MERCEDES feiert Premiere auf der Werkstattbühne
Wer vielleicht in den letzten Tagen etwas Kulturnachrichten gelesen, gehört oder gesehen hat, dem ist der Film „Lieber Thomas“ sicher über den Weg gelaufen, der sich mit dem Leben Thomas Braschs beschäftigt. Der Schriftsteller, Theater- und Filmregisseur hatte am 3. November seinen 20ten Todestag zu dessen Anlass nun einige Theater seine Stücke wieder aufführen. In Bonn sollte das Stück schon in der letzten Spielzeit gelaufen sein, jetzt passt es umso besser.
MERCEDES gehört zu Braschs bekannteren Stücken. Es wurde 1983 in Zürich uraufgeführt und zwei Jahre später von ihm selbst auch verfilmt. Eigentlich ist es laut dem Suhrkamp Verlag, der den Text verwaltet ein Drei-Spieler*innen-Stück, das für Bonn aber auf zwei Spieler*innen reduziert wurde und das sicher gut auf die Werkstattbühne passt. Worum geht es bei dem Abend? Da sind ein Mann – Sakko – und eine Frau –Oi – und wie es bei manchen Social-Media Plattformen heißen würde, ist ihre Beziehung „kompliziert“. Sakko liebt Mercedes, er trägt ein Mercedes-T-Shirt und ein Sakko, das wie ein typischer Mercedes im „Altherren“-Silbe schimmert. Eine Hose trägt er nicht, seine sexuellen Interessen an Damen sind dadurch recht eindeutig. Was Sakko eigentlich macht, ist nicht ganz klar, mal erzählt er, er sei Fahrzeugüberführer (natürlich am liebsten für Mercedes), mal will er zum Bund, um einen sicheren Arbeitsplatz zu haben, wenn er sich auf 10 Jahre verpflichten lässt. Doch das sind alles fromme Wünsche, denn Sakko ist arbeitslos und vertreibt sich die Zeit damit, an einer Kreuzung zu stehen und die Autos zu zählen – natürlich nur die Mercedes. Oi hingegen tritt den Zuschauern anfangs „nackt“ und mit einer großen Maske im Karikaturstil, die sie selbst ist, entgegen. Das passt, denn die Herumtreiberin ist auch freiwillige Prosituierte, die keine Lust auf einen normalen Beruf hat. Allerdings weiß sie, dass man Geld verdienen muss, halt nur nicht immer auf dem „anstrengenden“ Weg, notfalls auch auf kriminelle Weise. Sie ist eine unglaublich provokante Person, was sich später einmal in einem Art Matador-Kostüm spiegelt (Kostüme: Maximilian Schwidlinski). Immer wieder sticht sie in den Gesprächen mit Sakko, der in sie verliebt ist und den sie irgendwie auch zu mögen scheint, in seine Schwachstellen, bis dieser erzürnt und geht. Trotz offensichtlicher Empathie füreinander schaffen die beiden es nicht ein einziges Mal gleichzeitig ihre Gefühle füreinander zu kommunizieren und zuzulassen.
Das immer wieder in den Gesprächen auftauchende Auto, das mal Streitgrund, mal die Materialisation des Weges in die Freiheit ist, wird auf der Bühne nicht gezeigt. Es scheint genauso Wunsch zu sein wie die Lebensentwürfe der beiden. Überhaupt wird auf der Bühne (Wolf Gutjahr) fast gänzlich auf Ausstattung verzichtet. Wie das Innere eines Neuwagens ist die Bühne in weißen Plastikplanen eingepackt, nur zwei große Scheinwerfer ragen in diese sterile Welt hinein und blenden bei kritischen Gesprächen die Protagonisten wie die Scheinwerfer eines Autos (ist schon klar, welches gemeint ist).
Die Herausforderung des Abends ist sicherlich, das Publikum anderthalb Stunden mit seinem Spiel zu fesseln, was bei einer Zweier-Besetzung, die keine Pausen erlaubt, sicher eine Herausforderung ist. Allerdings auch nicht durchweg funktioniert, trotz Salven von pointierten und durchaus witzig-poetischen Wortgefechten, Tanzeinlagen und einem dramatischen beinahe Tod durch den falschen Konsum von Stechapfelblättern (Achtung, Stechapfel ist in allen Bestandteilen äußert giftig und der Verzehr kann zum Tod führen!) wird nicht ganz klar, was diese beiden Personen eigentlich aneinander reizt oder eben dann plötzlich auch nicht mehr reizt. Zwischenzeitlich werden noch Informationen zu Mercedes als Hersteller von U-Boot-Motoren in die Geschichte verwoben, ohne dass der Zuschauer weiß, warum eigentlich. Um eine Traumebene einzuziehen, die durch die Stechapfelvergiftung hervorgerufen wurde? Weil es halt der Text vorschreibt? Möglich. Jedenfalls eskaliert die Situation gegen Ende immer weiter: denn der Mercedes gehört ihnen nicht, sondern jemand anderen. Noch so einem Unsichtbaren, der plötzlich in dem Mercedes Selbstmord begeht – oder vielleicht auch nicht? Nichts ist sicher, alles schwimmt von Szene zu Szene und die Verunsicherung greift spürbar um sich.
Dennoch muss man sagen, dass die Arbeit der ehemaligen Regieassistentin Jule Grothgar vorzeigbar ist.Gerade durch die Reduzierung von ablenkenden Bühnenbildern oder Requisiten und durch den Verzicht auf zu viel Musik fokussiert sich das Stück völlig auf die wirklich tollen Texte Braschs. Sandrine Zenner (Oi) und Christian Czeremnych (Sakko) lassen zwei Figuren entstehen, die auf ihre ganz eigene Weise abgewrackt, aber nicht ohne Träume und Hoffnungen sind. Den Absprung in ein besseres Leben gelingt ihnen nicht, zudem bleiben sie immer in ihren Welten. Vielleichtscheuen sie deswegen die Nähe des anderen. Jedes Mal wenn sie sich nach einer längeren Trennung wiedertreffen, ist es, als seien sie wieder am Nullpunkt (Dramaturgie: Male Günther). Der aktuelle Bezug zur momentanen Lage fand sich übrigens mehr oder minder zufällig, aberhervorragend passend, im Anfangsmonolog von Zenner. Dort wird mit dem Begriff und der Undurchsichtigkeit von Regeln gespielt – man hält sich an Regeln, wird die Regel und verstößt gegen Regeln von einem zum anderen Moment. Das passte deswegen so gut, weil gerade kurz vor der Premiere die 3G Regel für das Theater auf eine 2G Regel hochgestuft wurde und möglicherweise daher auch ein oder zwei Plätze unbesetzt bleiben mussten.
Ob unsere Zukunft genauso unsicher dahinsteuert, wird sich bei weiter hohen Inzidenz und einer immer noch großen Anzahl Ungeimpfter, in den kommenden Wochen zeigen.
Rebecca Telöken