(Vorschaubild (c) Thilo Beu)
Die Inszenierung von Shakespeares „Der Sturm“ am Bonner Theater
Es ist der Abend der Premiere von DER STURM. Am 2. März 2017 inszenierte Gavin Quinn Shakespeares letztes Stück in den Kammerspielen. Der Regisseur hatte sich zuvor bereits durch SCHÖNE NEUE WELT am Theater Bonn bekannt gemacht.
Shakespeares Stück handelt von sieben Schiffsbrüchigen, die nach einem Sturm auf einer geheimnisvollen Insel landen, die zuerst unbewohnbar scheint, aber eigentlich von dem Zauberer Prospero beherrscht wird. Dieser entscheidet über das Schicksal der verschiedenen Charaktere, begleitet von seiner schönen Tochter Miranda, seinem missgestalteten Sklaven Caliban und dem Luftgeist Ariel, der in Prosperos Schuld steht, weil der Alte ihn einst aus seinem Baum befreit hatte, in den ihn eine Hexe eingesperrt hatte.
Die Bühne ist dunkel. Nur die sich wiegenden Holzplanken des im Sturm zerstörten Schiffs sind zu erkennen, begleitet von dem passenden Rauschen der Wellen und dem Dröhnen des Donners. In einer Ecke steht, kurz beleuchtet, eine mysteriöse Gestalt mit riesigen schillernden Flügeln. Spannung liegt in der Luft.

Nun treten allerdings zuerst Alonso, der König von Neapel (Ursula Grossenbacher), sein Bruder Sebastian (Glenn Goltz), der Herzog von Mailand Antonio (Wilhelm Eilers) und der Rat des Königs Gonzalo (Barbara Teuber) auf. Die Gesellschaft ist nicht zufällig an dem Strand gelandet, Prospero (Birte Schrein) hatte mit Hilfe ihrer magischen Fähigkeiten einen Sturm heraufbeschworen und dank diesen auch König Alonso von seinem Sohn Ferdinand (Philipp Basener) getrennt. Gleich zu Beginn wird der Zuschauer auf die Intrigen und Machtspielchen der Charaktere aufmerksam gemacht, da Sebastian und Antonio versuchen, den König umzubringen, um sich seine Macht anzueignen.
Der Schauplatz wechselt: es ist Mirandas (Lydia Stäubli) Geburtstag. Auf ihr Drängen hin erklärt Prospero die Umstände, durch die die beiden vor 12 Jahren auf die Insel gelangten und erwähnt dabei die Schuld Alonsos und Antonios, die das Herzogtum Mailand durch Hinterlist gestohlen hatten. Hier wird auch Prosperos Sklave Caliban (Alois Reinhardt), ein Erdgeist, eingeführt, der einst der Prinz der Insel war, aber nach einer versuchten Vergewaltigung Mirandas versklavt wurde.
Prospero, der recht herrisch auftritt, fördert – nicht ohne Eigennutz – die Liebe zwischen seiner Tochter Miranda und Ferdinand. Die beiden verlieben sich und heiraten kurz darauf, wobei Ferdinand Miranda verspricht, sie zur Königin von Neapel zu machen.
Neben der Haupthandlung um Prospero und seine Familie spielen die Charaktere Trinculo (Hajo Tuschy) und Stephano (Sören Wunderlich), ein Trunkenbold und ein Hofnarr, die ebenfalls auf der Insel gestrandet sind, eine wichtige Nebenrolle. In der bis dahin eher klassischen Inszenierung ist jetzt ein eindeutiger Stilbruch bemerkbar: Die beiden Charaktere gleichen mit ihren sonnenverbrannten Gliedern, ihren Hawaiihemden und dem Kasten Bier eher dem Klischee von Touristen als Figuren eines Shakespeare-Stückes. Dieses Motiv des Massentourismus wird durch den herumliegenden Müll und die sehr kolloquiale Sprache, im Falle Trinculos auch mit italienischem Akzent, unterstützt.

Caliban trifft auf Stephano und Trinculo. Stephano gibt Caliban etwas von seinem Wein ab, woraufhin dieser, nun betrunken, ihn wie einen König verehrt und ihn bittet, Prospero, der ihn durchgehend verspottet und als abscheuliches Monster ansieht, umzubringen. Stephano willigt ein. Durch diese Wiederholung von Intrigen auf einem albernen Niveau werden die Machtspiele der Herzöge und Könige persifliert.
Am Ende der Inszenierung erfährt Prospero durch Ariel (Laura Sundermann) von dem Mordkomplott, zwingt seinen Bruder, nachdem er ihm all seine Missetaten vorgeführt hat, ihm seinen Titel zurück zu geben und Reue zu zeigen. Miranda und Ferdinand werden zum zukünftigen Königspaar Neapels erklärt.
Im Epilog bittet Prospero das Publikum um eine Erlösung durchs Klatschen, was die durch ihn bereits während des gesamten Abends angedeutete Rolle abrundet: Prospero überwacht in der Inszenierung die Handlung, spricht in herrischem Ton und lässt keine Widerworte zu. Sein gesamtes Verhalten erinnert an einen Theaterregisseur, was auf die Spitze getrieben wird, als er die Bühnenmitarbeiter seine „Zaubergeister“ nennt und von den Geschehnissen als „Stück“ spricht. Mit Ende des „Stücks“ legt Prospero auch seine Zauberkräfte und damit die Tätigkeit als Regisseur nieder.
Neben den Leitmotiven des Machtkampfs und der Theaterwelt werden noch weitere Aspekte aufgegriffen. Mirandas Augen sind z.B. zu Beginn des Stücks von einer Virtual-Reality-Brille verschlossen. Bis dahin hat sie in einer Illusion, in einer Scheinwelt gelebt, die nur für sie existierte. Das Motiv wird am Ende der Inszenierung erneut aufgegriffen, diesmal auch bei Ferdinand. Die Gründe hierfür könnten ihre Liebe sein, die ja sprichwörtlich blind macht, oder auch die Tatsache, dass die beiden vom Überleben der anderen Schiffbrüchigen nichts wussten. Auch wechselt Mirandas Kleidung im Laufe der Vorstellung, die ihre Entwicklung vom unwissenden Mädchen zur jungen Frau verdeutlicht. Der Aspekt der Illusion wird durch an einen Drogenrausch erinnernde Szenen weitergeführt. Palmen in LSD-Optik oder elektronisch hinterlegte Stimmen sind nichts Ungewöhnliches auf der Insel. Die ganzen Effekte untermalen die Magie der Insel und machen sie zu einem außergewöhnlichen, aber auch gefährlichen Ort. Außerdem unterstreichen sie die Sucht Prosperos nach Zauberkräften.

Die vielen Motive haben eine anziehende Wirkung auf das Publikum. Vor jenes des Theaterstücks ist sehr ansprechend und humorvoll gestaltet. Die dargestellte Magie des Ortes zieht das Publikum in seinen Bann, ist aber teilweise zu viel des Guten. Einige Elemente wirken nicht unterstützend für die Inszenierung und scheinen nur um der Kunst willen eingebaut zu sein, weshalb es manchmal schwer ist, der Handlung zu folgen. Außerdem wirkt die Inszenierung an einigen Stellen albern, obwohl die jeweiligen Szenen an sich bedeutungsvoll und ernst sein sollten.
Die Überspitzungen haben allerdings auch positive Effekte: Zum einen erhalten sie die Spannung während des fast drei stündigen Stückes und unterstreichen zum anderen dessen Unterhaltungswillen, der besonders in den Figuren des Trinculo und Stephano zum Ausdruck kommt.Der Epilog, meisterhaft vorgetragen von Birte Schrein, rührt und verwirrt gleichermaßen. Auch die Soundeffekte, vor allem am Anfang der Inszenierung, sorgen für Spannung. Zwischendurch hatte man wirklich Angst vor dem nächsten Donnerschlag bzw. vor dem nächsten einbrechenden Sturm.
Ein Besuch des Stücks lohnt sich absolut, wenn jemandem der Sinn nach einem humorvollen Abend steht und man bereit ist, ein wenig Irritation durch die Komplexität der Geschehnisse zu akzeptieren. Spannend ist die Neuinterpretation der Rolle von Prospero als Theaterregisseur und jede Menge Witz findet sich in Form der überspitzten Machtspiele.
Mira Zimmermann &Jael Keck