(Vorschaubild (c) Thilo Beu)
Überlebenstraining im Supermarkt
Regisseur Gavin Quinn inszenierte bereits DER STURM und SCHÖNE NEUE WELT in den Bad Godesbergern Kammerspielen und der Halle Beuel. Mit NŌ NŌ NŌ konnte der irische Regisseur letzte Woche seine erste Werkstatt-Premiere feiern und das gleich mit einer Uraufführung.
Um „Tücken und Abgründe des amerikanischen Traums“ soll es, laut des Programmheftes, gehen. Das soll am Beispiel eines Supermarktes gezeigt werden. Der Supermarkt „Nō Nō Nō“ steht kurz vor seiner Eröffnung. Um sich gegen die Konkurrenz durchsetzen zu können, müssen seine Mitarbeiter das Beste aus sich herausholen. Aus diesem Grund sorgt die Filialleiterin Olivia dafür, dass sich ihre Angestellten einem speziellen Training unterziehen: Daphne, Mathilda und Kevin üben ihr eingefrorenes Lächeln und die Standardfloskeln in einem Trainingssupermarkt. Gleichzeitig verliert der Traum der Mitarbeiter von der Eröffnung immer mehr seine schillernde Fassade und fordert seinen Tribut. Die Frage ist, wie geht man damit um, wenn sich der Traum als das komplette Gegenteil der Realität entpuppt?

Das Bühnenbild ist die deutsche Interpretation eines amerikanischen Supermarktes: Der Boden ist mit Kacheln gefliest und es gibt hohe Regale mit dem typischen Supermarkt-Sortiment. In der einen Ecke stehen ein paar Einkaufswagen und in der anderen ein Roll-Regal aus Metall. Im Großen und Ganzen wirkt alles erst einmal sehr steril. Die Schauspieler tragen ausnahmslos pinke Kittel. Die Kostüme wurden auf die Figuren angepasst und personalisiert. Jede von Ihnen trägt mindestens ein für ihren Charakter spezifisches Accessoire – und seien es Daphnes gemusterte Socken in ihren Gesundheitslatschen. Aedin Cosgrove war zuständig für die Ausstattung – sie passt wirklich wie die Faust aufs Auge: Nicht nur als Zuschauer, auch als potentieller Kunde würde man bei diesem Anblick gerne das Weite suchen.
Der 1 Stunde und 20 Minuten lange Abend ist so kurzweilig wie unterhaltsam. Auf der Bühne passiert so Einiges. Die Dramaturgie (Elisa Hempel) ist einfach und gut verständlich und unterstützt die Insze-nierung. Sie zieht sich wie eine Art Leitfaden durch die Inszenierung und kann somit Hinweise zum besseren Verständnis geben: Auf jede Traum-Sequenz, folgt eine Abgrund-Sequenz. Sprich: Die übermotivierten Mitarbeiter unterziehen sich zunächst einer Trainingseinheit und werden dann zu dem was sie sind – Kollegen und vielleicht Freunde, die zusammen sitzen und über Belangloses reden. Es wird nie langweilig.

In der Praxis sieht das ungefähr so aus: Die Trainingsklasse übt zunächst das richtige Verhalten, für den Fall, dass ein Kunde bei ihnen ausrutschen und fallen sollte. Natürlich müssen sie auch dafür die Versuchskaninchen spielen, den Boden erst mit Ketchup und Mayo einseifen, um dann mit vollem Körper-einsatz zum Waschmittelregal rennen zu wollen. Im Anschluss, sagen wir in der „Mittagspause“, tau-schen sie sich über ihre Heimweh-Erfahrungen aus. Besonders interessante Momente entstehen dabei durch die mehrstimmig gesungenen (unter anderem Kirchen-)Lieder – Andrew Scott hat hierfür die Musik arrangiert.
Außerdem ist die Veränderung der Bühne schön zu beobachten. Natürlich verunstalten die Schauspie-ler das einst so sterile Bühnenbild bis zur Unkenntlichkeit im Laufe ihrer Trainingseinheiten. Als Kol-legen hocken sie dann auf ihren selbsterschaffenen Trümmern, die einmal ihre Träume waren. Gegen Ende des Abends entsteht dadurch fast schon eine Art Endzeit Stimmung, wie man sie eher aus Zom-biefilmen kennt: Eine Apokalypse. Und genau darum scheint es bei der Inszenierung zu gehen. Um die Folgen, oder um das, was übrig bleibt, wenn ein Traum zerstört wird. Die Tatsache, dass es sich hierbei eigentlich um den amerikanischen Traum handeln soll, wird nicht ganz deutlich – ist für den Abend und für die Darstellung aber auch nicht weiter tragisch.
Auch die Figuren realisieren mehr und mehr ihre eigentliche Lage, die mit einer Eröffnung des Su-permarktes rein gar nichts zu tun hat – und das, obwohl sie alles dafür gegeben haben. Zum Schluss können ihnen all’ ihre Luftschlösser nicht mehr helfen, alle haben das Planspiel Supermarkt verloren. Ihr persönlicher (vielleicht amerikanischer?) Traum als Angestellte in einer führenden Supermarktket-te wird zum Albtraum. „Live isn’t fair“ – wie der Amerikaner sagen würde.

Das Stück lebt von der lebendigen Darstellung der Schaupieler. Alle vier spielen hervorragend. Vor allem Birte Schrein als Daphne scheint den Abend auch bei seinen stilleren Passagen mühelos tragen zu können. Auch Lena Geyer als Mathilda, Ursula Grossenbacher als Olivia und Manuel Zschunke als Kevin überzeugen durch ein durchweg tragisches wie amüsantes Spiel. Lothar Krüger, zuständig für die Beleuchtung, und Michael Raab als Übersetzer haben ebenfalls an dem Gelingen der Inszenierung mitgewirkt.
Des Weiteren setzt der Regisseur eher auf Bewegung als auf Sprache. Die Performance ist durch immer wiederkehrende Bewegungsmuster gekennzeichnet. Inspiration dafür lieferte das japanische Nō-Theater, ebenfalls auf bestimme Bewegungsabläufe fixiert – so steht es zumindest im Programmheft. Ob diese Inspiration auch der Namenspatron des Abends ist, bleibt dem Zuschauer wohl selbst über-lassen.
Zusammengefasst macht der Abend Spaß! Regisseur Gavin Quinn hat gemeinsam mit den Spielern des Ensembles ein tolles Stück geschaffen: Man lacht, liebt und leidet gemeinsam mit den Figuren. Emp-fehlenswert!
Die nächsten Termine sind am 20. April, 18. Mai sowie am 6., 20. und 28. Juni.
Kim Sterzel