RITT AUF DER WELLE DER EMPÖRUNG

Minutenlanger Applaus mit vielen Jubelrufen, so endete die Premiere von PUSSY RIOT – Anleitung für eine Revolution am 15. Okt. 2022 in der Werkstattbühne des Bonner Theaters.

Wir müssen uns nun damit beschäftigen, ob dieser Applaus verdientermaßen den tatsächlich starken Auftritten der Schauspieler Markus J. Bachmann, Linda Belinda Podszus und Birte Schrein sowie der Regie (Max Immendorf und Linda Belinda Podszus) und den andren Mitwirkenden galt.

Bei PUSSY RIOT handelt es sich nicht um ein klassisches Theaterstück. Es ist, wie es das Theater selbst nennt, eine szenische Einrichtung des Buches „Anleitung für eine Revolution“ der russischen Aktivistin Nadja Tolokonnikowa. Diese kam mit der gegen das russische Regime gerichteten Protestgruppe „Pussy Riot“ zu tragischer Berühmtheit, als alle Mitglieder 2012 in einer gegen Putin und die ihn unterstützende orthodoxe Kirche gerichteten Aktion in der Christ-Erlöser-Kirche in Moskau verhaftet wurden. Was darauf folgte, war eine jahrelange juristische Verfolgung. Heute sind die Protestierenden wieder frei. Die 50-minütige Inszenierung gibt ihre Berichte zu den Protestaktionen, den staatlichen Repression, ihre Analysen zum religiös-politischen System und ihrer Zeit im Straflager wieder.

Linda Belinda Podszus und Birte Schreib wollen, dass sich etwas ändert (c) Thilo Beu

Den Inszenierenden gelingt es, die Zitate aus dem Buch mit Emotionen von Widerstandsgeist und Hoffnung zu transportieren. Die besondere Konzeption der Werkstatbühne, die das Publikum nah und oberhalb des Geschehens sitzen lässt, lässt die Bühne minimalistisch eingerichtet wirken. Der zentrale dreigliedrige Podestaufbau, dekoriert mit Elementen aus der orthodoxen Liturgie und der russischen Kultur, wirkt als einziges größeres Bühnenelement. Dieser nimmt im Laufe des Stückes die verschiedenen Handlungsorte des Geschehens an: von den Orten des Protestes über die Verstecke bis hin zur Isolationszelle im Straflager.

Das Licht (eingerichtet von Jana Erbling) unterstreicht erst dezent aber betont, später immer deutlicher die Dramatik, die in den sachlich formulierten Worten steckt. Zum Ende hin wird die Inszenierung durch die Lichteffekte getragen, die durch den pointierten Wechsel zwischen hell und dunkel nicht nur die Dramatik der Szene verstärken, sondern den Zuschauern auch aus dem Fluss der Handlung reißen, um ihn mit bis zum dramatischen Ende zu nehmen.

Kehren wir also noch einmal zum Schlussapplaus zurück: An wen richtet er sich und wer hat ihn verdient? Die Entscheidung zur Umsetzung fanden erst im April 2022 statt, um sich auch im Theater mit Krieg in der Ukraine indirekt auseinander zu setzten. Allein in so kurzer Zeit – vom Planungsbeginn bis zur Premiere – ein Theaterstück auf die Beine zu stellen, ist schon eine hervorzuhebende Leistung. Zudem gelingt es dem Regieteam, den Text des Buches schauspielerisch eindrucksvoll darzustellen. Der besonders lange und intensive Applaus ist an die Menschen dieser Inszenierung gerichtet, berechtigt für die erfolgreiche und emotional mitnehmende szenische Einrichtung. Gleichzeitig ist er aber auch ein Ausdruck einer inneren Anspannung des Publikums über das aktuelle Kriegsgeschehen und die damit wieder in den Blick geratenen Situation der unter dem russischen Regime lebenden russischen Bürger. Er bietet ein Ventil für diese Anspannung und ist damit eben auch der thematischen Auseinandersetzung mit dem Zeitgeschehen geschuldet. Es bleibt offen und für jeden selbst zu beurteilen, ob diese Auseinandersetzung in angemessener Weise ein gesellschaftliches Bedürfnis erfüllt oder nur dem Zeitgeist hinterherläuft.

Jorg Stephan Kahlert

Minimalistisches Bühnenbild und viele Lichteffekte: Birte Schrein, Linda Belinda Podszus und Markus J. Bachmann arbeiten mit begrenzten Mitteln effektiv. (c) Thilo Beu
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