(Vorschaubild (c) Mark Noormann)
Theater Wahlverwandte zu Gast im Schauspielhaus Bonn
Am vergangenen Wochenende (10. und 11. November) gastierte das Theater Wahlverwandte aus München im Schauspielhaus Bonn mit der aus ihrem Repertoire stammenden Inszenierung von Madam Bovary.
Diese auf dem Roman von Gustav Flaubert basierende Geschichte zeichnet das Leben von Madame Bovary (meist Emma genannt) nach, die sich als junges Mädchen in den Arzt Charles Bovary verliebt und nach ihrer Hochzeit verbittert feststellen muss, dass dieser mit ihrem Intellekt nicht mithält und ihre Sehnsucht nach der großen weiten Welt auch nicht nachvollziehen kann. Aus Langeweile und der sie umgebenden Tristes erliegt sie, nachdem sie lange die Moral schützend vor sich gestellt hatte, auf einem rauschenden Ball den geschickten Verführungskünsten des Gutsherrn Rudolphe Boulanger.
Emma genießt ihr neues Leben als Geliebte, denn in ihren zahlreichen Romanen, die sie bereits als Mädchen und noch mehr als Charles gelangweilte Ehegattin verschlungen hatte, hatte sie sich stets ein ähnlich aufregendes Leben gewünscht wie die in den Büchern lebenden Geliebten und reichen Damen. An einer Stelle sagt sie: „Ein Mann ist wenigstens frei, eine Frau liegt an tausend Ketten!“ und bringt damit ihre ganze Misere und den Hunger nach selbstbestimmten Leben auf den Punkt.
Diese Vorbilder wecken in Ihr auch die Lust nach Reichtum, von dem Charles ebenso wenig besitzt wie Persönlichkeit, und dieser wird bald Emmas zweiter großer Laster. Sie kauft, berauscht vom adeligen Leben, teure Kleidung, Schmuck und Parfums bei dem Tuchhändler Lheureux ein, gibt sich wie eine ganz große Dame. Da ist es auch nicht weiter schlimm, wenn Rudolphe sie sitzen lässt, denn bald tun sich neue Vergnügungsmöglichkeiten auf.
In Rouen trifft sie den Jurastudenten Léon Dupuis, fängt mit ihm ebenfalls eine Liaison an und verdrängt dabei immer mehr die sich immer weiter aufhäufenden Unsummen.
Als Lheureux sich nicht weiter vertrösten lassen möchte, scheint zunächst mit dem Tod der Schwiegermutter das Problem aus der Welt geschafft. Um der Schande ihrem Mann ihre Luxuseinkäufe gestehen zu müssen zu entgehen, lässt sie daher Charles, während der noch um die Mutter trauert einen Vertrag unterzeichnen, der sie zur Verwalterin des Erbes erklärt. Doch schnell ist klar, dass selbst das üppige Erbe nicht reicht, um die Schulden zu begleichen. Verzweifelt wendet sie sich an ihren alten Liebhaber Adolphe, der sie aber abweist, ebenso ihre letzte Eroberung Léon. Nachdem sie einsehen muss, dass alle ihre Träume eben nichts weiter waren als das: Tagträumereien in einer empfindlichen Seifenblase, die früher oder später platzen musste, bricht sie zusammen. Als dem klärenden Gespräch nicht länger auszuweichen ist, sieht die Grande Dame nur noch einen Ausweg…
Das Ensemble, bestehend aus Lisa Wildmann (Emma), Christian Kaiser (Charles), Ursula Berlinghof (die Schwiegermutter u. a.), Hans Piesbergen (Rudolphe u.a.) und Sebastian Strehler (Léon u. a.), haben das gut gefüllte Schauspielhaus aufs beste unterhalten. Durch eine sensible Mischung aus Humor und Ernst waren die gut 2,5 Stunden abwechslungsreich. Die minimalistische Ausstattung aus drehbaren weißen Stellwänden, einem roten Sofa und Kinobankreihe wurde optimal und facettenreich in das Spiel einbezogen (Ausstattung: Stefan Morgenstern). Die vor Sehnsucht nach einem anderen Leben lechzende Emma wurde von Lisa Wildmann durchgängig konsequent gespielt, die Entwicklung vom naiven Mädchen bis zur an der Realität zerbrochenen Madame Bovary nachvollziehbar dargestellt. Besonders gut war Ursula Berlinghof, die für gute Stimmung im Publikum sorgte, nicht nur als garstige Schwiegermutter sondern auch als umtriebiger Apotheker. Christian Kaiser als Charles rief ebenso Mitleid mit dem ahnungslosen gehörnten Ehemann hervor wie vollstes Verständnis für Madame Bovary, die sich eben nicht (mehr) als einfache Landarztgattin sehen mochte. Doch vor allem das harmonische und stimmige Spiel und die schlagfertigen bis gefühlvollen Dialoge machten den Abend besonders spannend und ließen das Publikum am Ball bleiben (Dramaturgie: Wolfgang Seidenberg). Der reichliche Applaus unterstrich die Darbietung.
Rebecca Telöken
Wer das Theater Wahlverwandte auch gerne einmal erleben möchte, der kann sich auf deren Website die auswärtigen Spieltermine gerne notieren.
Tipp: am 13. Februar 2019 spielt das Ensemble Madame Bovary noch einmal in Gummersbach.