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Arthur Millers Ein Blick von der Brücke feiert Premiere im Schauspielhaus

Obwohl die Premiere von EIN BLICK VON DER BRÜCKE im Schauspielhaus Bonn zweimal verschoben werden musste, litt die Inszenierung am 18. Februar kein bisschen darunter. Durch die herausragende Darbietung der Schauspieler wurde man von dem von Martin Nimz inszenierten Stück gefesselt. Es hatte wirklich ein Gummibärchen-Effekt – man möchte mehr davon.

Das sozialkritische Drama von Arthur Miller aus den 1950er Jahren erzählt die Geschichte vonEddie Carbone (Christoph Gummert). Er kam vor 20 Jahren mit seiner Frau nach Amerika und fühlt sich mittlerweile dort heimisch. Obwohl er verheiratet ist, fühlt er sich von seiner verwaisten Nichte Catherine (Sandrine Zenner) angezogen. Seine Ehefrau Beatrice, gespielt von Lydia Stäubli, hat die Aufgabe wie ein Neutron in einem Atomkern die Anziehungs- und Abstoßungseffekte zwischen Eddie und Catherine zu dämpfen, sodass ein Zusammenleben möglich ist. Doch auch sie stört sich an der kühlen Art ihres Mannes und sehnt sich wieder nach Intimität.Die weibliche Hauptrolle, Catherine,ist ihrerseits hin und her gerissen zwischen Loyalität gegenüber Eddie und ihrem Wunsch nach Selbstverwirklichung. Dieser Wunsch manifestiert sichin derFigur des Rodolpho (Cedrick Sprick), der illegal nach Amerika kommt, um seinen Traum, Tänzer zu werden, zu verwirklichen. Begleitet wird er von seinen Bruder Marco (Sören Wunderlich), der das genaue Gegenteil von ihm ist und nur versucht, seine im Heimatland zurückgebliebene Familie finanziell zu unterstützen. Obwohl die beiden zunächst liebevoll von Eddie aufgenommen werden, zerbricht das friedliche Zusammenleben Stück für Stück. Die Furcht vor der Einwanderungsbehörde und die Macht der Eifersucht ergreifen immer mehr Besitz von Eddie. Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt, ist als Rodolpho sich in Catherine verliebt und diese heiraten will.

EIN BLICK VON DER BRÜCKE von Arthur Miller INSZENIERUNG: Martin Nimz (c) Tilo Beu

Ohne Frage war es ein spannender Abend. Martin Nimz konzentrierte sich bei seiner Inszenierung auf die ältere Fassung des Stücks, sodass er einen sechs-stimmigen Chor satt eines Anwalts, wie es in der überarbeiteten Fassung steht, in das Spiel intergiert. Der Chor interpretiert und ermöglicht Einblicke in die Psyche der Protagonisten, irritierte die Zuschauer jedoch durch die Zerstückelung des Textes.Statt am Geschehen teilzunehmen, beobachtet und kommentiert der Chor die Geschichte wie in einer antiken Tragödie. Dennoch baut Nimz ihn geschickt in die einzelnen Szenenbilder ein, umdie angespannte Stimmung zu unterstreichen und den Zuschauer zum Nachdenken zu animieren.

Wie durch den Einsatz eines Chores so finden sich auch Anklänge an die Antike in der Gestaltung des Bühnenbildes (Sebastian Hannak). Durch einen mehrstufigen, schlichten, halbrunden Aufbau wird der Zuschauer an die historischen Theater der Griechen und Römer erinnert. Die Bühne verwandelt sich später vor den Augen der Zuschauer zum Boxring, zur Tanzfläche und zum Wohnraum. In diesen Räumen bewegen sich die Figuren mit einem Minimum an Requisiten: Ein Stuhl, Boxhandschuhe und ein Plattenspieler, welcher zentral zum Einleiten der eingebauten Tanzeinlagen dient.Gerade die verschiedenen Tanzeinlagen holen das Publikum aus der bedrückenden Stimmung des Dramas. Die Tanzszenen werden durch eine Mischung aus der Zeit stammenden Musikstücke und modernen Moonwalk aufgepeppt.

Die Boxhandschuhe betonen Eddies Kämpferwillen. Sie bieten Eddie einerseits für seinen aufkommenden Frust und seine Wut ein Ventil, kommen jedoch auch gegen seine Rivalen Rodolpho zum Einsatz.Eddie sieht sich immer als Sieger, und verliert zum Schluss doch alles.

Über die ganzen knapp zwei Stunden gelingt es Martin Nimz mit der Unterstützung von Male Günthers (Dramaturgie), keine Langeweile aufkommen zu lassen, trotz des bereits erwähnten geringen Einsatzes an Effekten. Die Idee antike Elemente des Theaterspiels in das Stück einzubauen gelingt.

EIN BLICK VON DER BRÜCKE von Arthur Miller , Christoph Gummert als Eddie
(c) Thilo Beu

Das Ensemble ist gut drauf: Christoph Gummert gelingtes perfekt, den inneren Konflikt und das damit verbundene Gefühlschaos den Zuschauern zu vermitteln. Ihm ist die Rolle auf den Leib geschrieben. Sandrine Zenner überzeugt als Catherine, die zwar noch Mädchen ist, aber die den Schritt zum Erwachsenensein gehen muss und dabei der Realität ins Auge sehen muss , dass ihre anfängliche Liebe in die gleiche unglückliche Ehe endet wie Beatrices. Cedrick Sprick musste zwar die Rolle des Rodolpho ungeplant spielen, tat dies aber mit großer Leidenschaft. Lydia Stäubli ist besonders in der Szene stark, in der sie gar kein Text zu sprechen braucht. Ihre Rolle als verletzte und abgewiesenen Ehefrau kommt besonders bei einer Tanzszene zum Ausdruck. Sören Wunderlich als Marco hat eher eine kleine Rolle, die erst zum Schluss ihr zerstörerisches Potential voll entfaltet.

Johannes Brüssau, der die Choreografie erarbeitet hat, hat nicht nur unterhaltsame Tanzeinlagen geschaffen, sondern auch mit dem Hochzeitstanz gezeigt, dass er die verzweifelte Situation zwischen Rodolpho und Catherine tänzerisch zum Ausdruck bringen kann. Zusätzliche Lichteffekte (Sirko Lamprecht) bei den Choreografien passen wie der Deckel auf dem Topf.

Obwohl EIN BLICK VON DER BRÜCKE ursprünglich in den 50ern Jahren spielt, sind die Fragen nach Motivation und Hintergrund von Einwanderung aktuell wie nie und zeigen, wie eine möglicherweise ungerechte oder strenge Handhabung Familien und Freundschaften auseinanderreißen. Zugleich bietet das Stück Nimz die nötige psychologische Tiefe, die der Regisseur besonders schätzt. Insgesamt lohnt sich der Besuch von EIN BLICK VON DER BRÜCKE im Schauspielhaus sicherlich!

Jorg Stephan Kahlert & Ricarda Telöken

EIN BLICK VON DER BRÜCKE von Arthur Miller Letzter Tanz? Eddie und Marco. (c) Thilo Beu
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