VOM ENDE DER WELT

Am 28. Oktober feierte Volker Löschs Inszenierung RECHT AUF JUGEND seine Premiere im Schauspielhaus. Dabei darf „feiern“ ruhig wörtlich verstanden werden. Selten gab es so viel Zwischenapplaus und Beifall bei einem derart ernsten, dystopischen Thema. Der nicht enden wollende Schlussapplaus zeigte einerseits die Anerkennung des Publikums für die großartige schauspielerische Leistung, die packende Inszenierung, aber auch die Unterstützung des politischen Anliegens.

In seinem auf Arnolt Bronnens Drama Recht auf Jugend beruhenden Text verbindet Lothar Kittstein den Kampf der Jugend gegen die Welt der Erwachsenen mit dem Kampf gegen den Klimawandel, der heute vor allem von einer jungen Generation geführt wird. Das Stück wurde zusammen mit Vertretern des Aktionsbündnisses Die letzte Generation realisiert und gleicht einer Anklage.

Zunächst befinden sich die sieben Vertreter der jungen Generation (Markus Bachmann, Linda Belinda Podszus, Zoe Ruge, Paul Michael Stiehler, Irma Trommer, Tim-Jakob Wechselmann-Cassim, Sandrine Zenner) in weißen Overalls in einem ebenso vollkommen weißen Raum. Einzig kleine neonfarbene Akzente werden durch Halstücher oder Sneaker gesetzt. Sie bewegen sich in krampfhaften Verrenkungen und scheinen gegen etwas Unsichtbares anzukämpfen. Dieses Etwas ist zwar unsichtbar, nicht aber unausgesprochen: Die Paris Ziele* können schon jetzt nicht mehr erreicht werden. Die nächsten zwei bis drei Jahre sind für den Klimaschutz entscheidend. Kipppunkte* werden schon heute erreicht und die Welt sieht tatenlos zu.

RECHT AUF JUGEND. Ensemble. Foto: (c) Thilo Beu

Die Jugend ist laut und wütend – teilweise verzweifelt. Unterstrichen wird dies dadurch, dass sie, zwar in wechselnden Konstellationen, aber doch fast immer chorisch sprechen. Hierdurch wird eine Atmosphäre geschaffen, die fast greifbar ist: Die Jugend steht gemeinsam auf für ihre Rechte. Teilweise wird das Publikum geradezu angebrüllt, um endlich aufzuwachen.

Im Verlauf des Stücks treffen sie auf verschiedene Akteure aus der „Welt der Erwachsenen“ (jeweils gespielt von Sophie Basse und Daniel Stock). Ein erstes Streitgespräch erfolgt mit den Eltern. Diese sind hin- und hergerissen zwischen ihrer Begeisterung für das Engagement ihrer Kinder und der Sorge, dass aus ihnen „nichts wird“, wenn sie sich vollkommen dem Aktivismus verschreiben und ihre Ausbildung deshalb nicht verfolgen. Sie halten den Aktivismus für eine Phase – eine jugendliche Laune, die nicht vollkommen ernst genommen wird.

Wahrscheinlich erkennt jeder im Publikum zumindest Passagen dieses Gesprächs aus eigener Erfahrung wieder. Das lockert die Stimmung auf. Eine gewisse Komik wird auch dadurch erzeugt, dass die Eltern versuchen, sich wie Jugendliche zu verhalten – oder zumindest so wie sie sich vorstellen, dass Jugendliche sich verhalten würden. Gefühlt wurden hier die Rollen vertauscht. Das Lachen bleibt einem aber gleich wieder im Hals stecken, wenn man zurück beim Thema ist.

Ein Highlight des Abends ist sicherlich der chorische Monolog der Eltern, der in einem unglaublichen Tempo den deutschen Behördenapparat mit seiner Bürokratie nachzeichnet. Diese kleinen lustigen Momente werden gut platziert und sind auch dringend notwendig, um das Stück nicht zu düster und belastend werden zu lassen. Gleichzeitig wird es dem Ernst des Themas aber gerecht und wirkt nicht zu klamaukig.

Nach den Eltern nimmt sich die Jugend die Politik und damit direkt den Bundeskanzler vor. Diese Episode ist angelehnt an ein Gespräch des Bündnisses Die letzte Generation mit Olaf Scholz nach der Bundestagswahl 2021, zu dem sich der frisch gewählte Bundeskanzler erst nach einem 27 Tage dauernden Hungerstreik einiger Aktivisti bereit erklärte. Im Stück steht die wütende Jugend dem Plattitüden von sich gebenden, aber nicht zuhörenden, Olaf Scholz gegenüber – der Frust der Aktivist ist förmlich mit Händen greifbar.

Im weiteren Verlauf des Stücks werden die Jugendlichen auch noch einer Vertreterin der Grünen und Christian Lindner gegenüberstehen. Die Resultate sind, wie in der Realität auch, ernüchternd. Dazwischen versuchen sie sich Unterstützung durch die Presse zu sichern, die ihre Worte im Endeffekt allerdings auch wieder nur zu reißenden Überschriften verdreht. Insgesamt laufen die Jugendlichen permanent in Sackgassen, während sich Politiker auf ihre Kosten profilieren – echte Hilfe kommt nicht.

Tanz den Lindner. Foto: (c) Thilo Beu

Während sich die Jugend weiter radikalisiert, sich mit den Handflächen an den Asphalt klebt und Blockaden verursacht, muss sie sich gleichzeitig auch mit dem Vorwurf auseinandersetzen, dass ihre Aktionen hochmütiger Oberschicht-Aktivismus wären. Einen solchen „Luxus“ könnten sich einfache Arbeitende nicht erlauben. Die, bevor sie an das Überleben der Menschheit denken könnten, erst einmal die nächste Mahlzeit verdienen müssen.

Im Endeffekt wird diese Spannung nicht aufgelöst – vermutlich ist sie auch nicht aufzulösen. Es bleibt die Frage, wie weit werden die Jugendlichen gehen, wie weit werden sie gehen müssen, bevor sie endlich ernst genommen werden?

Besonders hervorzuheben, ohne zu viel verraten zu wollen, sei noch das Bühnenbild (Valentin Baumeister), welches die Dramatik des Stücks perfekt unterstreicht und tolle Bilder erzeugt.

Als Fazit lässt sich sagen, dass hier dem Anliegen des Bündnisses Die letzte Generation und dem Klimaschutz im Allgemeinen eine beeindruckende Bühne geboten wurde. Es ist inspirierend und erschütternd zugleich. Es ist toll zu sehen, wie Menschen für eine gemeinsame Sache aufstehen und sich nicht gescheut wird unbequeme Wahrheiten auszusprechen und anzuprangern.

Katharina Wigger

*Info Kasten: Paris Ziele und Kipppunkte
Im Jahr 2015 einigte sich die Staatengemeinschaft erstmals völkerrechtlich verbindlich darauf, gemeinsam den Klimawandel zu bekämpfen. Konkret heißt es in dem Abkommen, dass der weltweite Temperaturanstieg möglichst auf 1,5 Grad Celsius, auf jeden Fall aber auf deutlich unter 2 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter beschränkt werden soll. Nur so könne eine gegenüber den Folgen des Klimawandels widerstandsfähige Entwicklung gewährleistet werden[1].
Größtenteils wird mit dem Klimawandel der langsame und kontinuierliche Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperatur assoziiert. Es gibt allerdings bestimmte Schwellen, die, wenn sie überschritten werden, drastische Veränderungen für das Weltklima bewirken. Diese sogenannten Kipppunkte (orig. Tipping Points) zeichnen sich durch abrupte Klimaänderungen, unumkehrbare Prozesse und langfristige, starke Klimaänderungen aus. Beispiele für solche Kipppunkte sind das Schmelzen des Grönländischen Eisschildes, die Störung des indischen Monsuns sowie die Austrocknung und der Kollaps des Amazonas-Regenwaldes. Bei all diesen Folgen des Klimawandels ist nicht bekannt, wann sie eintreten werden. Es ist allerdings sicher, dass sie in Gang gesetzt werden – wenn sie nicht bereits unumkehrbar in Gang gesetzt wurden. Es besteht die Gefahr, dass diese drastischen Klimaänderungen die Anpassungsmöglichkeiten der menschlichen Gesellschaft überfordern und Anpassungen nicht mehr rechtzeitig möglich, oder nur noch mit extrem hohem Aufwand und Kosten realisiert werden können. Deshalb müssen die anthropogenen Emissionen von Treibhausgasen zwingend gemindert werden[2]. Das Umweltbundesamt spricht sogar davon, dass „der Mensch […] mit dem anhaltenden Ausstoß von Treibhausgasen ein globales Experiment mit der Lufthülle seines Planeten [macht], von dem er nicht genau weiß, wie es ausgehen wird“[3].


[1] https://www.bmz.de/de/service/lexikon/klimaabkommen-von-paris-14602.

[2] Hintergrundpapier des Umweltbundesamts „Kipp-Punkte im Klimasystem – Welche Gefahren drohen?“, abrufbar unter https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/publikation/long/3283.pdf.

[3] Ibid. S. 22.

RECHT AUF JUGEND. von Arnolt Bronnen und Lothar Kittstein INSZENIERUNG: Volker Lösch / BÜHNE: Valentin Baumeister / KOSTÜME: Teresa Grosser / LICHT: Max Karbe / DRAMATURGIE: Lothar Kittstein, Jan Pfannenstiel PREMIERE: 28.10.2022, SCHAUSPIELHAUS. Foto: (c) Thilo Beu
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