Scherben bringen nicht immer Glück

Premiere im Schauspielhaus: Der zerbrochne Krug

Wie ein zerbrochener Krug eine Familie und das Vertrauen in eine gerechte Ordnung zerstört, zeigt Jens Groß‘ neue Inszenierung DER ZERBROCHNE KRUG von Heinrich von Kleist. Diese feierte am 19. November Premiere im Theater Bonn. Das Theater war auch am zweiten Tag gut besucht, dennoch war eine gewisse Anspannung in der Luft.

Ob es wegen Corona ist oder weil die Zuschauer*innen, nachdem der Vorhang aufgeht, direkt vor einem Gerichtssaal aus meterhohen Holzwänden, die das Bonner Wappen krönt (Bühne und Kostüme: Tom Musch) sitzen, bleibt offen. Die anfängliche Ehrfurcht gebietende Atmosphäre wird jedoch schnell durch den jammernden Richter Adam (Klaus Zmorek) und seinen Gerichtschreiber Licht (Wolfgang Rüter) aufgelockert. Dem Richter scheint in der letzten Nacht einiges passiert zu sein, da er zwei dicke Wunden am Kopf hat und zudem seine Perücke fehlt, die er angeblich entsorgen musste, weil eine Katze in ihr ihre Jungen bekommen hätte. Die Geschichte ist sehr abstrus und auch Licht mag dem ganzen fast nicht trauen, aber er wagt es natürlich auch nicht, seinem Vorgesetzten zu widersprechen. Als sich dann auch noch unerwartet die Frau Gerichtsrätin Walter (Merle Wasmuth) zu einer Inspektion ankündigt, bricht bei Richter Adam das Unbehagen aus. Schließlich ist Gerichtstag und draußen wartet schon eine ganze Meute an Klägern. Zu seinem Unglück besteht die Frau Gerichtsrätin nach ihrer Ankunft auch darauf, dass diese angehört und verhandelt werden.

(c) Thilo Beu

Die erste Klägerin ist die Mutter Marthe Rull (Ursula Grossenbacher), die ihre Tochter Eve (Lena Geyer) als Zeugin (und Opfer) dabei hat. Sie verklagt den netten, aber sehr eifersüchtigen Verlobten ihrer Tochter Ruprecht Tümpel (Markus J. Bachmann), der den sehr wertvollen Krug der Frau Rull in der vergangenen Nacht bei einem heimlichen Besuch zerbrochen haben soll. Ruprecht nennt sich jedoch unschuldig und verklagt hingegen Eve, da er in der Tatnacht einen Mann bei ihr ertappt und diesen todesmutig in die Flucht geschlagen habe. Nun will er die Auflösung der Verlobung, weil Eve ihm untreu gewesen sein soll. Unterstützung findet er in seinem Vater Veit (Wilhelm Eilers), der erbittert um die Unschuld seines Sohnes kämpft. 

Nur Eve allein weiß, wer den Krug zerbrochen hat und in jener Nacht bei ihr war: Es war Richter Adam, der sie in jener Nacht erpresst und bedrängt hat. Der zerbochene Krug ist nämlich nicht nur ein wertvolles Artefakt der Familie, sondern ist zugleich Sinnbild für den Sündenfall, auf den auch die Namen der Protagonisten – Adam und Eve = Eva – sowie ein kleines Kruzifix hinter dem Richterstuhl hindeutet. Eve schweigt, um ihren Liebsten zu schützen, vielleicht auch, um sich selbst zu schützen. 

Richter Adam versucht indes schnellen Prozess zu machen, wird aber von Gerichtsrätin Walter daran gehindert. Die Gerichtsrätin Walter legt nämlich großen Wert auf Korrektheit und so kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen und Reibungen mit Richter Adam. Auch der Versuch die Rätin unter Alkoholkonsum für sich zu gewinnen, scheitert, denn immer mehr Beweise gegen den Richter kommen ans Licht. Als es für den Richter zu heiß wird, verhängt er kurzum ein Urteil gegen Ruprecht, wegen der Zerstörung des Krugs und verschwindet durchs Fenster. Daraufhin bricht Eve ihr Schweigen und erzählt der Gerichtsrätin die ganze Wahrheit.

(c) Thilo Beu

Obwohl Kleists Stück so viel Stoff für die Probleme unserer Gesellschaft verspricht (Vertrauen in eine gerechte Ordnung/Liebe/Familie) und heute aktueller denn je sein könnte (#metoo-Bewegung), entschied sich Regisseur Jens Groß dafür, dem Stück keinen neuen Anstrich zu verpassen. Der Text von Kleist wird für Kleist-Liebhaber nur leicht gekürzt übernommen und so sprechen die Darsteller in Blankversen miteinander. Das stellt für heutige Ohren doch eine gewisse Herausforderung dar und ist auch mitunter ermüdend. Alleine die schauspielerische Darstellung von Richter Adam und Gerichtsrätin Walter bringen etwas Schwung in die Sache, wenn sie sich Wortgefechte liefern oder der kleist’sche Humor zum Tragen kommt. Doch das Stück erlebt keinen Höhepunkt und bringt auch keine wirklichen Emotionen hervor. Selbst dann nicht als Eve unter Tränen ihre traumatische Geschichte erzählt. Das Ende fällt somit sehr nüchtern aus und gibt den Zuschauern keine Zufriedenheit oder Anlass nach dem Stück hitzig zu debattieren, was doch so einfach gewesen wäre. So hat sich das Wort von Richter Adam „So trägt jeder den leid’gen Stein zum Anstoß in sich selbst“ hier leider nicht durchsetzen können.

Ricarda Telöken

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