Eine, die für viele spricht

Vorschaubild (c) Thilo Beu

In der Werkstatt feierte am 13. September Björn SC Deigner die Uraufführung seines Stückes „In Stanniolpapier“.

(c) Thilo Beu

In Stanniolpapier ist eine Produktion mit wenig Aktion, aber vielen Worten. Das Stück, nach einer Idee von Anna Berndt, schildert die – selbst erzählte – Geschichte der Prostituierten Maria. Aufgewachsen mit einem alkoholabhängigen Vater und einer Mutter, die nicht wirklich eine Mutter ist, wird Maria als Mädchen unsichtbar. Sie fühlt sich vom Rotlichtmilieu angezogen, unter anderem durch die (scheinbare) Sicherheit, die es ihr bietet. Das Stück erzählt unverblümt vom sexuellen Missbrauch durch den Freund der Familie und auch von Marias erster, etwas naiver, Liebe zu dem Mann, der später ihr Zuhälter sein wird. In Stanniolpapier beschreibt Weg in die Prostitution und das Leben als Sexarbeiterin. Zentrales Motiv der Produktion ist die scheinbar unkaputtbare Maria: „Ich bin durch alles gegangen in meinem Leben, nur eben ohne Angst.“ Das Stück basiert auf biografischem Gesprächsmaterial und bringt damit eine Welt auf die Bühne, die sonst im Verborgenen bleibt. Maria wird zur Repräsentantin der Frauen und Männer, die im Bereich der Prostitution arbeiten. Die Besetzung der Maria durch drei Personen macht genau dies deutlich – Birte Schrein, Sandrine Zenner und Manuel Zschunke spielen zwar ein und dieselbe Person, ihre Figur könnte aber auch zahlreiche andere Prostituierte beschreiben. Als kontrastierendes Gegenüber soll im Stück ein Männerchor dienen, der – so erklärt es Regisseur Matthias Köhle im Programmheft – die Gesellschaft repräsentiert und die von der Gesellschaft  romantisierte Vorstellung des Rotlichtmilieus auf die Bühne bringen soll.

Hier zeigt sich die erste Schwachstelle der Produktion: Während Marias Werdegang und ihr Leben als Sexarbeiterin dem Zuschauer auch dank des eindrücklichem und emotionalen Spiels der drei Darsteller deutlich werden, wird die Rolle des Männerchores nicht zu hundert Prozent erkenbar. Mal sind sie Freier, mal vertreten sie eine übergeordnete gesellschaftliche Meinung. Der Kontrast zu Maria bleibt schwach, die hingegen den Zuschauer mit voller Wucht mitnimmt in ihre Welt mit all ihren Höhen und Tiefen. Eine romantisierende Darstellung des Milieus kann dem Stück auf keinen Fall vorgeworfen werden. Maria nimmt kein Blatt vor den Mund und verschweigt, bei allen positiven Aspekten über ihre Arbeit, nicht die schockierenden Erlebnisse, wie den unter Drogeneinfluss stehenden Kunden, der ihr mit dem Auto über die Beine fährt.

(c) Thilo Beu

Gerade das Wissen, dass In Stanniolpapier auf biografischen Gesprächsinhalten beruht, macht es für den Zuschauer an einigen Stellen emotional schwieriger, da die Geschichte noch näher an einen selbst heran tritt. Den Schutz, den eine Fiktion bieten kann, den gibt es hier nicht.  Denn die Produktion schildert den Lebensweg einer Frau, den es so in jeder Stadt in zahlreichen Ausführungen geben kann, den aber eigentlich niemand sehen mag. Es ist eine eindrückliche Vorstellung, die leider an der einen oder anderen Stelle den zeitlichen Ablauf offen lässt. So wird die Reihenfolge der geschilderten Erlebnisse nicht ganz deutlich, was ihrer Wirkung nicht schadet, den Zuschauer aber wundern lässt.

Die Produktion ist definitiv einen Besuch wert. Maria ist eine gute Repräsentantin, die es schafft trotz zahlreicher Härten im Leben, sich nicht als Opfer darzustellen und ihre Geschichte nicht zu einer Anklage werden lässt. Es bleibt anzumerken, dass es natürlich neben Marias Lebensweg (familiäre Probleme, Missbrauch, Prostitution) auch andere Lebenswege in der Prostitution gibt. Dennoch scheint ihre Geschichte ähnlich zu sein wie die zahlreicher anderer Frauen und Männer. Belastbare Zahlen oder Berichte gibt es allerdings dazu nicht.

Tabea Herrmann

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