(Vorschaubild (c) Thilo Beu)
Slapstick, Gedichte, Videos, Musik, der erste Weltkrieg, Nazis, Europakrise, Liebe und viel Leid – möchte man die Inszenierung von Ödön von Horvárths ZUR SCHÖNEN AUSSICHT zu ein paar Schlagworte zusammenfassen, wären das nur wenige von vielen. Der Regisseur Sebastian Kreyer hat in die Premiere am vergangenen 20. April in den Godesbergern Kammerspielen wirklich alles hineingesteckt, was aus der kurzen Komödie aus dem Jahr 1926 herauszuholen war, doch ist mehr immer automatisch besser?
Die Bühne zeigt die etwas in die Jahre gekommene Eingangshalle des Hotels „Zur schönen Aussicht“ mit Rezeption, ein paar Zimmern auf der linken und eine Art Speisesaal auf der rechten Seite (Bühne: Matthias Nebel). Bevor es überhaupt los geht, erscheint der Regisseur persönlich mit Mikro in der Hand und erzählt den Zuschauern etwas über Horwárth und wie das Theaterteam extra den Ort, der Horvárth als Vorlage gedient haben soll, aufgesucht hat und darüber was für „Menschen“ ihnen dort begegnet sind. Natürlich humoristisch aufgeladen, inhaltlich aber korrekt. Soweit also ganz informativ, auch wenn ein Erzähler nicht in diesem Stück vorgesehen war, sind sie ein beliebtes Mittel, um den Zuschauer durch das Stück zu leiten.

Das Spiel beginnt. Ein Portier, der barfuß wohl auf seinen nächsten Auftrag wartet, drückt sich am Empfang herum. Es ist Max (Sören Wunderlich) ehemals Künstler, sensibel und durch eine Schaffenskrise zum Angestellten des Hotels geworden. Ähnliches ist Karl (Hajo Tuschy) ergangen. Er ist der Chauffeur des Hauses, trägt eine ledernde Uniform, die stark an das Militär erinnert (Kostüme: Britta Leonhardt). Karl war 1914 in Portugal, wo er wegen Mordes in den Knast musste, was er aber immer wieder peinlichst zu vertuschen sucht, obwohl es doch irgendwie alle zu wissen scheinen. Ansonsten ist er eher rau und macht einen verschlagenen Eindruck.
Schließlich taucht ein Gast auf, Emanuel Freiherr von Stetten, der bankrotte Zwillingsbruder der Gräfin Ada Freifrau von Stetten (Sophie Basse), die als einziger Gast „Zur schönen Aussicht“ haust und damit das Hotel knapp am Leben erhält. Der Bruder ist gekommen, um seine Schwester um Geld, das er beim Kartenspiel verzockt hat, anzupumpen. Aus dem Gespräch wird klar, dass die Schwester nicht nur alt und unansehnlich ist, sondern dazu auch noch einen geistigen Knacks zu haben scheint und Spaß am Quälen hat. Durch ihr Vermögen ist sie in der angenehmen Situation, alle Männer einschließlich des Hoteldirektors Strasser (Glenn Goltz) nach ihrer Pfeife tanzen lassen zu können. Ein weiterer Störfaktor im Alltag des Hotelbetriebes ist Herr Müller (Wolfgang Rüter), der vorbeikommt, damit seine schon lang ausstehende Rechnung einer Sektlieferung endlich beglichen wird. Strasser erpresst ihn allerdings mit einem unsauberen Autohandel, den er vor Wochen mit dem eindeutig dem (Ersten Welt-)Krieg nahestehenden und wohl auch nationalsozialistisch angehauchten Ex-Soldaten abgeschlossen hatte.
Schließlich klopft auch noch Christine (Lydia Stäubli) an die Türen des Hotels, um den Vater ihres Kindes – Hoteldirektor Strasser – wiederzutreffen, der sich ein Jahr lang nicht bei ihr gemeldet hat, obwohl sie viele Briefe an ihn geschickt hatte. Strasser will aber von Kindern und einem Zusammenleben nichts wissen. Er ist vielmehr daran interessiert sich an Ada zu binden, damit sein Hotelbetrieb weitergeht. Christine wäre also nur eine Schmarotzerin. Deswegen zieht er Ada und die anderen Herren zu Hilfe, die kurzerhand einen Komplott planen, der Christine aus dem Hotel (und in die Schande) treiben soll, indem jeder der Herren behauptet, er habe mit ihr ebenfalls ein intimes Verhältnis gehabt. Als Christine schon völlig gebrochen aufgrund der Lügen, ein wichtiges Schlagwort im Stück, ist, nimmt die Situation eine scharfe Kehrtwende. Christine eröffnet, nachdem sie eingesehen hat, dass man sie im Hotel nicht will, dass sie von einer Tante 10.000 Mark geerbt hat und sie eigentlich gekommen war, um dem Hotel wieder zu neuem Glanz zu verhelfen. Nach diesem Geständnis sieht sie sich plötzlich einer ganzen Schar Verehrer ausgesetzt, die allerdings alle eindeutig durchscheinen lassen, worum es ihnen wirklich geht.

Das Stück lebt von den sogenannten Klipp-Klapp Dialogen, kurze Sätze, die sich gegenseitig den Ball zuspielen. Lange Monologe gibt es so gut wie gar nicht; liest man das Stück, braucht man ca. eine Stunde Lesezeit. Die Inszenierung dauert 2,5 Stunden was also passiert alles auf der Bühne?
Im Grunde wird sich an die Textvorlage gehalten, diese aber immer wieder durch zusätzliche Medien und Texte weiterinterpretiert, vielleicht sogar überstrapaziert. Auf bestimmte Schlagworte folgt ein kleiner Dreh, ein Lied, ab und zu taucht auch der Regisseur wieder mitten im Geschehen auf mit weiteren Informationen im Gepäck. Dazu wird beispielsweise auch die Geschichte von Schneewittchen in die Inszenierung eingeflochten, wobei Christine Schneewittchen und Ada die böse Königin ist. Diese zweite Erzählstufe wird sehr deutlich, als Ada wie im Märchen von Strasser als Beweis, dass er Christine rausgeschmissen hat, das herausgeschnittene Herz des Mädchens fordert. Daneben werden aber auch die Themen des Nationalsozialismus und, als Gegenwartsbezug, die Frage nach Europa aufgegriffen.
Den Anspruch einer Komödie spaßige und unterhaltsame Szenen zu zeigen, erfüllt Kreyers Inszenierung in Zusammenarbeit mit Nicola Bramkamp (Dramaturgie)von der ersten bis zur letzten Minute. Allerdings fehlt es der Inszenierung an einem roten Faden. Durch die vielen Anspielungen, Verbindungen, Einschübe, zusätzlichen Texte und was nicht sonst noch alles auftaucht, verliert sich die Erzählung. Tatsächlich fragt man sich nach der ersten Hälfte bereits, worum es in dem Stück eigentlich gehen soll, da alles möglich angeschnitten, aber fast nichts konsequent zu Ende erzählt oder gedacht wird. Nach einer Zeit wirken die vielen teils wirklich tollen Ideen ermüdend und beim dritten Auftritt des Regisseurs hegt man die leise Vermutung, dass die Foyer-Einführung einfach in das Stück verlegt wurde, damit auch wirklich alle Zuschauer ausnahmsweise mal die wichtigen Fakten mitbekommen.

Dass die 2,5 Stunden dennoch gut zu sehen sind, ist vor allem der tollen Leistung der Schauspieler zu verdanken. Sophie Basse und Daniel Breitfelder als Zwillingspaar stechen durch den bayrischen Dialekt hervor, den beide wunderbar beherrschen und schon allein dadurch ihrer Rolle Witz verleihen. Breitfelder verkörpert den Freiherrn als femininen Schnösel, was ihm grandios gelingt, während Basse die verrückte Ada klug durch Gesten, Stimme und Mimik umsetzt, sodass man ein lebendiges Bild einer „Hexe“ vor Augen geführt bekommt. Glenn Goltz als Strasser gibt den gefühllosen und etwas schmierigen Hotelbesitzer überzeugend. Sören Wunderlich als etwas verträumten und willensschwachen Max, der letzten Endes doch dem Gruppenzwang erliegt, ist anrührig – man möchte gar nicht glauben, dass auch er später hinter Christines Geld her ist. Hajo Tuschys Karl ist schroff und anbiedernd zugleich, was der Rolle abgründiges verleiht und sich von den anderen Figuren abhebt. Wolfgang Rüter in gewohnt guter Form spielt Müller energisch, wobei Müllers rechte Gesinnung immer wieder heraussticht. Lydia Stäubli, deren Christine gar nicht so viele Auftritte hat, hängt sich körperlich sehr in die Gretchen-ähnliche vom Schicksal gebeutelte und dann aber doch vom „lieben Gott“ gerettete Christine hinein. Jeder Schlag ihres Geliebten gegen sie, scheint sie körperlich und seelisch mitzunehmen, bis sie irgendwann einsieht, dass ihr Traum von einer glücklichen Zukunft nur ein Luftgespenst war. Hier liegt aber auch Christines Gewitztheit, sie verrät nämlich, dass sie absichtlich das Erbe verschwiegen hat, da sie sich gewünscht hatte als arme Prinzessin geliebt zu werden. Ihr Trick rettet sie so vor einer unglücklichen Zukunft und lässt sie schließlich als freie und selbstbewusste Frau das Hotel wieder verlassen.
Insgesamt also ein durchaus anregender und vor allem amüsanter Abend, dem eine gewisse Kürzung und Fokussierung auf ein einziges Thema neben der Erzählhandlung gut getan hätte, so wirkte das ganze etwas chaotisch.
Die nächsten Termine sind am 25.4., 6.5., 18.5., 27.5. und 30.5. Aktuell wird der Originaltext zum Stück nur bei Nachfrage gedruckt, er ist aber hier abrufbar.
Rebecca Telöken