DAS FLOSS DER MEDUSA feierte Premiere am 21. April in der Werkstattbühne des Bonner Schauspiels
Wir befinden uns auf hoher See. Einsam treiben neun Schiffbrüchige in den Wogen. Plötzlich erwachen sie auf über der Bühne verteilten Bruchstücken ihres späteren Rettungsfloßes. Sie sehen sich dem atomaren Weltuntergang gegenüber und sich selbst als dessen vermeintlich einzige Überlebende. Wie es zu dieser Situation gekommen ist, bleibt bis zuletzt unausgesprochen.
In der etwa anderthalb stündigen Aufführung sind viele Themen wie Gesellschaftsgründung/Neuanfang, Hoffnung, Verrat, Vertrauen, Verzweiflung oder Freundschaft eingeflossen. Beispielweise finden zwei Figuren sechs Rettungswesten und beschließen, nach einer Diskussion, diese zunächst vor den anderen geheim zu halten. Dies ist jedoch erst der Beginn einer ganzer Reihe von tatsächlichen Streitigkeiten und Problemen innerhalb der Gruppe. So bricht ein Ressourcenkonflikt um die verbleibenden Lebensmittel aus. Jedoch wird er (wie viele der Konflikte) weder konstruktiv gelöst noch führt er zu einer Weiterentwicklung der Handlung – eine Beobachtung, die man immer wieder machen kann. Ebenso wirken die einzelnen Gespräche und Auseinandersetzungen eher episodisch. Gleichwohl tragen sie konsequent zum Aufbau der Stimmung der Szenerie bei.
Bei diesem partizipativen Jugendstück wollte man den Jungschauspielern sicher die Möglichkeiten geben, sich auszuprobieren, was ihnen auch technisch sauber gelingt. Zu Anfang des Stückes bilden sie eine Art Schwarm, der wie ein Wesen atmet. Ein eindrückliches Bild für die Gruppendynamik.
Ein wichtiges Bühnenelement ist das Floß. Dessen einzelne Stücke sich geschickt auf sehr vielfältige Weise kombinieren lassen. Es spiegelt die Phasen der Zusammenarbeit wieder. Verstehen sich alle gut, ist es eine Einheit, streitet sich die Gruppe, so spaltete sich auch das Floß in zwei Forts auf, in denen sich die Überlebenden verschanzen. Solle visuellen Kniffe verstärken eindrucksvoll die wechselhafte und grenzwertige Situation der Figuren.
Die acht Jugendlichen (Leilani Basu Weidner, Hektor Heyer, Daniel Meißner, Mette Schneider, Sinja Schulze Messing, Farina Schumann, Klara Siegel, Frieda Wirkus) spielen die verzweifelt auf hoher See Treibenden mit großem Elan und Spaß an der Aufführung. Sie führen das Publikum authentisch und gekonnt durch die Themen der Inszenierung: Zukunftsängste, Dauerkrisenstimmung und wahrgenommen Machtlosigkeit der jetzigen nachwachsenden Generation.
Unterstützt werden die Jugendlichen von zwei Die Profischauspielern: Linda Belinda Podszus bekommt in ihrer Rolle der Ann zu Beginn als einzige einen Solo-Auftritt. Dieser führt jedoch eher zur Verwirrung des Publikums. So entsteht der Eindruck ihre Rolle hätte eine besondere Kontrolle über die Situation, in der sich die Charaktere wiederfinden. Ein Eindruck der sich im Laufe des Stückes verliert. Paul Michael Stiehler übernimmt die Rolle als Anns Gegenpart, zunächst als ihr Freund und Verbündeter, dann als Antagonist. Schauspielerisch sind die Jungschauspieler fast nicht von den Profis zu unterscheiden. Eine starke Leistung.
Regisseur Maximilian Immendorf verbannt bewusst die eigentlich mit dem Titel des Stücks verbundenen Assoziationen von Kannibalismus, Tod und Gewaltexzessen*. So gelingt es ihm, das Stück weg von seiner historischen fatalistischen Vorlage hin zu einer Beschäftigung mit den Ängsten der heutigen jungen Generation der westlichen wohlhabenden Gesellschaft zu inszenieren.
Es macht Spaß, die ständige Bühnenpräsenz von so vielen jungen Schauspielerinnen und Schauspielern zu sehen, wie sie engagiert und erfolgreich Vergleiche zu einem Teil des kollektiven Gemütszustandes ihrer Generation ziehen. Wenn die Themen z. T. auch recht fragmentiert wirken, gelingt es doch die Übergänge fließend und unmerklich zu gestalten, so dass sich ein Gesamtstück ergibt, dem sich gut folgen lässt.
Jorg Stephan Kahlert
* INFO: Das Floß der Medusa
Der Titel des Stückes spielt auf ein Gemälde von Théodore Géricault (1791–1824) an. Auf diesem ist ebenfalls ein Floß mit Schiffbrüchigen zu sehen. Es sind die Überlebenden der Méduse, einem gesunkenen Schiff der französischen Marine. Hatte man Anfangs noch versucht, gut 149 der 400 Besatzungsmitglieder zu retten, so überließ man die Menschen bald ihrem eigenen Schicksal. Es wird von grausigen Szenen von Kannibalismus gesprochen. Am Ende überlebten nur 15 Menschen das Unglück.
Der Schriftsteller Georg Kaiser schrieb in den 40er Jahren im Exil ein Theaterstück für Jugendliche mit dem Titel „Das Floß der Medusa“. Auslöser war der Untergang eines Britischen Dampfschiffes am 17. September 1940 durch ein deutsches U-Boot, auf dem auch viele Kinder ums Leben kamen.
