(Vorschaubild (c) Thilo Beu)
„Was das Leben aus uns macht, dafür können wir was. Jeden Tag.“
In seiner sechsten Inszenierung für das Theater Bonn widmet sich Martin Nimz dem Stück „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ von Eugene O’Neill. Es feierte am 18. Januar Premiere im Schauspielhaus.
Die Bühne wirkt außergewöhnlich groß; so leer ist sie nur in wenigen Produktionen im Schauspielhaus. Im Mittelpunkt des Stückes steht die Familie Tyrone – vier Personen und ihr Hausmädchen. Mehr braucht es nicht. Eugene O’Neill verarbeitete in „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ seine eigene Kindheit. Die Nähe zum eigenen Leben ist sehr ausgeprägt, selbst die Namen der Figuren stimmen mit den realen Personen überein. Einzig er selbst hat den Namen mit seinem verstorbenen Bruder getauscht.

Der jüngste Sohn der Familie heißt damit Edmund (Gustav Schmidt). Seine Tuberkulose tut die Familie irrtümlicherweise als leichte Sommergrippe ab. Wie der Vater wollte sein älterer Bruder Jamie (Sören Wunderlich) Schauspieler werden, ist aber gescheitert und jetzt alkoholabhängig. Auch damit gleicht er dem Vater: James Tyrone (Wolfgang Rüter) war erfolgreicher Schauspieler, handelt jetzt mit Grundstücken und ist ebenfalls süchtig. Alle drei sorgen sich um ihre Mutter und Frau Mary (Sophie Basse) – sie gab für James ihren Jugendtraum Nonne zu werden auf. Seit der Geburt Edmunds ist sie morphiumabhängig, auch mehrere Entziehungskuren halfen nicht. Offen besprochen wird das jedoch nicht. Dazu kommt, dass sie stark unter ihrem Leben ohne festes Zuhause leidet. In der Spielzeit reist die Familie mit James mit und lebt in Hotels; den Sommer verbringen sie in einem Sommerhaus, das mehr ein Ort der Abschottung als ein Zuhause ist.
„Eines langen Tages Reise in die Nacht“ verläuft nur in eine Richtung: Der Zuschauer begleitet die Familie abwärts, immer tiefer in ihre tragischen Lebensumstände und immer weiter in die Nacht hinein. Es gibt kein klassisches Happy End, kein Umdenken – die handelnden Personen werden weder gerettet noch gehen sie wirklich unter. Nach und nach tun sich hinter der idyllischen Fassade immer mehr Risse auf, die mit jeder Szene tiefer werden. Das Publikum verlässt die Familie in der Nacht. Dann, wenn jeder seinen individuellen Tiefpunkt erreicht hat, fällt der Vorhang. Die Familie Tyrone – so scheint es – wird den nächsten Tag genauso leben.
Was jetzt wie eine zutiefst deprimierende Vorstellung klingt, hat durchaus seinen Reiz. Es ist eine Analyse der Familie und der Konstellation der einzelnen Personen. Keiner hasst sich – es ist eher

ihre Liebe zueinander, die zur Tragik der ganzen Situation beiträgt. Oder wie O’Neill selbst es beschrieb: „[E]ine tief tragische Geschichte, aber ohne irgendeine gewaltsame dramatische Handlung. Am Schluss sind sie immer noch da, durch die Vergangenheit ineinander verfangen, jeder schuldig und gleichzeitig unschuldig, sich gegenseitig verachtend, bedauernd, liebend, verständnisvoll und dennoch überhaupt nicht verstehend, vergeben, aber dazu verdammt, nie vergessen zu können.“
Ein Höhepunkt des Stückes ist die Wutrede des angetrunken Hausmädchens Cathleen (Sandrine Zenner), die bis dahin ein wenig wie das Beiwerk der Familie wirkt. Sie hält dem Ehepaar Tyrone und seinen Kindern den Spiegel vor und beschreibt schonungslos den Alltag der alkohol- und drogenabhängigen Familie. Dabei ist sie die einzige, die es schafft, so etwas wie eine positive Wende der Situation zu kreieren – die Situation der Familie ist eben nicht unabwendbar, sondern an vielen Stellen hausgemacht. Und so endet der Tag mit Mary im Morphin-Rausch sowie James, Jamie und Edmund betrunken am Boden.
Trotz seiner deprimierenden Geschichte ist „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ eine empfehlenswerte Inszenierung. Martin Nimz zeigt zusammen mit den Schauspielern sehr sensibel die psychologischen Abgründe und gerade die Widersprüche in jeder Figur, die sich scheinbar nicht entscheiden können zwischen Vorwurf und Verständnis gegenüber den anderen. Eine interessante Analyse.
Die nächsten Vorstellungen finden am 1.2., 16.2. und 20.2. statt.
Tabea Herrmann