Sascha Hawemanns Inszenierung NOVEMBER feierte am 26. Novmber Premiere auf der Werkstattbühne
„Punk in West-Europa war ein popkulturelles Phänomen mit politischen Ursachen. Punk in der DDR dagegen war ein politisches Phänomen mit popkulturellem Hintergrund.“ So die Definition der Seite „toomuchfuture“, die anlässlich einer vor ein paar Jahren gezeigten Ausstellung über die Punk-Bewegung in der DDR erstellt worden ist. Diese Seite der Punkbewegung greift Sascha Hawemann in seiner neusten Inszenierung NOVEMBER bewusst oder unbewusst auf, indem er seine drei Protagonisten: Micha (Christoph Gummert), Frank – genannt „Fotzo“ (Holger Kraft) und Phil (Sören Wunderlich) auf eine Zeitreise ihrer Freundschaft schickt, die in Berlin ihren Anfang nimmt. Premiere feierte Hawemanns Stück am 26. November auf der Werkstattbühne.

Die drei Jungs sind nicht dumm, können aber mit der Schule und ihrem die DDR verherrlichenden Schulunterricht nichts anfangen und handeln sich dadurch immer wieder Ärger ein. Diesen „Systemverweigerern“ muss die aufkommende Punk-Kultur dann wie ein rettender Anker vorkommen, denn hier können sie sich ausleben, ihre Meinung kund tun ohne Hemmungen, ohne Vorschriften, die sonst überall auf sie lauern. Der rettende Anker ist zugleich eine Waffe: die Musik ist laut, aggressiv und spricht die Probleme, die die Menschen haben, offen an. Der vom Staat ausgeübte Druck und seine penible Kontrolle bis hinein ins Privatleben boten genug Anlass zur Auflehnung. Dieser offene Widerstand wiederum wirkte auf den Staat bedrohlich genug gegen die Jugendbewegung rigoros vorzugehen. Das ging sogar so weit, dass ab 1985 Punks die Ausreise aus der DDR zur Wahl gestellt wurde, wenn sie nicht lieber ins Gefängnis wollten.
Punks gibt es heute immer noch, gerade in Berlin, einem der ersten Zentren Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre. Die drei Männer im Stück sehen allerdings eher, wie eine Light-Version der einstigen Punks aus. Statt Lederjacke mit zerfetzten Hosen und bunten meterhohen Frisuren tragen die Drei „nur“ dezente weiße Tanktops auf denen unter anderem das berühmte God-save-the Queen-Cover der Sex Pistols zu sehen ist (Kostüme: Ines Burisch). Ihre Haare sind normal gestylt und das hat sicher auch praktische Gründe, denn die einstigen Systemverweigerer haben trotz der Repressalien durch ihre Lehrer und später durch die Polizei und Stasi „Karriere“ gemacht: Phil ist Filmregisseur geworden, trägt jetzt eine dicke schwarze Brille und Jackett, er steckt gerade in seinem neuen Filmprojekt fest; Micha arbeitet als Redakteur bei der FAZ, Haare gestriegelt und ebenfalls Jackett-Träger und Fotzo ist ein nicht ganz so erfolgreicher Puppenspieler geworden; sein bunt gestreifter, etwas weiter Pulli erinnert an einen Öko. Er ist der alten Punk-Szene noch am meisten verbunden, wodurch er manchmal fast wie ein Relikt aus einer vergangenen Zeit wirkt. Mit dieser Abkehr vom Punk, der aber weiterhin Bestandteil der Persönlichkeiten aller Protagonisten ist, knüpft Hawemann an tatsächliche Biographien aus der Kulturwelt an, die in der Punk-Bewegung groß geworden und dann ins Theater, Fernsehen oder zu großen Tageszeitungen gewechselt sind. Natürlich erst nach der Wende im November 1989.
Aber nicht nur die Biographien einzelner Schicksale beleuchtet Hawemann, sondern auch das politische Geschehen wird nicht unkommentiert gelassen – kann gar nicht unkommentiert belassen werden. Und so ist der Zuschauer live dabei, wenn Jugoslawien zusammenbricht und in Zagreb der Krieg beginnt – Orte, die mit der ersten großen Liebe oder der Vergangenheit von Phils Mutter in Verbindung stehen. Die Mutter (Ursula Grossenbacher) ist im Übrigen auch eine überraschend vielschichtige Figur, ruhig wie ein Geist, gebrochen, voller Erinnerungen, bei denen man sich nie sicher ist, wie man sie nun einzuordnen hat. Sie wird eine Schriftstellerin der DDR, die mit dem Fall der Mauer in die Bedeutungslosigkeit versackt – ein Schicksal, das vielen DDR-Schriftsteller*innen widerfahren ist und die man heute erst nach und nach wiederentdeckt. Ihr Schicksal steht stellvertretend für viele Berufe, Firmen und Leben, die durch den Mauerfall eben nicht das bessere Los gezogen haben und wo die Auswirkungen bis heute nachwirken.
Wo es um Punks geht, darf natürlich die Musik nicht fehlen und so werden die Szenen der wilden Jugendjahre von den Tönen der Sex-Pistols, aber auch von The Cure begleitet, obwohl Letztere nicht unbedingt eine richtige Punk-Band ist. Von den Songs damaliger Berliner DDR Punk-Größen wie Schleimkeim oder Wutanfall lässt Hawemann dann doch lieber die Finger. Sicher nicht die aller schlechteste Entscheidung, wenn dadurch auch deutlich Authentizität verloren geht.
Sprachlich werden die Rückblenden im Jargon der Punk-Szene gehalten, vermischt mit ostdeutschen Dialekten. Eingebettet wird die Alltagssprache in prosaische Texte. In diesen spiegeln sich besonders schön die Erinnerungen Phil an seine Liebe (ebenfalls verkörpert durch Ursula Grossenbacher), die ihn genau wie der Punk über Jahre hinweg begleitet, aber auch die zum Teil schwierigen Gespräche mit seiner erkrankten Mutter, die dem verlorenen „wahren“ Sozialismus hinterhertrauert.
Das Gefühl des Gefangenseins, der Sehnsucht nach einer anderen Welt wird gut durch eine gläserne Mauer zwischen dem Publikum und den Spieler*innen verdeutlicht. Sie trennt die eine Hälfte der Welt von der anderen. Dennoch lässt sie zu, dass man durch sie hindurchsehen kann in eine andere Welt, in die man vielleicht gerne gehen würde, vor der man sich aber vielleicht auch fürchtet, weil sie nicht das bereit hält, was man sich erträumt hat (Bühne: Wolf Gutjahr).
Der Abend, den Hawemann zusammen mit der Dramaturgin Carmen Wolfram geschaffen hat, ist sehr dicht und durchaus anspruchsvoll, vielleicht wollte Hawemann auch etwas zu viel in dieses eine Stück reinpacken, manchmal hatte man das Gefühl, man hätte den Fokus lieber nur auf einen der Stränge gehabt entweder auf der Freundschaft der Ex-Punker oder die Liebesgeschichte, auch wenn im wahren Leben diese auch so ähnlich ablaufen. Ein paar Eckdaten der Geschichte des ehemaligen Ostblocks speziell Jugoslawiens sollte man zudem kennen, damit man die Geschehnisse schneller einordnen kann. Dank des körperlichen und spielerischen Einsatzes aller Schauspieler werden die zwei Stunden nicht langweilig, sondern machen neugierig, sich mehr mit der Subkultur der DDR und deren Jugend, die den Aufstand probte, auseinander zu setzen.
Rebecca Telöken