„Sich den schrägen Fragen der Gesellschaft stellen“ – Ein Online-Interview mit Hausregisseur Simon Solberg (TEIL 1)

Titelbild (C) Simon Solberg

Andere Zeiten erfordern andere Möglichkeiten. Zum Interview traf man sich daher eines Abends im virtuellen Raum. Gesprochen wurde über Bonn, Theaterstoffe, Kunst und Corona.

Theatral: Lieber Simon, vielen Dank, dass du dir trotz den Proben zu „Alice im Wunderland“ ein bisschen Zeit für ein paar Fragen nehmen konntest. Stell dich doch bitte einmal kurz unseren Leserinnen und Lesern vor.

Solberg: Mein Name ist Simon Solberg, ich bin Hausregisseur am Theater Bonn. Eigentlich habe ich Schauspiel an der Folkwang Hochschule in Essen studiert, wobei ich danach angefangen habe am Schauspiel Frankfurt zu assistieren und dort auch meine erste Regiearbeit realisieren konnte. Danach war ich die letzten 15 Jahre als freier Regisseur tätig. Neben meiner Theaterarbeit drehe ich Kurzfilme, schreibe Drehbücher und auch Theaterstücke. 

Theatral: Simon, du wurdest in Bonn geboren, wie ist es für dich wieder zurück in Bonn zu sein und hier als Regisseur zu arbeiten? 

Solberg: Ich hatte vor meiner Zeit als Hausregisseur bereits schon ein paar Arbeiten hier gemacht und mitbekommen, dass es immer mal wieder politischen Gegenwind in der Stadt gab – was die Spielstätte Bad Godesberg oder die Schauspielsparte im allgemeinen angeht. Als Jens Groß mich dann gefragt hatte, ob ich nicht fest als Regisseur nach Bonn kommen möchte, war mir das sehr schnell klar. Ich lebe nun einmal für das Theater, das ist eine Passion von mir und ich möchte mir nicht irgendwann vorwerfen, nichts dagegen unternommen zu haben, dass das Theater in meiner Geburtsstadt Stück für Stück abgeschafft wurde. Außerdem mag ich das „Hausregisseur sein“ auch was den Nachhaltigkeitsgedanken betrifft. Als freier Regisseur kommt man immer für eine bestimmte Zeit an ein Schauspielhaus, nutzt alle Ressourcen und ist dann wieder weg. Als Hausregisseur hingegen hat man die Möglichkeit, in eine Kontinuität mit der Stadt, mit dem Haus und den Schauspieler*innen zu kommen. Einen Vertrag über 5 Jahre hatte ich noch nie in meinem Leben, das ist ein tolles Geschenk – wenngleich eine große Verantwortung. Mit Corona zum Beispiel: hatten wir direkt den Drang und zum Glück auch die Möglichkeit uns direkt dazu zu verhalten, mit der Internetserie „Bonndemie“ oder dem Autokinotheater auf unserem Probengelände in Beuel. Wenn ich freier Regisseur wäre, wäre ich nie in so einer Position gewesen, dabei mit entscheiden zu können. Doch genau das ist doch unsere Aufgabe als Stadttheater, uns zu gesellschaftspolitischen Vorkommnissen zu verhalten und zu positionieren, und wie der Narr bei Hofe, dem Publikum immer mit möglichst viel Quatsch die brennenden Themen, offenen Frage und Missstände spielerisch unter die Nase zu reiben.

Theatral: Wie kam es denn generell zu deiner Begeisterung für das Theater? Was hat dich damals zum Theater hingezogen? Was hat dich gereizt? Und wie kam es zu deinem Schauspielstudium? 

Solberg: Ich erzähle gerne die Anekdote, dass ich im Kindergarten den Sperling bei der Vogelhochzeit spielen durfte, obwohl ich eigentlich nur die Zweitbesetzung war – das könnte der Urstein gewesen sein. Als Kind habe ich mich in Geschichten weggeträumt und zu Hause gerne mit Knetfiguren und schlecht gemalten Bildern Geschichten erzählt … dann hat meine Mutter übers Radio von einem Sänger-Casting für eine Kinder-Oper im Nationaltheater Mannheim gehört, und weil sie mich genommen haben, war ich da in der Kartei. In zwei weiteren Arbeiten konnte ich das Theater als Betrieb kennenlernen. Das hat meine Meinung über Theater radikal geändert, denn alles, was mir bis dato bei Besuchen mit der Schule als Theater verkauft wurde, fand ich irgendwas zwischen langweilig und peinlich. Deswegen kann ich auch jeden Schüler verstehen, der sagt: „Bleib mir mal weg mit Theater!“ und freue mich umso mehr, wenn ich mich mit Schülern nach einer meiner Vorstellungen unterhalte und merke, dass es uns mit unserem Abend gelungen ist, jemanden für diese Kunstform, und diese Art Geschichten zu erzählen, zu begeistern. Ich finde darum das Theater so wichtig als Ort der kulturellen Begegnung, an dem sich Menschen aus verschiedenen Generationen und Kulturen treffen können, um sich immer wieder aufs Neue Geschichten zu erzählen die sich, mit unserem Sein als Gesellschaft beschäftigen.

Theatral: Als du als Regieassistent angefangen hattest, hast du auch bald eigene Kurzfilme gedreht. Wie unterscheidet sich die Regie im Theater und im Film? Wie geht man dabei vor? 

Solberg: Der größte Unterscheid ist wohl, dass der Großteil der kreativen Arbeit beim Film im Vorfeld passiert. Man hat im Idealfall das ganze Projekt zu Hause schon einmal vorgezeichnet und dreht es dann eigentlich „nur noch ab“. Dabei kommt man leider nicht in der Weise in einen inhaltlichen Austausch, wie auf einer Theaterprobe, bei der der komplette Prozess Mannschaftssport ist! Beim Film beginnt, meiner Erfahrung nach, die Zusammenarbeit eher in Bezug auf die visuelle Umsetzung des vorhandenen Stoffes. Die inhaltliche Arbeit ist im Theater natürlich auch viel einfacher, weil man einen viel längeren Probenprozess hat, und täglich „probieren“ kann, um den Inhalt zu verfeinern.

Theatral: Deine erste Inszenierung war die Odyssee von Homer am Schauspiel Frankfurt und damit ein echter Klassiker. Überhaupt scheinst du gerne Klassiker zu inszenieren, das fällt auf, wenn man sich deine Liste an Inszenierungen ansieht. Mit Faust und Romeo und Julia warst du auch bei dem Radikal jung –Festival junger Regisseure dabei. Gibt es einen Stoff, der dich noch unglaublich reizen würde? Wann wird ein Stoff für dich wirklich interessant? 

Solberg: Wenn ich etwas lese, suche ich immer zuerst nach dem „Schmerzzentrum“, nach dem Hauptgedanken, den der Autor vielleicht hatte und weswegen er diese Geschichte geschrieben hat. Ich denke, dass ein Autor ein Thema, ein Dilemma, eine Prämisse schriftlich abarbeitet und die einzelnen Ansichten anschließend auf verschiedene Figuren verteilt. Wenn ich diesen zentralen Gedanken gefunden habe, kann ich diesen mit meinen eigenen Gedanken weiter anfüllen. Ich bleibe oft bei den Klassikern hängen, weil man dort archaische Grundprobleme findet, die erschreckender Weise immer noch sehr aktuell sind. Zusammenfassend kann man sagen, mich faszinieren all die Geschichten, in denen Menschen an den gesellschaftlichen Umständen verzweifeln.

Theatral: Gibt es einen Stoff, der dich noch unglaublich reizen würde? Wie sieht es mit modernen Stoffen aus?

Solberg: Da ich seit 15 Jahren inszenieren darf, und mir glücklicherweise fast immer die Stoffe aussuchen durfte – bin ich mit meinen „Lieblingsklassikern“ eigentlich schon durch: „Hamlet“, „Odyssee“, „Volksfeind“ ansonsten würde ich sagen, so ziemlich alle „Schillers“. Ich würde sehr gerne noch einmal „Werther“ machen, oder „Die schmutzigen Hände“, Kleist ist auch so ein Vogel, den ich immer wieder spannend finde! Was die modernen Stücke betrifft, weiß ich oft nicht, was wer gerade schreibt – da sind die Dramaturgen, glaube ich, besser im Bild. Und dadurch, dass ich mir selber viele Gedanken mache, wie man die Grundkonflikte eines Stückes auf heute übertragen kann, gibt es meistens enorme Eingriffe in den Text, wie z. B. bei den „Räubern“, wo wir die ganze Stückdramaturgie umgestülpt haben. Das ist natürlich, salopp gesagt, bei einem Klassiker, der sich nicht mehr wehren kann, einfacher und mit weniger Schmerz für den Autor oder dessen Nachfahren verbunden.

Theatral: Kommen wir von den Werken, die du vielleicht einmal gerne auf die Bühne bringen würdest, zu denen, bei denen du das schon längst gemacht hast. Eine sehr bekannte Inszenierung in Bonn, die besonders auch bei den Studierenden sehr beliebt war, war „Linie 16“. Wie kam es zu der Idee ein Bonn-Musical zu kreieren? Gab es Bedenken wegen der gesanglichen Herausforderung? 

Solberg: Wir wollten gerne einen musikalischen Abend als komplettes Gegengewicht im Programm haben. Mir war es sehr wichtig, wirklich etwas in Bonn zu machen, etwas, das sich mit Bonn auseinander setzt. Und dann bin ich bei den Vorproben zu „Candide“ von der Kölner Südstadt bis nach Bad Godesberg mit dieser Linie 16 gefahren und hab mir bei manchen Stationen gedacht: „Ist das euer Ernst?! Hier fahren wir mit einer normalen Straßenbahn lang?“. Ich glaube mich hätte es nicht gewundert, wenn die Linie 16 dann einfach irgendwann nach rechts abgebogen und gleich bis nach Belgien durchgefahren wäre. Auf jeden Fall haben wir dann überlegt, wie wir die einzelnen Orte mit welche Situationen und Szenen repräsentieren können. Dann habe ich Texte geschrieben, die Schauspieler haben mit denen weiter herum improvisiert und parallel dazu haben wir nach Songs gesucht und alle hatten ganz viele Ideen. Ähnlich sind wir bei „Babel Bonn“ verfahren, nur nicht in der Linie 16, sondern in einer Zeitreise durch die Entwicklung der Stadt von ihren Ursprüngen, bis heute. Eine faszinierende Anhäufung von Bauverbrechen, die von den jeweiligen Herrschern gefühlt an den Interessen der Gesellschaft vorbei hingezimmert wurden – was ist los, Bonn? Und es hört auch nicht auf! Das ist jetzt leider noch in der Corona-Warteschleife…

…Fortsetzung folgt

Das Interview führte Kim Sterzel