(Vorschaubild (c) Thilo Beu)
Eine Frau hängt schlaff wie eine Puppe in den Armen eines kahlköpfigen Mannes. Der Ausdruck ihrer Augen ist leer und traurig. Hektisch und fast krankhaft trippelt eine Frau über die Bühne, die ein Kleid trägt wie ein Nachthemd. Krampfhaft bewegt sich ein Mann, gekleidet in schwarz und tätowiert mit Hakenkreuzen wie ein Tier über die Bühne dabei schnaubt es verachtend. Kein Schauspiel könnte mehr Unbehagen erzeugen als dieses hier. Wir befinden uns in der Premiere von Hans Falladas JEDER STIRBT FÜR SICH ALLEIN (22.März, Kammerspiele) in der Inszenierung von Sandra Strunz, die zuletzt durch die BUDDENBROOKS und HIOB große Erfolge feiern konnte.
Hintergrund und Inhalt

Es ist 1946, kurz nach Ende der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland. Hans Fallada erhält von Johannes Becher, damaliger Präsident des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands in der sowjetischen Besatzungszone, Gestapo-Akten über den Fall eines Ehepaares. Auch wenn er erst zögert, ist 24 Tage später der 600 seitige Roman fertig: „Jeder stirbt für sich allein“ erzählt die Geschichte des Ehepaares Anna und Otto Quangel – Fallada weicht jedoch ab und an von den Gestapo-Akten ab, wie er selbst im Vorwort seines Buches zugibt. Die beiden sind eher einfache Leute, die zu Beginn unscheinbar und wenig lebhaft wirken – so wie ihre Beziehung. Mit der Nachricht vom Tod ihres Sohnes erwacht jedoch die Wut auf das Regime – Anna äußert den verzweifelten Wunsch irgendetwas tun zu wollen: „Jeder hat ja nur Angst verurteilt zu werden.“ Angetrieben vom Tod ihres Sohnes entwickeln die beiden einen eigenen Weg, um für eine bessere Zukunft zu sorgen – auch wenn Otto zu Beginn wenig durch das Geschehene berührt zu sein schien. Bis zu ihrer Verhaftung durch die Gestapo schreiben sie 285 anonyme Postkarten mit Parolen gegen Hitler und verteilen diese in Berlin.
Die Inszenierung
Das Stück lebt vor allem von Kontrasten innerhalb der Gesellschaft. Zum einen existieren Meinungsverschiedenheiten, darüber ob man Widerstand zu leisten hat, zum anderen eine erbarmungslose, kalte Hierarchie zwischen den SS-Männern und dem Volk. Diese spiegelt auf grausame Art und Weise Brutalität und Aggression wider.
Die erdrückende Schwere der Diktatur drückt sich auch im Bühnenbild aus. Hauptsächlich finden die Szene in einem offenen Glashaus statt – dieses erzeugt ein Gefühl von Monotonie und Trostlostigkeit.
Und wie kam es an?
Trotz der facettenreichen und teilweise wandlungsfähigen Personen gelingt es zunächst nicht den Zuschauer wirklich nah an die Personen herantreten zu lassen.
Die Personen verhalten sich verkrampft und zucken. Es wird fast ausschließlich geschrien oder gezischt. Sie reden in der 3. Person, als wären sie nicht mehr bei sich selbst. Zwar spielt sich in ihrem Inneren etwas ab, aber das halten sie vor allen Zuschauern geheim.

Ähnlich entfremdet und erkaltet wirkt auch die Beziehung zwischen Anna und Otto. Zu keinem Zeitpunkt im Stück ist sich das Ehepaar so nah, wie in ihrer Zeit des getrennten Wartens auf den Tod. Doch es sind genau diese Momente, die die vorherigen Schwachstellen der Inszenierung wieder wettmachen. Die zweite Hälfte lebt von stillen Momenten, die sich mit genau den Fragen beschäftigen, die auch Hans Fallada umtrieben: Ist Widerstand und privates Glück vereinbar? Gibt es ein Recht auf Nicht-Handeln in solch einer Diktatur? Wie viel Sinn hat der Widerstand eines einzelnen? Für Otto Quangel ist die letzte Frage ganz klar: „Für diese 18 Karten hat es sich gelohnt“ – auch zu sterben. Immerhin habe er dem Bösen widerstanden. Für den Zuschauer öffnen sich aber zugleich noch viel mehr Fragen: Die Art zu Sterben, wäre Suizid nicht angenehmer gewesen anstatt bis zum letzten Moment der Hinrichtung abzuwarten? War man dann einer der Starken oder Schwachen? Machte der Tod einen überhaupt schwach? Waren nicht alle in dieser Welt irgendwie zum Tode verurteilt. Und ist der Tod der einzige Ausweg, die „einzig wirkliche Freiheit“ wie Otto Quangel es ausdrückte?
So rückt der Titel des Stücks: „Jeder stirbt für sich allein“ in der zweiten Hälfte in den Vordergrund und lässt dem Zuschauer offene Wege, ihn zu interpretieren.
Die Inszenierung endet mit dem eindrücklichsten Moment, der es zum ersten Mal schafft, die vierte Wand zum Zuschauer zu brechen und ihn endgültig auch emotional zu berühren. Das Ehepaar Quangel muss getrennt herausfinden wie sie mit dem herannahenden Tod umgehen wollen und hinterlässt mit diesen Monologen einen Schmerz im Theater den man förmlich greifen kann.
An einigen Stellen hätte eine ruhigere Inszenierung den Zuschauer vermutlich besser mitgenommen und ihn auch zum Nachdenken angeregt. Denn Nachdenken über das Gesehene, dass hat die Inszenierung auf jeden Fall verdient.
Tabea Herrmann & Rebecca Lewalter