Wenn Freiheit alles bedeutet

(Vorschaubild (c) Thilo Beu)

Als sich am Freitag, den 15.02. der eiserne Vorhang in Bad Godesberg hebt, steht ein Mann einsam im Scheinwerferlicht und schweigt. Er wippt ein wenig vor und zurück, schweigt, und schweigt weiter. Man hört eine Stecknadel fallen im gut besuchten Theatersaal. Dann, die Ohren schmerzen schon beinahe von der Stille, legt Christoph Gummert los. Auf Ungarisch. Er erzählt den Prolog LILIOMs von Ferenc Molnàr, ein emotional wie physisch überaus brutales Stück, dem durch den Einsatz von Komik und Elementen der Clownerie in der Bonner Inszenierung von Sascha Hawemann ein wenig die Schwere genommen wird.


LILIOM, ist eine Liebesgeschichte zwei metaphorisch Ertrinkender, die sich nur beinahe gegenseitig retten können. Die eine Liebende ist Julie, ein junges taffes Dienstmädchen, das sich von niemandem etwas vorschreiben lassen will. Der andere Liebende ist mit seinem Spitznamen „Liliom“ Namensgeber des Stücks, ein Draufgänger und bevorzugte Arbeiter auf dem Karussell von Frau Muskat, seiner Arbeitgeberin, die nicht allein seine Showmaster-Talente schätzt … Als Liliom aufgrund der Affäre zu Julie seine Anstellung verliert, büßt er damit zwar die Zugehörigkeit zum freien Volk ein, begibt sich aber nicht in die bürgerlich, spießige Existenz, sondern will um jeden Preis seine gewohnte Freiheit und seinen Stolz behalten. Er bleibt arbeitslos, spielt Karten, säuft und verzweifelt daran. Er schlägt Julie, die ihm zu verzeihen vermag. Sie erkennt die innere Not, die Liliom stets mit sich trägt. Als Julie ihm nach einem weiteren Streit eröffnet, sie sei schwanger, ist Liliom überglücklich, denkt über ein bürgerliches Leben nach, will „frühstücken“, was als sein ganz persönliches Synonym für Spießigkeit aufgefasst werden kann. 
Doch ein Saufkumpan überredet ihn dazu, buchstäblich in den Dreck der Gosse zurückzukehren, und einen wohlhabenden Juden am Bahngleis zu überfallen. Das Bahngleis steht hier wohl für einen sprichwörtliches „Der Zug ist abgefahren, Liliom“, denn dieser verwirkt mit diesem missglückten Raubüberfall seine Chance auf ein kleines Glück mit seiner Familie. Liliom geht den Weg des Freitods, um der Justiz zu entgehen. Gott lässt ihn für 16 Jahre in der Hölle schmoren, dann darf er zurück auf die Erde, seine Tochter treffen und ihr etwas Gutes tun.

(c) Thilo Beu


All dies erzählt oder erzählt uns Christoph Gummert am Anfang des Stücks, oder auch nicht, wer weiß das schon, und springt dann ins Deutsche um. Ein imaginäres Karussell wird auf die Bühne gebracht, die Schauspieler fahren mit Rollschuhen im Kreis um eine Musikbox. Es wirkt. Man erblickt ein Karussell, dabei helfen auch die bunten Lichtschlangen, die zu dutzenden von der Decke hängen und bei Belieben wie das schillernde Geäst eines Stadtwäldchens die Geschehnisse und die Schauspieler verstecken, die die meiste Zeit allesamt auf der Bühne stehen. Die Figuren wirken seltsam und traurig vereinzelt, aber auch bedrohlich und sie verunsichern durch ihre stille Teilnahmslosigkeit. Vielleicht ein Bild der Gesellschaft, die immer anwesend, gerne beobachtet und wertet, aber nichts tut, nicht hilft, Liliom nicht Einhalt gebietet, als er zum Verbrecher wird. Diese Kritik an der Spießigkeit und dem Kapitalismus manifestiert sich in dem Auftritt des befreundeten Ehepaars, das sich, als Liliom schließlich tot ist, scheinbar um Julie sorgt, ihr aber keinerlei Hilfe anbietet. Sie bezeichnen seinen Tod noch als „großes Glück“ für Julie, im Moment ihrer tiefsten Trauer. Sie sind der spießbürgerliche Gegenpool zu Julie und Liliom und tragen in dieser sehr eindrucksvollen Szene anstelle von Mitgefühl ihre vollen Einkaufstüten auf die Bühne. Der Zuschauer wird erst mit dem Existentiellen dann mit dem nebensächlich Alltäglichen konfrontiert und der wahre aber auch verzweifelnde Satz „life goes on“ schallt im Ohr nach.
Die Stärke des Stücks sind solche Bilder und Szenen, die, muss man dazu sagen, wenig einleuchten, wenn man sich nicht vorher mit dem Inhalt auseinander gesetzt hat. Dafür reicht aber ein genauerer Blick ins Programmheft.


Auch herausragend sind die Leistungen des Ensembles. Vor allem Christoph Gummert kann in ganzen sieben unterschiedlichen Rollen leuchten. Unter anderem als Gameshow-Gott in goldenem Jackette. Auch Annina Euling vermag als Julie, das Publikum in den Charakter ihrer Figur eintauchen zu lassen. Interessant ist auch wie Hawemann die Rolle des Liliom inszeniert. Er sympathisiert offensichtlich mit dessen absolutem Freiheitsstreben, krittelt aber auch an ihm herum. So lässt er den Saufkumpanen, gespielt von Timo Kählert, trocken fragen: „Aber arbeiten willste nich, ne?“ Mitten in einem Pep Talk zum Raubüberfall. Am Schluss des Stücks lässt Hawemann zudem die Szene weg, in der Liliom seine Tochter schlägt, diese aber keinen Schmerz spürt. Ihre Mutter Julie meint daraufhin, es gäbe Schläge mancher Menschen, die täten nicht weh. Bleibt die Frage, ob Hawemann diese Szene als zu verstörend empfand, wobei er dann die Prügeleien mit Julie auch hätte verklären müssen. Oder ob er Lilioms Figur vor Anfeindung schützen wollte. Oder er dem Theater-Publikum eine diese Szene als zu kontrovers im derzeitigen feministischen Gesellschafts-Kontext nicht vortragen wollte.


Ich persönlich denke, es hätte noch mehr zur Erklärung des grauen Charakters beigetragen. Sicherlich ist es so ein versöhnenderes, aber leider konsequenter Weise auch damit seichteres Ende, bei einer ansonsten sehr ausdrucksstarken Inszenierung.

Henriette Wöllnitz

 

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