Theater Clubbing

Ein Abend der Bonner Bohème oder: die Theaternacht 2018 aus zwei Perspektiven

Hi, Rebecca hier!

Meine Sandalen hallen über das Pflaster im Arkadenhof. Die Luft ist überraschend warm für einen gewöhnlichen Mittwochabend anfang Mai. Meine Schritte sind noch ungefähr 100 Meter von der Eröffnungsfeier der 9. Bonner Theaternacht entfernt.

Menschen stehen um Tische herum, halten Luftballons oder Sektgläser in den Händen. Wie so oft bei Theaterveranstaltungen sieht man altbekannte Gesichter. Schnell wird mir klar, dass sich zumindest zur Eröffnung vor allem die absoluten Theaterfans versammelt haben, aber das ist ja nicht unbedingt schlecht, oder?

Menschen meiner Generation sehe ich kaum.

Es werden ein paar Worte gesagt bevor die Luftballons den Startschuss markieren. Der Satz: „Theater ist eine Kraft, die die Welt verändern kann“, bleibt mir im Ohr hängen, als ich mich auf den Weg zum Jungen Theater Bonn machen möchte. Ein Blick auf meine Armbanduhr lässt mich stocken. Es ist schon halb acht?! Zu spät für „Geheime Freunde“. Wie gut aber, dass ich mit dem Theaternacht-Ticket ganz spontan sein kann, also entscheide ich mich für die Springmaus.

 

Ach, hi Rebecca, Kim hier!

Ungefähr zur gleichen Zeit befinde ich mich nun vor dem Bühneneingang der Bonner Oper. Ich arbeite. Die Gäste zur ersten Vorstellung auf der Probebühne 1 sitzen alle auf ihren Plätzen. Es ist so gut wie ausverkauft und es liegt eine gespannte Atmosphäre in der Luft – Im Publikum sowie bei den Akteuren: Denn es gibt „Eine musikalische Reise mit dem Kinderchor“ – bis ungefähr 20 Uhr. Weiter geht es dann mit einem Konzeptionsgespräch und Probeneinblick zu „Oberst Chabert“, der nächsten und letzten Opernpremiere der Spielzeit, um 20:45 Uhr. Zwischen 21:30 Uhr und 22 Uhr werde ich Feierabend haben. Dann werde ich auch „um die Theater ziehen“. Also, bis dann – gleich gibt es auch mehr von mir!

 

Da bin ich wieder!

Der Saal ist voll. Die kleinen Tische mit Teelichtern sind mit sich unterhaltenden Menschen besetzt. Augenblicklich verstummt das quatschende Lichtermeer als der Lichtkegel Komiker  Simon Stäblein erfasst.

Simon kommt aus Köln und beschwert sich darüber, dass überall dort, wo ein Laden zumacht, ein Rewe aufmacht, dass „Foodora Flamingos“ den Fahrradfahrern die Straße blockieren und er eingestehen muss, immer mehr zu bemerken, was er im Leben nicht will als was er will. Er klaue nur, da ihm die Security bei Rewe, die vor Langweile sterben müsse, leidtäte und findet es erschreckend, dass die meisten Menschen mehr Angst vor Gluten als vor dem weißen Hai haben. Und zu guter Letzt zieht er, wie nicht wenige heutzutage, über meine Generation her. Die „Generation WHY“, die freiwillige assoziale Jahre in Afrika machen und die sich aufgrund der „many possibilities“ nicht entscheiden können, was sie mit ihrem Leben machen wollen. Lieber nach Australien reisen oder ein Praktikum machen?

Recht hat er. Es sind die Effekte einer Gesellschaft, der es zu gut geht. Foodora Flamingos tragen uns das Essen vor die Haustüre und die Rewe Security passt auf, dass wir die Zucchini richtig einpacken. Wir ersticken in selbst produziertem Überwachungsdrang, Reisemöglichkeiten und Alternativen zu Gluten. Simon bringt die Albernheiten unserer Probleme mit Witz und Ironie auf den Punkt.

Gut gelaunt verlässt das Publikum den Saal. Die Lauft draußen ist immer noch sommerlich warm. Während sich manche Theaterbesucher noch ein Bierchen in den umliegenden Kneipen gönnen, quetsche ich mich in den nächsten Theaterbus, um noch pünktlich zur Werkstatt zu kommen. Ein Blick auf die Armbanduhr: 20 Uhr. Sobald der Bus anhält, springe ich auf den Asphalt. Es riecht nach Hauptbahnhof und Asianudeln. Ich habe noch fünf Minuten bis zur Werkstatt.

Keuchend erreiche ich sie und sehe schon die ersten enttäuschten Gesichter. „Was ist los?“, frage ich eine Frau, die unmittelbar vor der Tür steht, die sich soeben geschlossen hat. „Wir kommen nicht mehr rein, schon zu viele Besucher…“, sagt sie. Ich fluche innerlich, da hatte ich gerade jeden einzelnen meiner Muskeln bis zum äußersten getrieben und hatte es trotzdem nicht geschafft.

Naja, umplanen.

Ich setzte mich an den Rhein, einfach nur, um dem dunkelblauen Wasser bei der Dämmerung zuzuschauen. Ein Mann mit einer Bierflasche steht wenige Meter von mir entfernt. „Da war gerade die Polizei“, kam es von ihm aus dem Nichts. Etwas irritiert drehe ich mich zu ihm um. „Die haben irgendwen festgenommen… Da war was los.“ Ich wusste nicht so recht was ich darauf antworten sollte. „Ja hier ist öfters was los“, lautet dann meine Antwort. Warte, stimmt das überhaupt? Egal, nach ein paar Sätzen kommen wir ins Gespräch und am Ende habe ich das Gefühl mich mit einem waschechten AfD Wähler unterhalten zu haben.

Auch mal eine Erfahrung.

Ich mache dann mal weiter…

(c) Theater Bonn

Umgezogen und verschwitzt stehe ich auf der Ecke zwischen Oper und Werkstattbühne. Feierabend. Ich entscheide mich Letzterer einen Besuch abzustatten. Gegen kurz vor zehn stehe ich also mit ein paar Theatergesichtern und klassischerweise mit einer Fritz-Cola in der Hand vor dem Foyer. Es ist voll, also nicht „gut besucht“ oder so, es ist voll, wirklich voll, rappelvoll! Die Saaltüren öffnen sich und circa hundert neugierige Menschen strömen hinein, um sich über „Unerhörtes vom stillen Ort“ aufklären zu lassen. Mit einem Schmunzeln auf den Lippen bemerke ich, dass es im Zuschauerraum langsam dunkel wird. Mein Schmunzeln wird zu einem Grinsen, als ich die Bühne genauer betrachte: links ein Schlagzeug, inklusive Schlagzeuger Nicolas Stocker. Kurz vor ihm eine naja, ähm, Toilette. Das verspricht ein wirklich anregender Abend zu werden, oder etwa nicht? In der Mitte: Eine Wand. Dahinter – wie könnte es anders sein – noch eine Toilette. Und: Schauspieler Matthias Breitenbach. Das Spektakel beginnt mit einem bzw. seinem Klogang mit geräuschvoller Spülung. Ja, sehr eindrucksvoll.

Klassisch mit Zeitung in der Hand wendet er sich an das Publikum. Er rezitiert Artikel, philosophische Texte und andere Anekdoten verschiedener Autoren. All’ diese Texte haben selbstverständlich eine Gemeinsamkeit: Die Toilette – naja, oder viel mehr, wie wir Menschen diese Toilette benutzen und was dabei nun einmal entsteht. Dem Publikum gefällt’s. Hier und da gibt es den einen oder anderen Lacher, angeekelten Schrei oder einen anderen Ausruf von Emotionen: wahlweise auch in Form von „Ihhh“ oder „Ähhh“.

Auch ich habe (wahrscheinlich) sichtlich Spaß an dem Schauspiel und schwimme in den allgemeinen Reaktionen des Publikums mit.

Amüsant und heiter sind wohl zwei sehr passende Beschreibungen der Darbietung. Während Matthias Breitenbach immer wieder einen neuen Text mit neuen scheinbar unerhörten Erkenntnissen vom stillen Örtchen aus dem Ärmel zieht, hat es sich der Schlagzeuger zur Aufgabe gemacht gefühlt jedes seiner Worte irgendwie zu quittieren. Es entwickelt sich eine Art Konkurrenzkampf: Wer ist am Lautesten und wer, sagen wir, „am besten“ in „seinem Geschäft“?

Trotz dem einen oder anderen „Bahh“, ist das Spiel dennoch sehr ansehnlich. Dem Team unter der Regie von Regieassistent Emanuel Tandler ist es gelungen dem Klogang, oder dem „Für kleine Jungs und Mädchen“ müssen, eine angenehme Ästhetik zu geben. „Denn es ist immer noch eines der friedlichsten Dinge, die wir Menschen machen.“ Joa, stimmt würde ich sagen – aber so genau hatte ich auch noch nie drüber nachgedacht.

 

Danke Kim, ich übernehme wieder!

Es ist Zeit zum Kult 41 zum Stück „Alles schwimmt!“ aufzubrechen, an dem der spannendste Teil des Abends auf mich warten soll. Ein Theater, in dem ich noch nie war. Ich hatte gehört, es sei alternativ und dass es sich etwas versteckt hinter der Viktoriabrücke befindet. Alternativ ist es in der Tat. Auf dem Vorplatz steht ein Bus, gemütlich beleuchtet und so bunt, dass er einladend aussieht wie eine Bar.

Wir sitzen auf knarzenden Holzbänken, alle Reihen sind besetzt. Auf einer Leinwand schippern blaue Wellen vor sich hin und auf der Bühne paddeln ein Mann und eine Frau auf einem Schlauchboot.

„Warum paddeln wir eigentlich?“, fragt das Mädchen. Ja, was geht hier eigentlich vor sich, fragt sich das Publikum das ganze Stück über. Fakt ist, die beiden Paddler wissen nicht, wie sie auf das Schlauchboot mitten auf dem Ozean gekommen sind. Ist es ein Traum, Realität oder Fiktion? Da sie selbst gnadenlos mit der Frage überfordert zu sein scheinen, überlegen sie womit sie diesen eventuellen Albtraum verdient haben und werfen damit ganz andere Fragen auf. Liegt es daran, dass das Mädchen wegen der Bitcoins die AfD gewählt hat? Oder steht sie voll und ganz dahinter, da „… unser Wirtschaftssystem ja eh zusammenbricht, warum solle man dann eine Partei wählen, die die Krise nur heraus zögert?“ Neben politischen und leicht philosophischen Diskussionen werden Theorien aufgestellt. Vielleicht haben sie die Grenze zwischen Realität und Fiktion überschritten. Das Stück lässt seine Bedeutung offen und bietet gleichzeitig amüsante Diskussion zwischen den beiden Figuren-Der Zuschauer selbst kann sich zusammendenken, wie und warum die beiden Figuren auf das Schlauchboot gelangt sind. Ist es das eigene Unterbewusstsein, das die Figuren zur Reflexion alltäglicher und politischer Entscheidungen zwingen will, oder die Sehnsucht der Menschen nach Irrationalität? Für mich hat die Situation etwas kafkaeskes , etwas unerklärliches und Platz für 50 Interpretationen- Das Stück, wie auch die Location, ist daher unbedingt weiterzuempfehlen, für jeden.

 

Klingt cool, Rebecca!

Nach meinem Besuch auf dem stillen Örtchen mache ich mich auf den Weg durch Bonn. Mit ein paar Menschen, die ich durchs Theater vorher schon kannte – oder auch mit Einigen die ich vorher noch nie gesehen hatte, spaziere ich durch die Stadt. Es weht ein Hauch von parisischer Moderne durch die Straßen und Gassen der ehemaligen Hauptstadt. Das freut das Theaterherz: Jung und Alt laufen mit Theaterflyern durch die Gegend, planen neue Routen und diskutieren angeregt über einige Stücke. Überall treffen Theatermenschen auf Gleichgesinnte, solche die es werden wollen und auf Ersttäter: zum Austausch von Erfahrungen und Erlebnissen, inszenierten oder natürlichen Ursprungs.

Ich fühle mich regelrecht in ein anderes Jahrhundert mit einem anderen Zeitgeist zurückversetzt: umgeben von Künstlern und Interessierten jeglicher Art und jeglichen Alters.

Spätestens als wir Halt in der Nähe der Bonner Uni machen und uns zu einem Plausch mit ein paar Studenten auf den Boden setzen, möchte ich aufstehen, mich auf irgendetwas Hohes stellen und Dinge wie: „Willkommen in der Bonner Bohème, Liberté, L’art pour L’art, cosmopolite, jeune und révolution“, rufen. Naja, konnte mich grade noch so zurückhalten und führe stattdessen einige philosophische Wortgefechte.

Kurz vor Mitternacht ziehen wir weiter: Theaternacht-Party in der Oper. Wir setzen uns für einen Moment auf die Wiese und genießen den Augenblick. Irgendwer spielt draußen Musik und einige Menschen tanzen und lachen auf dem Theatervorplatz. Obwohl es kühler geworden ist, könnte ich schwören, dass meine Gänsehaut nicht durch die frische Brise entstanden ist. Im Opernfoyer wird weitergetanzt, gequatscht und Spaß gehabt. So müsste Theater immer sein, oder?

Rebecca Lewalter & Kim Sterzel

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