In der ersten Ausgabe der Reihe „Nightcafé Esperanto“, die am 29.10 im Foyer der Werkstattbühne begann, brachte uns Regieassistent Frederik Werth Nordkorea näher.
In dieser neuen Reihe bekommen die Regieassistenten des Schauspiels die Chance, Themenabende zu einem bestimmten Land zu gestalten. Werth tat dies, ohne den erhobenen westlichen Zeigefinger und ohne die Gräueltaten der Diktatur vorzuführen. Er setzte den Zuschauer vielmehr der Propaganda aus. Die Ausstattung bestand neben Stuhl und Tisch für den Vorleser aus Mundschutzen und Reis – etwas Klischee darf ja auch sein. Immer lächelnd und in traditionell koreanischem Gewand gekleidet, trug Alois Reinhardt eine ganz und gar schreckliche Kurzgeschichte des nordkoreanischen Autoren Han Sorya vor.. In der Geschichte geht es um eine Mutter, deren Sohn in den 20er Jahren von der japanischen Besatzung praktisch umgebracht wurde, eine Geschichte voller fragwürdigerPropaganda. Eine Geschichte aus Nordkorea ohne politische Verfärbung sei unauffindbar, sagt Regisseur Frederik Werth. Jedes Buch, das in Nordkorea veröffentlicht wird, sei davon getränkt. Dementsprechend ist der Abend aufgebaut: es ist eine reine Propagandaveranstaltung. Der immer fröhliche Alois Reinhardt liest eine Tragödie vor, in der es um Liebe, Trauer, Ohnmacht, und Rache geht. Je dramatischer die Handlung wird, desto weiter zieht Alois Reinhardt seine Mundwinkel krampfhaft in Richtung Ohrläppchen. Als er droht eine allzu ernste Miene aufzulegen, greift Regisseur Werth sogar ein und fordert ihn auf, das Lächeln zu verstärken. Doch Einblicke in das ungeschminkte Seelenleben der leidenden Mutter gewinnt der Zuschauer auch: In herausstechenden Sequenzen bricht das ewige Lächeln und Reinhardts Stimme ertönt zu bedrückender Musik aus dem Off und zeigt den Schmerz der Mutter.
Als Zuschauer ist man zunächst irritiert von der Mimik, das andauerndeLächeln passt natürlich nur selten und auch eher zufällig zum Inhalt der Geschichte. Die Befremdung, von der man sich als Zuschauer nur schwerlich befreien kann, vermittelt eine Vorstellung von der Lebenswirklichkeit in Nordkorea. Werth verwendete ausschließlich Bildmaterial aus dem nordkoreanischen Fernsehen, das zwischen den Textabschnitten auf eine Leinwand hinter Alois Reinhardt projiziert wurde und für Authentizität sorgt. Manchmal läuft man Gefahr den Bildern und der Darstellung in der Geschichten zu glauben. Die Leiden der Mutter, die bösen Japaner und Amerikaner und das stolze koreanische Volk: alles steht vor dem Hintergrund Stimmung gegen die Besatzung zu machen. Alois Reihnhardt spielt den erzwungen fröhlichen Vorleser überzeugend und trägt seinen Teil zu dem Kontrast zwischen Schmerz und lächelnder Maske bei, der so auch beim Zuschauer ankommt.
Die Kurzgeschichte hat Frederick Werth zu diesem Anlass gekürzt und aus dem Englischen übersetzt. Die Inszenierung ist eine außergewöhnliche Auseinandersetzung mit Nordkorea, da man als Zuschauer eine europäische Perspektive erwartet und sich plötzlich ganz alleine eine Meinung bilden muss. Die gibt es jedoch nicht. Der lächelnde Vorleser bleibt konsequent in seiner Rolle und man darf vermuten, dass so ein Abend auch in Nordkorea hätte stattfinden können– ohne japanische Performationskunst versteht sich.
Die unkonventionelle Bearbeitung des Stoffes war eine spannende Auseinandersetzung. Man darf gespannt sein, auf welchem Weg Anaïs Durand-Mauptit in der zweiten Ausgabe am 18.11 durch Portugal führt.
Lucas Krah