„Ich sage nichts ohne meinen Anwalt!“

(Vorschaubild (c) Thilo Beu)

Kampf der Theorien und Generationen im Wohnzimmer der Clarenbachs

DER LETZTE BÜRGER ist bereits das zweite Stück von Autor Thomas Melle am Theater Bonn, das nach BILDER VON UNS uraufgeführt wurde. Es feierte vergangene Woche seine erfolgreiche Premiere in den Kammerspielen Bad Godesberg.

Leo Clarenbach (Wolfgang Rüter) wird sterben, das ist gewiss. Die ganze Familie, die sich lange nicht mehr gesehen hat (oder wollte)  trifft sich in seinem Wohnzimmer, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Gepflegt wurde der Sterbende jahrelang von Holm (Sören Wunderlich), seinem Sohn, und Lupo (Ursula Grossenbacher), einer alten Freundin, da seine Frau Tessa bereits verstorben ist. Leo Clarenbachs andere Kinder, Wiebke (Sophie Basse) mit seinem Enkel Paul (Hajo Tuschy) sowie Jasper (Holger Kraft) mit Stieftochter Tanja (Birte Schrein) und den Enkeln Laura (Lena Geyer) und Tilmann (Daniel Gawlowski) erscheinen ebenfalls.

(c) Thilo Beu

Der Groß- und Stiefvater lädt sie dazu ein über die alten Zeiten zu sprechen. Alte Geschichten werden ausgepackt, schöne wie traurige Momente, um vor allem bei seinen Enkeln nicht in Vergessenheit zu geraten. Nachdem die Eltern zunächst mit den Standardgeschichten beginnen, die jahrelang nach außen den Schein einer perfekten Familie gewahrt haben, tauchen sie nach und nach wieder in ihre eigene Vergangenheit ab, erforschen diese und trauen sich im Kreise einer zerspaltenen Familie wieder an die alten Familiengeheimnisse und so an die Wahrheit heran. Doch, wer kennt hier eigentlich wen?

Thomas Melle vereint in seinem neuen Stück die klassischen Themen einer Familien-Fehde: alte Geschwisterzerwürfnisse, das Misstrauen der Kinder in die Eltern, alte Konflikte, die unter den Teppich gekehrt wurden und das alles nur, um den Schein einer intakten Familien zu wahren. Eine Ansammlung von sich ähnlich sehenden Menschen, die die normalen Standardfloskeln einer Familienfeier ironisch karikieren und wie Seriendarsteller herunterleiern. Durch Leo Clarenbachs Vergangenheit und das ewige Warten auf den Moment seines Todes seitens der Familie mischt sich noch ein zweiter Punkt in die ohnehin schon sehr komplexe Familiengeschichte. Der Sterbende arbeitete lange als Spion der DDR, seine Familie bekam allerdings erst in den 90er Jahren Wind davon, als ihr Haus eines Nachts gestürmt wurde. Die anfänglichen Erzählungen über glückliche Geburtstagsfeiern scheinen bereits nach ein paar Minuten vergessen.

Regisseurin Alice Buddeberg ist es gelungen die hochgradig komplexe sowie ungeheuer spannende Familiengeschichte so auf die Bühne zu bringen, dass man sich selbst auf einmal wie ein Teil des Familienclans fühlt. Man sitzt ganze zwei Stunden angespannt auf seinem Sessel und beobachtet das Geschehen. Durch das Einspielen von verschiedenen in der Vergangenheit spielender Videosequenzen denkt man, man liefe durch ein lebendig gewordenen Familienalbum.

(c) Thilo Beu

Durch das Zusammenspiel der Videoschnitte (Joscha Sliwinski), des Lichtdesigns (Sirko Lamprecht) und der Musik (Stefan Paul Goetsch) zeigen vor allem das Bühnenbild (Cora Saller) und die Kostüme (Emilia Schmucker) eine weitere neue Möglichkeit und Facette der Untermalung der Handlung. Während sich die Familienmitglieder im Laufe des Abends immer mehr Geschichten um die Ohren werfen und somit ihre persönlichen Beziehungen untereinander beeinflussen, verändert sich auch die Bühne. Wenn also am Anfang die komplett stillvoll, durchgestylte Familie im noch stilvolleren, tristen Wohnzimmer von Leo Clarenbach steht, lösen sich nach und nach die verschiedenen Wände und Grenzen des Bühnenbildes und der Beziehungen synchron auf, sodass sich zum Schluss eine Gemeinschaft auf einer Ebene treffen kann, um endlich offen und ehrlich miteinander zu reden. Somit ist es nicht zuletzt durch die großartige Inszenierung (Alice Buddeberg) und Dramaturgie (Johanna Vater) möglich, die Wahrheit von der Unwahrheit der Vergangenheit unterscheiden zu können.

Danke für einen fesselnden Theaterabend durch eine grandiose schauspielerische Leistung auf der Bühne und eine notwendig gute Zusammenarbeit hinter den Kulissen.

Ein Stück, das mir auch beim zweiten Besuch noch sehr viel Spaß gemacht hat, da ich durch die inszenatorische Liebe zum Detail noch mehr Geheimnisse in der Familiengeschichte der Clarenbachs entdecken und selbst Theorien aufstellen konnte.

Lohnenswert!

Die nächsten und letzten drei Termine sind am 17., und 23. Februar, sowie am 8. März.

Kim Sterzel

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