„Sich den schrägen Fragen der Gesellschaft stellen“ – Ein Online-Interview mit Hausregisseur Simon Solberg (TEIL 2)

Titelbild (C) Simon Solberg

Die Fortsetzung des Online-Interviews mit Hausregisseur Simon Solberg.

Theatral: Corona ist leider ein gutes Stichwort. Zurück in die Zukunft: Den unbeschwerten Theateralltag gibt es zurzeit nicht wirklich. Wie war es für dich als Regisseur Alternativen zu finden, angefangen von der Webserie „Bonndemie“ bis hin zum Autotheater?

Solberg: Das vorrangige Gefühl war eigentlich Demut. Wir waren mit unseren engsten Freunden in Kontakt und haben abgewartet. Danach fing aber auch relativ bald das kreative Denken an. Ich habe die ganze Zeit zu Hause geschrieben, mit der Idee eben genau das, wie es einem jetzt geht, zu teilen. Dabei wollten wir aber auch nicht „Die Pest“ von Albert Camus nacherzählen und nur eins zu eins das widerspiegeln, was jeder gerade erlebt, sondern mit kreativen Alternative spielen. So kam es zu der Idee „Bonndemie“. Durch verschiedenste Leute sollte nicht nur der Umgang mit der Pandemie gezeigt werden, sondern auch die Situation auf die Spitze getrieben werden: Zu überlegen wie man auf die Fragestellungen, die gerade alle beschäftigen, einen anderen Blickwinkel bekommt. Beim Autotheater hingegen stand die Idee im Vordergrund, den Menschen etwas zurückzugeben. Als städtischer Betrieb eine Bühne zu stellen, die auch die privaten Theater nutzen konnten.

Theatral: Denken wir vielleicht mal einen Schritt weiter. Corona und Kunst. Was bedeutet das? Es wird zurzeit sehr viel digital gemacht, es entwickeln sich ganz neue Ideen. Kann Corona für das Theater in diesem Fall vielleicht auch eine Chance sein? 

Solberg: Diese Chance sehe ich bisher leider noch nicht. Ich erhoffe mir eher, dass es Sachen gibt, die man gesellschaftlich als Chance daraus mitnehmen kann. In Hinsicht auf die Klimaerwärmung, Hypermobilität, Aufwertung der Pflegeberufe, Abschaffung prekärer Arbeitsbedingungen wie in der Fleisch- oder Landwirtschaft. Einen richtig positiven Aspekt für die Kunst kann ich nicht erkennen, da ich eher befürchte, dass die Finanzierung derselben wieder ein großes Thema werden wird. Was dann wieder zu der Debatte führt, wie viel Kultur man sich noch „leisten kann“. Wenn man die nähere Vergangenheit in Bonn betrachtet, in der von der Politik versucht wurde Sportvereine gegen die Kultur auszuspielen kann ich mir auch hier eine solche Entwicklung vorstellen, leider – aber ich hoffe auf die neue Oberbürgermeisterin. 

Theatral: Wenn wir Corona weiter im Blick behalten, aber auch an die Zukunft der Künste denken. Wo siehst du denn Entwicklungspotential am Theater? 

Solberg: Verbesserungspotential sehe ich da eher in den Strukturen – also was in welchen Formen am Theater produziert wird. Es gibt natürlich auch noch den Klima- und Nachhaltigkeitsaspekt, wenn es um den Umgang mit Ressourcen geht – sowohl den Umgang mit menschlichen Ressourcen, als auch mit materiellen. Sehr viele Strukturen am Theater sind wirklich sehr schräg. Sie bedingen, dass man dem Theater im Endeffekt die ganze Zeit zur Verfügung steht. Die Dramaturgen z. B. sind gefühlt durchgehend im Theater, auch am Wochenende, das gilt genauso für die Schauspieler. Da müsste man eigentlich den Mut aufbringen neue Formen zu entwickeln. Bei uns am Theater ist es eher ein Thema, wie die Kreativteams, die Verwaltung und die Technik so zusammenarbeiten können, dass daraus Synergien entstehen können. Ich merke, dass sich die Kollegen sehr engagieren, aber auch, dass bei diesen Vorgängen Unmengen an Energie verloren geht.

Theatral: Und siehst du auch noch Entwicklungspotential im Theater bezogen auf die Gesellschaft? 

Solberg: Ich bin fest davon überzeugt, dass Theater eine Zukunft hat. Ich glaube aber auch, dass dieser Kontakt zwischen Publikum und Spielern, dieses wirkliche Theatererlebnis dafür existenziell ist. Egal wie man versucht Theater auf den Bildschirm oder auf das Handy zu bringen: Es ist nur zweidimensional; man schaut stupide auf ein Stück Plastik. Es wird eine Degeneration nach sich ziehen und man kommt um diese erlebten Momente, sich in einer Gruppe zu treffen, um sich eine (alte) Geschichte erzählen zu lassen nicht herum. Das ist für uns Menschen wahnsinnig wichtig. Das Theater könnte daher noch viel mehr ein Ort sein, wo man sich kulturell und philosophisch und auch politisch auseinandersetzen kann. Es ist für unsere Gesellschaft überlebenswichtig, sich der eigenen Entwicklung und den daraus resultierenden Fragen immer wieder zu stellen, und zwar nicht ideologisch, sondern spielerisch, und dafür braucht es die Kunst, wie das Theater. Die wichtigste Komponente bei der Entwicklung, finde ich, ist neben dem Mut neue Wege zu gehen, die Reflektion, um aus festgefahrenen Situationen neue Lösungswege zu finden. Deswegen ist es wichtig, dass einem, in Form von Geschichten, immer wieder ein Spiegel vorgehalten wird, in dem wir uns neu sehen können. Deswegen ist es auch wichtig, sich immer wieder die Frechheit rauszunehmen „das alles, was uns umgibt“ zu hinterfragen, sonst wird unser Horizont eng, und wir laufen als Gesellschaft Gefahr, althergebrachten, eigentlich längst überwundenen, Strukturen nachzulaufen. Umso mehr ist die Kunst wichtig, um neue Räume zu öffnen, neue Fragen zu finden, die wir uns stellen können – für eine Weiterentwicklung der Gesellschaft.

Theatral: Wir hoffen natürlich alle, dass Corona irgendwann ein Ende haben wird. Aber sowohl mit als auch ohne Corona: Wo siehst du die deutsche Theaterlandschaft in 10 Jahren? Was glaubst du, kann da passieren? 

Solberg: Ehrlich gesagt, habe ich mit der Frage zu wenig auseinandergesetzt, um jetzt etwas Schlüssiges von mir zugeben… Was, jetzt wo ich das sage, schon ein bisschen gruselig ist, denn eigentlich sollte ich mich wahrscheinlich mehr mit dem Thema auseinandersetzen und versuchen die Vision mit zu kreieren. Ich erwische mich aber, wie ich mehr in den konkreten Vorbereitungen zu „Alice im Wunderland“ und „Katzelmacher“ stecke, anstatt mir zu überlegen, wie man das Modell „Zukunftstheater“ so weiterdenken könnte. Ich nehme deine Frage aber als Denkanstoß für mich selbst. Denn wenn ich als Theaterschaffender, nicht selber eine konkrete Vorstellung davon habe, kann ich es wohl auch nicht von der Politik verlangen eine solche zu kreieren. Wenn es keine Vision gibt, gibt es auch keine Zukunft.

Theatral: Ich könnte dich noch ganz viel Fragen, theaterphilosophisch gesehen. Aber eigentlich würde mich interessieren – wie es die Deutsche Bühne auch gerne in Interviews gemacht – ob du schon einmal über etwas in einem Interview reden wolltest, aber noch nie danach gefragt wurdest?

Solberg: Mhm… Es mag anders rüberkommen, aber eigentlich bin ich nicht so „der Redenschwinger“ in den leeren Raum rein. Und die Fragen, die du mir gestellt hast, sind auch die Fragen, mit denen ich mich gedanklich so rumtreibe. Die Themen sind unendlich, über die wir jetzt noch sprechen könnten. Ob Alltagsrassismus, die Stellung der Frau, das Bildungs- und Erziehungswesen – aber das würde jetzt, denke ich, wohl den Rahmen sprengen. Zumal ich generell lieber versuche daraus einen Theaterabend zu machen, und die Themen in einer Geschichte zu verstecken, dann können meine Inszenierungen für mich sprechen.

Das Interview führte Kim Sterzel

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