„Verhören, Foltern, Verbrennen, Prost!“

Ein Bonner Hexenprozess zwischen Gericht und Zirkus

Beitragsbild (C) Thilo Beu

Volker Löschs Inszenierungen gehören mittlerweile schon fast zum festen Repertoire der Spielzeiten. Seine neuste Inszenierung verbindet in dieser Spielzeit die rheinländische Geschichte der Hexenverbrennungen mit der aktuellen Pandemiesituation. Das vorwiegende Gefühl bei beiden Ereignissen lautet „Angst“, so der Titel des Stücks. Premiere war Anfang November im Schauspielhaus Bad Godesberg.

Ein kurzer Blick in die Vergangenheit: Von beschaulicher Rheinidylle schien in der Frühen Neuzeit in Bonn jede Spur zu fehlen. Der Beginn des „Kölnischen Krieges“ 1583, gefolgt vom Dreißigjährigen Krieg, versetzte die Region in Angst und Schrecken. Ebenfalls Ende des 16. Jahrhunderts begann die Verfolgung von „Hexen“ im Rheinland, die ungefähr 30 Jahre dauern sollte. Der damaligen Auffassung zufolge, bereiteten die Hexen, auf Erden möglichst unerkannt, die Ankunft Satans in der irdischen Welt vor. Für diese Anschuldigung sah die Gesellschaft nur eine mögliche Strafe vor: Den Tod (meist nach einer qualvollen Folterperiode). Nach einer Anklage, konnte man dem Tod kaum noch entrinnen – und diese konnte aus den willkürlichsten Beschuldigungen entstehen. Bonn galt neben Köln im frühen 17. Jahrhundert als einer der Hauptorte der rheinischen Hexenverfolgung, an dem mehr als eintausend unschuldige Menschen hingerichtet oder zu Tode gefoltert wurden. 

Die historischen Fakten von damals treten im Stück als Requisiten oder Details auf – auch bei der Bonner Prozessordnung wird der Hexenhammer konsultiert. Im Zeichen der Angst mischen sich die Zweifel und Verunsicherungen, ausgelöst durch die Pandemie, sowie die Darstellung eines Hexenprozesses. In dieser Analogie wird die Hexe zur „Hure der Pharmaindustrie“ und das Publikum zu Zeugen einer immer größer werdenden Wut zwischen Impfungen, Grundängsten und Antichrist. 

Das Ensemble bewegt sich dabei auf einer Scheibe, die sich im Laufe des Abends in eine senkrechte Zielscheibe der Gesellschaft verwandeln wird. Auf diesem skurrilen Schauplatz, durchlaufen die Schauspieler*innen die unterschiedlichsten grotesken Spielsituationen. Neben dem dominanten Hexenprozess, findet auf der Bühne ein Maskenball, ein Bankett und ein chorischer Vortrag von Fakten und Ängsten ab. 

Wie bei Inszenierungen von Volker Lösch üblich werden auch dieses Mal Stimmen aus der Gesellschaft laut. Anders als bei den letzten Stücken in Bonn, wird die interaktive Recherchekomponente jedoch nicht durch einen Bürger*innenchor auf der Bühne erfüllt, sondern von einzelnen Videoprojektionen. In der Mitte des Stücks melieren sich Äußerungen der Angst zwischen Themen wie Antisemitismus, Rassismus, Homophobie und der Coronapandemie. Wenngleich man die Partien der Hexenverfolgung noch weiter von sich wegschieben konnte, machen die ehrlichen und teils schockierenden Statements den Abend noch schwerer, düsterer und gehaltvoller. Der Rechercheanteil in diesem Projekt bezieht sich allerdings nicht nur alleine auf die Statements: Mithilfe von vielen Zahlen und Namen, haben es Lothar Kittstein und Ulf Schmidt geschafft, mit viel Liebe zum wörtlichen Detail, einem Thema wie den Hexenprozessen eine realistische Dimension zu geben. Im Laufe des Stücks weitet sich dieser Realismus mithilfe der Fakten auch auf die Corona-Situation aus und lässt tiefer in die gesellschaftlichen Abgründe der (in erster Linie) letzten anderthalb Jahre blicken. Mit dem Hintergrundgedanken, dass man eben die oben genannten Themen im Vergleich nicht einmal einfach so von sich wegschieben kann. Das geschieht immer mit der stummen Aufforderung: „Macht endlich was!“

Überraschenderweise hält der schwere Theaterabend aber noch mehr bereit als nur den erhobenen Zeigefinger. Die erschütternden Fakten und schockierenden Berichte aus beiden Jahrhunderten werden garniert mit einer Prise Witz und Ironie. So wird der Henker beispielsweise zum kölschen Urgestein und Versammlungen der Dorfgemeinschaft zu zirkusartigen Veranstaltungen. Im Zentrum der Ironisierung und Parodie stehen dabei Stigma und Klischees, die die eigentliche Ideologie der dargestellten Denkweisen zur Schau stellen und anprangern.

Das Ensemble, bestehend aus Markus J. Bachmann, Sophie Basse, Linda Belinda Podzus, David Hugo Schmitz, Lydia Stäubli, Lena Geyer, Daniel Stock und Sandrine Zenner überzeugt durch ein stimmgewaltiges und präzises Spiel und überrascht das Publikum auch nach zwei Stunden durch ein hohes Maß an Energie. 

Wie so häufig bei Lösch-Inszenierungen, ist der Spiegel der Gesellschaft mit dabei. Man schafft es nicht im Zuschauerraum zu sitzen, ohne sich zumindest einmal ertappt zu fühlen. Dabei liegt der Eindruck nahe, dass die meisten Fakten sehr überspitzt dargestellt werden. Tatsächlich geht das Vorstellen der Folterinstrumente besonders unter die Haut und im Kontrast dazu wirft eine Figur wie der Henker als Büttenredner die Frage auf, ob der Abend vielleicht etwas zu viel ist. Die Angst scheint im Stück in erster Linie in der Gestalt von Wut aufzutreten und es wird zunehmend ein Eindruck von „Alle gegen alle“ erzeugt. Die Suche nach dem Ursprung oder den weiteren Gestalten der Angst, scheint daher etwas in den Hintergrund zu rücken, oder einfach nur die eigentliche Übermacht der Angst sichtbar zu machen. Auch wenn viele Momente, wie die Nennung der Namen der Opfer (damals und heute) durchaus sehr berührend sind, weiß man als Zuschauer auch nach dem Stück nicht, wo die Reise eigentlich hingehen soll –zwischen Gericht und Zirkus.

Dennoch ist der Rundumschlag auf der Suche nach der Angst, oder dem was Angst macht, einen Besuch wert. Die Darstellungen sind durch die großartige Leistung des Ensembles mithilfe von Mimik und Gestik zum Teil jedoch so konkret, dass sich das Stück nur in einem gefassten Zustand wirklich für einen genussvollen Theaterabend eignet. Die komischen und meist grotesken Momente geben dem Zuschauer zwar die Möglichkeit für eine kurze Atempause, können aber auch nichts an dem Bedürfnis ändern, einmal laut ausatmen oder schwer schlucken zu müssen.

Kim Sterzel

%d Bloggern gefällt das: