präsent, doch ohne eine bedrohliche Aura auszustrahlen. Er darf sogar mit einem blauen Pezzi-Ball, möglicherweise die Welt, kunstvoll auf der Bühne tanzen, mit der Welt spielen, und dafür auch noch vom Publikum Applaus erhalten. Ist das nun das komisch-passende Stilmittel, um uns vor Augen zuhalten, wie der Nationalsozialismus auch in Bonn aufgenommen wurde: stillschweigend bis bewundernd? Oder ist diese Tanz-Performance doch zu kurz gegriffen?
Eine tiefere Auseinandersetzung scheint aber auch nicht gewollt zu sein, denn das Theater spricht in seinem Programm von „Schlaglichtern“ und das bleiben die kurzen Szenen auch. Dafür wird fast alles angeschnitten, was in Godesberg (und Bonn) von politischer Relevanz war. Vom Grundgesetz zum Godesberger Programm, Adenauers Tod, die Rede Genschers in der Redoute (zu Gast war der Außenminister von Saudi-Arabien), das Ende Bonns als Hauptstadt nach der Wiedervereinigung. Dies erfordert von den Schauspielern sehr viel Flexibilität, da ihre Rollen andauernd wechseln. Das erzeugt eine gewisse Dynamik, aber lässt wenig Raum, diese Rolle zu entfalten, womit wir wieder bei den Schlaglichter wären.
Hinzukommen noch akustische Einspielungen, vorüberziehende Gestalten, so dass ein Feuerwerk unerzählter Geschichten entsteht, die mitunter auch nur zur Kenntnis genommen werden können, weil nicht immer die Stimmen aus Interviews eingeordnet werden können (zumindest bei jüngerem Publikum mit weniger Politikwissen). Dennoch sind es erhellende Augenblicke. Wer der jüngeren Generation erinnert sich heute zum Beispiel noch daran, dass es einst das Fernsehmagazin „Bericht aus Bonn“ gab? Welche Bedeutung es hatte, wird indessen nicht ganz klar, da alle Berichte eher seltsam, denn wichtig anmuten – wie alles in der Inszenierung, selbst, wenn es um den Tod Adenauers geht, dessen Politik man nicht mögen muss, um dennoch dessen Bedeutung ermessen zu können.
Also ist in Godesberg alles in Ordnung? Zumindest die für das Programmheft ausgesuchten Zitate von Friedrich Schlegel, Johann Schwanns** und Ralph Giordano*** suggerieren, dass Godesberg einer der „schönsten“ Orte, „ein Garten Gottes“ und gelebte „Multikulti“-Gesellschaft ist. Nur Giordano ahnt 1997, dass dieses Paradies, in Gefahr ist und das friedvolle Miteinander kippen könnte, wie die bereits erwähnten Zitate der Godesberger Bürger zeigen.
Dem Stück zu unterstellen es wäre reine „Rheinromantik“ ist somit sicher verkehrt, denn es gibt diese Untertöne, die aber so harmlos daherkommen und von der gemütlichen Musik glatt weggeschunkelt werden. Wenn man dann noch „Ons Heimat is Bad Jodesberg“ von Heinz Schneefeldt mitsingt, (Text ebenfalls im Programmheft) sitzt man schon fast auf einer Karnevalssitzung, nur ohne bissige Büttenreden.
Wer allerdings Spaß am Namedropping, heimatlichen Klängen (der Gesang des Ensembles und die Band ist wirklich hörenswert), kurzen Sketchen und vereinzelten kritischen Tönen hat, die einen doch daran erinnern, dass eben nicht alles so schön und heiter ist, wie „es die Alten besingen“, dem ist der Abend ans Herz zu legen. Wer eine schärfere Konfrontation mit der Godesberger Vergangenheit und Gegenwart erwartet, wie sie in vergangenen Inszenierungen immer wieder gezeigt wurde (z. B. Bonnopoly), der wird an dem Abend weniger auf seine Kosten kommen.
Rebecca Telöken & Vera Kunze

*DBK = Deutsche Bischofskonferenz, Sitz in Bonn.
** Ein Bonner Arzt, der als erster die Geschichte des Draischbrunnens niedergeschrieben hat und somit geholfen hat, Godesberg zum Kurbad zu machen.
*** Schriftsteller, Publizist, Filmregisseur. Drehte z. B. Den Film „Die Juden von Königswinter“ (WDR 1987). Er setzte sich lange mit dem Holocaust auseinander; sein erfolgreichster Roman, Die Bertinis (1982), erzählt die autobiographische Geschichte einer jüdischen Familie aus Hamburg vom 19. Jahrhundert bis kurz nach dem Zweiten Weltkrieg.