Menagerie of broken dreams

Flucht, Verzweiflung, Versagen, die Unfähigkeit der Tristesse der Situation zu entfliehen. All diese Themen verpackt Regisseur Matthias Köhler in Tennessee Willams Stück „Die Glasmenagerie“ in einem düsteren Feuerwerk der Distanz, welches am 29.10.2020 Premiere in der Werkstattbühne feierte.

Noch vor Beginn der Aufführung betreten die Schauspieler die Bühne und gehen Geschirrspülen oder lesen stumm den Alltagstätigkeiten ihrer Rollen nach – ein Motiv welches uns im Laufe des Abends immer wieder begegnen wird –, währenddessen werden Reden aus der Geschichte der USA aus der 2. Hälfte der 20. Jahrhunderts eingespielt, die auf Handlungsort und -zeit hinweisen. Mit dem beklemmenden Gefühl, selbst als pünktlicher Zuschauer doch zu spät platzgenommen zu haben, beginnt das Stück passend: Mit dem Blick in verlorene Seelen, die nur einander haben und sich doch nicht helfen können.

(c) Thilo Beu

Die Bühne ist eine große Wasserfläche, die größer als der gesamte Publikumsraum ist. Der bespielbare Teil schrumpft aber auf eine kleine Fläche zusammen: Auf eine enge Wohnung, die von der Familie Wingfild bewohnt wird. Hier sind die Kinder Laura (Sandrin Zenner) und Tom (Christian Czermnych) ihrer kontrollsüchtigen Mutter Amanda (Birte Schrein) ausgesetzt. Die langgezogene Wohnung ist in trostlosen Grau- und Blautönen eingerichtet. Kleinere Requisiten sind überwiegend aus Glas. Die Glasmenagerie („Menagerie“: historische Tiersammlung, als Vorläufer der modernen Zoos) wird nur als eine fantasierte Sammlung von Glastieren, deren Nichtexistenz und doch Gegenwärtigkeit den Wahn der Szenerie beschreibt, dargestellt:

Laura leidet unter einer nicht näher definierten psychischen Krankheit, die ihr ein normales Leben nicht ermöglicht. Tom steht als einziger richtiger Verdiener der Familie unter dem Druck der wirtschaftlichen Abhängigkeit, die seine Mutter und seine Schwester von ihm haben. Seinen Wünschen, sich zu entfalten und diesem Druck zu entfliehen, kann er deshalb nicht umsetzen. Immer wieder setzen sich die Figuren mit den Problemen der anderen auseinander, die auch die ihren sind. Letztendlich sind sie jedoch unfähig, diese zu verstehen und sich so einander zu nähern.

(c) Thilo Beu

Ab und zu brechen die Figuren kurz aus der kleinen Wohnung aus, die die Enge ihres Lebens darstellt und betreten die Wasserfläche. Dabei geben sie sich selbstbewusst, sind aber doch hilflos. Auch die Lichteffekte, Musikeinspielungen oder das mehrfach eingesetzte Unterstreichen von Lauras Konfrontation mit der Realität (ihrer Familienmitglieder) durch einen dramatischen Tusch und ihrem zeitgleichem Blick ins Publikum wirken zunächst kitschig und absurd, wandeln sich dann aber zu passenden, stechenden Unterstreichungen der Szenen und Gemütslagen. Die Schauspieler bleiben die meiste Zeit auf der Bühne, auch wenn sie gerade an der Szene nicht teilhaben und gehen räumlich getrennt anderen Tätigkeiten nach oder verharren stumm, als Zeichen ihrer nur impliziten Anwesenheit bei der Handlung; bleiben Gefangene der Wohnungs-Insel.

Erst zum letzten Teil tritt Jim O’Conner (Sören Wunderlich) auf und bringt Dynamik und Hoffnung in das beengte Leben der Familie. Als möglicher Partner für Laura soll er Verantwortung von den anderen Familienmitgliedern nehmen. Die übersteigerten Hoffnungen, die in diesen eigentlich harmlosen Besuch gesetzt werden, wirken zunächst klamaukig: Alle Schauspieler tragen Hochzeitskleider, die sich scharf von der grauen Tristesse abgrenzen. Mit der Zeit wird jedoch der Wahnwitz dieser Situation deutlich, in der all die Hoffnungen auf diesen Besuch projiziert werden und dann letztendlich in ihm kollabieren (müssen).

Insgesamt gelingt es dieser Inszenierung die Verzweiflung aus Tristesse und en daraus erwachsenden Mut und das Scheitern an den die eigenen Fähigkeiten übersteigenden Problemen und Ansprüchen bildgewaltig darzustellen.

Erst beim Schlussapplaus wird klar, warum dieses Stück in diesen Zeiten ausgewählt wurde: Die hohe emotionale Distanz der Figuren, wird durch den nötigen Hygieneabstand unterstrichen. Dieser wirkt nicht befremdlich, verzerrenden, sondern gehört in das Stück. Als die Schauspieler beim minutenlangen Schlussapplaus weiterhin Abstand voneinander halten, statt sich bei den Händen zu nehmen, wird wieder besonders deutlich, dass es gerade andere Zeiten sind, auf die Rücksicht genommen werden muss.

Jorg Stephan Kahlert

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