(Vorschaubild: (c) Kim Sterzel)
Das erste Schreibwochenende des Jugendclubs
Es sind mittlerweile zwei Proben vergangen, in denen wir durch diverse Improvisationsübungen zunächst versuchten die Gruppendynamik zu stärken: Hierfür besonders geeignet sind Schauspielspiele, bei denen man sich im Kreis versammelt und dort je nach Wahl anschreit, ankräht oder anlacht, sowie Bewegungsübungen macht, wobei während des gemeinsamen „durch-den-Raum-Gehens“ das Tempo gedrosselt, angezogen oder durch eine plötzlich aufflammende Stimmung beeinflusst wird. Basierend auf diesem ersten Ensemble-Gefühl stand dagegen das erste Schreibwochenende ganz im Sinne der Figurenentwicklung. Auf der Suche nach der Kreativität, unter der erstmaligen Anleitung von Jutta Reichelt (www.juttareichelt.com), einer ursprünglich aus Bonn stammenden Autorin, die gemeinsam mit der Theaterpädagogin Inga Waizenegger den Jugendclub leiten wird, versammelten wir uns um einen großen Tisch der Probebühne 1: Unser neues Zuhause und vor allem auch der Ort, der in gar nicht ganz so weiter Entfernung schwebender Premiere.

Zur Geschichte: Es gibt drei Geschwister – den leichenblassen John, eine kluge Emma und eine pfeifende Clara. Die Szenerie ist ein Treffen auf einer Waldlichtung. So weit so gut, aber warum treffen sich die drei Kinder dort? Was ist ihre Vorgeschichte? Nun waren wir gefragt! Im Schreibprozess wurden Ideen gesammelt; z.B. gab es den Vorschlag, dass die drei gerade einem Autounfall entgangen waren, worüber die zwei Schwestern weniger froh sind, da sie nun ihren Mädelsabend verpassen.
Nach dem gelungenen Einstieg erreichten wir Stufe zwei am nächsten Tag. An uns wurden Kärtchen auf denen Charaktereigenschaften aufgeschrieben waren, verteilt, anhand derer wir nun eigene Figuren ausdenken und uns anschließend gegenseitig zu diesen eigens erdachten Rollen interviewen sollten. Im lauschigen Obergeschoss der Kantine mit einer Tasse Tee oder Kaffe, machten wir es uns auf den Sofas gemütlich und portraitierten die jeweilige Figur des Interviewpartners. In kleinen Gruppen ließen wir unsere frisch zum Leben erweckten Gestalten erstmals in einer Smalltalk- und anschließender Streitszene aufeinander-treffen. Unsere rollenartigen Ansätze vertieften wir während einer Gruppenimprovisation. Nur so viel: Man stelle sich vor, ein verkappter Möchtegern-Star, eine schwangere Businessfrau, ein halber Philosoph, ein Lexikon-rezitierendes „Etwas“ (ob Mensch oder Gegenstand ist noch nicht entschieden) und noch ein paar andere verrückte Menschen treffen aufeinander … Das Chaos ist dann wohl vorprogrammiert, oder? Zum Schluss sammelten wir noch unsere ganz persönlichen Rollenwünsche, das zukünftige „Material zum Experimentieren“, inspiriert von einem anregenden Probentag.
Am Sonntag beschäftigen wir uns voll und ganz mit unseren eigenen Rollenkreationen und stellten obendrein fest, dass wir mit „ganz oben in der Kantine“ wohl unseren Lieblingsplatz gefunden hatten.

Während einer erneuten Schreibphase konfrontierten wir unseren Figurenschützling mit potentiellen Ängsten, machten uns konkrete Gedanken zu möglichen charakterlichen Eigenschaften und Einstellungen. Die Ergebnisse konnten sich wirklich sehen lassen: Zumindest hatte jeder von uns nach der Hälfte des Tages einen Anhaltspunkt (Grundstimmung, Eigenschaft,
Hintergrund) für eine eventuelle Figur. Auch diese neuen Etappenziele verfestigten wir in einigen Improvisationen und gaben unserem zweiten Ich somit die nötige Körperlichkeit, um mit ihr herumzuspielen und -probieren zu können.
Am letzten Probenwochenendtag offenbarte sich uns abermals ein neues Gesicht: Sandra Linde, zuständig für das Bühnenbild besuchte unsere Proben, um ebenfalls einen ersten Eindruck der Bühnensituation zu gewinnen. Während einer kleinen Aufwärmrunde, ließen wir den Stress des – für die Meisten von uns – anstrengenden Schulalltages von uns abfallen und freuten uns auf einen erneute Konfrontation mit unseren Figuren.
„Impro einmal anders“, hieß es auf einmal. Die neue Aufgabe, der wir uns stellen mussten, lautete, dass jeder von uns einmal Regisseur sei und sich für seinen Charakter seine eigene Szene mit den anderen Mitgliedern des Ensembles basteln sollte. Hier erfuhren wir hautnah, an was ein Regisseur eigentlich wirklich alles denken muss. Die Improvisation begann und nachdem ein zu freundliches Mütterchen uns ihre Lebensgeschichte erzählte, ließen wir uns anschließend beim Selbsthilfegruppentreff von einem seltsamen Zeitgenossen seine Abenteuermärchen während seiner Weltreise auftischen. Im Anschluss bestärkten und ängstigten wir ein mutiges Mädchen auf seinem letzten Gang und wuchsen spontan als Klassengemeinschaft zusammen, um unsere „Neue-Klassenkameradin“ mehr oder weniger herzlich willkommen zu heißen. Gute Teamarbeit und erste Perspektiven nach vier Tagen Arbeit zahlten sich also aus: Die Neugier steigt!
Kim Sterzel