Stumme Schauspieler mit vielen Worten

(Vorschaubild (c) Thilo Beu)

Inszenierung besticht, statt durch Konvergenz, durch Parallelität von Sprache und nonverbaler Handlung.

Am 08. November wurde die Premiere der „Die Marquise von O…“ im Schauspielhaus in Bad Godesberg aufgeführt. Martin Nimz inszenierte die Novelle von Heinrich von Kleist.

Dass mittlerweile ganze Romanvorlagen zum Reportoire vieler Theaterbühnen gehört, ist bereits bekannt, so ist es fast sinnfällig, dass auch Kleists Novelle „Die Marquise von O….“ als bühnentauglich erachtet werden kann, obwohl recht wenig Dialog in ihr zu finden ist. Das vermeintliche Manko, ist für den Regisseur Martin Nimz aber die Gelegenheit, eine sehr außergewöhnliche Darstellung zu wählen. In seiner Inszenierung werden sämtliche Sprachbeiträge nur von den zwei Erzählern (Annina Euling und Sören Wunderlich) geleistet. Soll heißen, sie tragen die Novelle bis auf wenige Auslassungen auch mit den Dialogteilen vor. Die insgesamt fünf Rollen-Schauspieler können sich so intensiv auf die nonverbale Darstellung konzentrieren. Was sich wie ein tonloses Pantomimenspiel liest, ist jedoch eine emotions- und effektgeladene Aufführung:

(c) Thilo Beu

Doch worum geht es überhaupt bei Kleists Novelle? Die titelgebende, verwitwete und zweifache Mutter, die Marquise Julietta von O. (Svenja Wasser), wird, während feindliche russische Soldaten das Kommandantenhaus ihrer Familie in der Festung bei M. überfallen, von Soldaten misshandelt und fällt darüber in eine Ohnmacht. Sie wird zunächst von dem russischen Oberstleutnant, Graf von F. (Benjamin Berger) gerettet, dann jedoch während ihrer Bewusstlosigkeit  von ihm vergewaltigt. Als diese wieder erwacht sieht sie in ihm ihren rettenden „Engel“, bedankt sich und geht. Mit ihrem Vater (Klaus Zmorek), ihrer Mutter (Nina Tomczak) und ihrem Bruder, dem Forstmeister (Alois Reinhardt) verlebt sie daraufhin ein paar ruhigere Tage, doch bald künden erste körperliche Veränderungen das Drama an. Zu diesem Zeitpunkt kehrt der Graf F. zurück und macht der Marquise einen überstürzten Heiratsantrag. Die Familie erbittet sich Bedenkzeit, da ihnen das Betragen des Grafen seltsam vorkommt. Dieser lässt sich nur widerwillig darauf ein. Die Marquise erlangt Gewissheit über ihre Schwangerschaft, die sie sich nicht erklären kann, und wird trotz ihrer Unschuldbeteuerungen vom Vater (und der Mutter) verstoßen. Sie zieht zusammen mit ihren Kindern auf den Landsitz ihres verstobenen Gattens um dort ein Eremitentum zu führen. Der Graf F. findet, sie dort und bedrängt sie –auch körperlich – erneut, ihn zu heiraten, was sie ablehnt.

Ohne zu viel zu verraten, ist die Sache verzwickt: Dem Grafen von F. gelingt es, die Marquise zu heiraten, aber nicht so wie er es sich vorgestellt hat. Nicht eine erzwungen Hochzeit, nur die Liebe kann ihm noch die Chance geben, Versöhnung zu finden.

Als Schauplatz der emotionalen Reise der Protagonisten wird dem Publikum eine kleine, grüne Insel präsentiert. Keine richtige Insel, eher ein Ausschnitt aus einem Garten. Ein zweigabeliger Baum, in dem ein Galgen hängt, zieht die Aufmerksamkeit auf sich. Dieser Paradiesausschnitt ist von einem blauen Hintergrund umgeben wie das Wasser eines unendlichen Meeres. Dieses raumlose Meer bildet zugleich den Aufenthaltsort der Erzähler. Große Betonstelen erinnern das gesamte Stück an das in der Festungsanlage verortet Ereignis der Vergewaltigung, welches am Anfang des Stückes steht ;zugleich bildet es auch die Festung der Konventionen, in denen sich die Marquise gefangen sieht. Die Umwälzungen im Leben der Protagonistin zeigen sich auf dem Bühnenbild und werden auf der Insel, als Abbild ihrer Seele, ihre Spuren hinterlassen.

(c) Thilo Beu

Mutig, aber erfolgreich, ist der Einsatz von Hightech-Geräten wie Funkmikrofone und Kameras mit zum Publikum gerichteten Monitoren, die von den Erzählern und Rollenschauspielern bedient und eingesetzt werden. Um einzelne Bildausschnitte groß in Szene zu setzen. Auch werden eine Vielzahl von Effekten, wie Feuer, Wind und Regen eingesetzt, um die jeweiligen Stimmungslagen, die die Handlung auslösen zu demonstrieren bzw. zu unterstreichen. So regnet es nach der Hinrichtung der russischen Soldaten, die die Marquise misshandelt hatten und deswegen – nach dem Hinweis des Grafen – verurteilt werden. Der Graf, von seinem schlechten Gewissen geplagt, da seine Tat genauso schlimm wiegt, versucht sich mit dem Wasser des Regens reinzuwaschen, erfolglos.

Mehr als nur kleine Pro- / Epiloge sind die nicht zur Vorlage gehörenden Rahmenszenen in denen die beiden Erzähler in den Fokus gerückt werden. Sie werden neben ihrer Aufgabe des Erzählers zu Leitern einer Filmproduktion. Zugleich kommt es zu einer wortlosen Interaktion zwischen Erzählern und Spielern, indem sie immer wieder durch Blickkontakt und das Bedienen der Technik in die Erzählung einmischen, sie dirigieren oder sich dieser auch entziehen und zu reinen Beobachtern werden.

Die Rollen-Schauspieler ergänzen die Erzählung nicht nur, sondern sie parallelisieren zu dieser zugleich die Meta-Handlungen. Dabei liefern sie nicht nur eine gestalterische, sondern auch inhaltliche Interpretation ab. Ohne eigene verbale Überlagerung werden diese Meta-Handlungen durch Mimik, Gesten und Handlungen sehr ausdrucksstark dargestellt.

(c) Thilo Beu

Hier liegt auch Nimsz Stärke: Der Regisseur arbeitet besonders gerne mit Stücken mit tiefen-psychologischen Ebenen, wie Die Frau vom Meer von Henrik Ibsen oder Kabale und Liebe von Friedrich Schiller, in denen häufig weiblichen Protagonisten mit gesellschaftlichen und beziehungstechnischen Konflikten zu kämpfen und auch darunter zu leiden haben.

Gleich in der dem eigentlichen Stück vorangestellten Eingangsszene, lässt Nimsz die Erzählerin die Bedeutung des Wortes „Dichotomie“ googlen und deutet damit durch das Wiederholen des Wortes seine Regieidee an: Dichotomie, was laut Duden entweder die Gabelung eines Pflanzensproßes sein kann (wir erinnern und an den gegabelten Baum auf der Bühne) oder aber einfach Zweiteilung oder Zweigliedrigkeit bedeutet, wird durch die Wikipedia Definition noch erweitert, indem diese besagt, dass die zwei Teile aufeinander bezogen seien. Genau das tut Nimsz. Die Zweiteilung durch die Erzähler und die Rollen-Spieler, aber auch durch das Geschehen. Die Rollenspieler interpretieren den Text zwischen den Zeilen – anfangs noch recht nah am Text, werden gerade die heiklen Stellen, wie die Versöhnung der Tochter mit dem Vater in ein konträres Licht gerückt, bzw. die Spieler zeigen, was möglicherweise hinter den so harmlos klingenden und im Text völlig akzeptierten Szenen stecken könnte. Die Hauptdarstellerin Svenja Wasser kann auf diese Weise die emotionale Entwicklung, mit zunehmender Depressivität, stark zeigen.

Am Ende der Premiere gibt es lauten anhaltenden Applaus, besonders für Annina Euling und Sören Wunderlich, die als Erzähler brilliert haben, sogar ein paar Bravo-Rufe finden sich dazwischen. Nimsz hat es geschafft den originalen Text ohne große Zusätze in eine moderne psychologische Interpretation zu versetzen, die sicher ihren Anklang bei vielen finden wird.

Jorg Stephan Kahlert & Rebecca Telöken

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