Matthias Köhler inszeniert MARIA STUART von Friedrich Schiller mit Texten von Katja Brunner
Schillers großer Name mal auf kleiner Bühne. Dass Friedrich Schillers bürgerliches Trauerspiel auch für die Werkstattbühne geeignet ist, beweist Regisseur Matthias Köhler mit seiner Inszenierung vom 27. Januar. Und tatsächlich passt es ja auch, bedenkt man, dass zumindest die schottische Königin Maria meistens in einem engen Kerkerzimmer gefangen gehalten wurde. Doch wie geht der junge Regisseur mit dem doch umfangreichen Stoff dann weiter um? Er holt sich zum Beispiel Unterstützung von außerhalb: Katja Brunner, die bereits mit 18 Jahren ihr erstes Theaterstück verfasste, das gleich den Mühlheimer Theaterpreis erhielt, schrieb extra für seine Inszenierung zusätzliche Texte. Einer findet sich auch im Programmheft abgedruckt. Auf diese Texte kommen wir später noch einmal zurück.
Kurzer Einschub für den Nicht- Schiller-Experten: Um was geht es überhaupt bei Maria Stuart, sofern man die Verfilmung von Josie Rouke aus dem Jahr 2018 nicht gesehen hat? Im 16. Jahrhundert tobt in England ein erbitterter Streit um die rechtmäßige Thronfolge König Heinrichs VIII. (der mit den vielen Frauen, die er nach und nach absetzen oder hinrichten ließ). Die Bewerber um den goldenen Stuhl sind: die protestantisch-englische Königin Elisabeth, die Tochter Heinrichs aus zweiter Ehe, und die katholisch-schottische Königin Maria aus dem Hause Stuart, Elisabeths Cousine. Das Parlament Englands hat Elisabeth den Thron zugedacht obwohl diese eigentlich ein „Bastard“ war, wenn man der Meinung ist, dass Heinrichs erste Ehe nie hätte geschieden werden dürfen. Nachdem Maria – laut Schiller – aufgrund einer Falschaussage des Verschwörers Anthony Babington, bezichtigt wird einen Mordanschlag auf Elisabeth geplant zu haben, lässt diese Maria kurzerhand in den Kerker werfen. Die Forderung des Parlaments lautet, Maria hinrichten zu lassen, was allerdings einen Königsmord darstellen würde und selbst zur damaligen Zeit nur mit wasserfesten Beweisen zu rechtfertigen war.
„Wie ein Menetekel„
Hier beginnt nun Schillers Stück. Die Fronten sind festgefahren. Maria, tief gedemütigt, will sich Elisabeth gegenüber nicht unterwürfig geben. Elisabeth wiederum sieht in Maria eine ständige Gefahr für den Frieden in ihrem Reich und für ihren Thron. Das Ende Marias ist also fast unausweichlich, obwohl es Bestrebungen des Grafenneffen Mortimer gibt, Maria zu befreien. Dieser wird teilweise unterstützt von Graf Leicester – Elisabeths Geliebten und der Ex-Verlobten der Maria, der allerdings ein Fähnchen im Wind ist und als das Unterfangen auffliegt, schnell die Seiten wechselt, Maria verrät und damit ihr Todesurteil mitunterschreibt.
Marias Schicksal ist unausweichlich, von Anfang an besteht kaum Hoffnung auf Rettung, was in der Inszenierung durch einen riesigen abgeschlagenen Kopf auf der Bühne gleich zu Beginn klar gemacht wird (Bühne und Kostüme: Ran Chai Bar-Zvi). Geradezu kontrastierend zur eher vor Gewalt und Leid triefenden Geschichte gestaltet sich der Rest des Bühnenbildes, das an ein buntes 80er Jahre Musikvideo erinnert. Auf weißen Wänden stehen links und rechts in großen schwarzen Buchstaben in drei Sprachen (Englisch, Deutsch und Französisch) Auszüge aus dem Stück, der Name „Elisabeth“ und wie ein Menetekel prangt dazwischen. Sie scheint die alles beherrschende Figur zu sein.
Die Schauspieler treten in grellen Kostümen auf: Maria in gelb – vielleicht die Farbe des Neides auf ihre Cousine Elisabeth, die alles gewonnen hat, während sie nun im Kerker sitzt? Elisabeth in einem kalten Blau, bestückt mit wertvollen Perlen, die sie auch auf historischen Portraits trägt. Verkörpert wird Maria durch Lena Geyer. Birte Schrein gibt Elisabeth ihre androgyne Gestalt. Die eigentlich zahlreichen Nebenfiguren werden nur durch drei Schauspieler verkörpert: Markus J. Bachmann, Nicolas Streit (Gast) und Klaus Zmorek. Nur durch ihre Größe und Stimme zu unterscheiden, sehen sie mit den riesigen weißen Puffärmeln und den eng anliegenden Bodies aus wie Putten oder Elfen. Nur durch kleine Hilfsmittel wird gekennzeichnet, wer gerade spricht, so erhalten die Ritter ein pinkes Schwert, die Amme der Maria, Kennedy, trägt eine zu ihrer Königin passende gelbe Haube, die Parlamentarier violette Schärpen, Graf Leicester einen roten Rosenstrauch und der/die Anhänger Marias halten blau lackierte Marienstatuetten in den Händen – wegen der Namensverwandtschaft und weil die Gottesmutter Maria für die katholische Kirche, der Maria angehört, wichtig ist. Dabei sind die Rollen nicht fest verteilt, mal sprechen sie alle, mal nur einer. Besonders gut kommt dieser Kniff da an, wo Leicester oder Mortimer sich auf diese Weise in verschiedene Personen aufzuteilen scheinen, sich zanken und doch wieder zu einer Einheit verschmelzen.
„Beide stark, aber nicht identisch“
Den Fokus legt Köhler ganz auf die beiden Frauengestalten. So spielt weder das Liebesdreieck zwischen Elisabeth, Maria und Graf Leicester eine wesentliche Rolle noch wird Mortimers Rolle als fanatischer Verehrer der Maria ausführlicher angesprochen. So trifft Elisabeths erzürnter Ausruf gegen ihre Berater „Sagt nicht, das Weib sei schwach!“ ebenso auf sie selbst zu, obwohl beide ihre Schwächen haben, ist es doch gerade ihr Wille zur Macht, ihr Stolz, der das Ende Marias besiegelt.
Köhlers Frauenfiguren sind beide stark, aber nicht identisch. Es braucht keine langen Mono- oder Dialoge, um der Handlung zu folgen, stattdessen werden zwischendurch die Texte von Katja Brunner eingestreut, die dem historischen Stoff eine neue Perspektive verleihen. Am gelungensten bei einem Monolog der Elisabeth, wo es um ihre Verlobung mit dem französischen Dauphin geht. Diese Heirat soll die Königin laut Volk und ihrem Beraterstab eingehen, um einen Krieg zwischen Frankreich und England zu vermeiden. Beide Länder hatten schon häufiger erbittert gegeneinander gekämpft. Mit der Heirat geht es zugleich auch um den Thronnachfolger der Elisabeth, die bis dato kinderlos ist. Sehr überzeugend legt Brunner der Elisabeth Worte in dem Mund, in denen sie anprangert, dass ihr Körper als Brutkasten der gesamten Nation verstanden wird, über den sie nicht frei verfügen darf – ein Schicksal, nicht Herrin über den eigenen Körper sein zu dürfen, dass vielen Frauen damals und zum Teil noch heute auferlegt wird.
Insgesamt liefern beide Schauspielerinnen eine überzeugende Darbietung ab. Auch wenn anfangs Lena Geyer bei den Texten von Katja Brunner authentischer wirkt, steigert sie sich auch in die schillerschen Texte immer weiter rein, und bringt eine abgeklärte und würdevolle Maria auf die Bühne. Birte Schrein drückt wunderbar die harte Königin aus, die sich selbst zum Mann gemacht hat, um für eine von Männern dominierte politische Welt gewappnet zu sein. Dabei vergisst sie jedoch nicht, dass auch diese so herrische Person keineswegs nur hartherzig ist, sondern durchaus auch weiche Seiten in ihrem Panzer versteckt. Diese aber sobald sie sich andeuten, mit aller Gewalt wieder in sich verschließt.
Was vielleicht zu oft zum Einsatz kam, war Musik (Philipp Plessmann). Diese sollte möglicherweise die einzelnen Akte voneinander trennen oder bestimmte Szenen unterstreichen, aber auf den gesamten Abend gesehen, war es etwas viel. Wobei ein englischer Choral auf einen modernen Beat durchaus etwas für sich hatte. Mehr dieser experimentellen Mischart wäre da interessanter gewesen als das Abspielen von Pop- oder Rocksongs.
Insgesamt war der Abend aber eine durchgehend gut gespielte und unterhaltsame Darbietung, die zwar wenig tragische Momente zeigte, auf die es dem Regisseur jedoch auch wahrscheinlich nicht ankam. Stattdessen wurden in prägnanten Ausschnitten, mithilfe der von Brunner verfassten neuen Texte, Fragen an den alten Text gestellt (Dramaturgie: Male Günther). Etwas tragisches hatte es dann doch – in einer Szene, die etwas wie eine Traumsequenz wirkte, begegnen sich Elisabeth und Maria ungezwungen an einer Bar und fragen sich, ob es denn wirklich so weit kommen musste. Und obwohl es erst aussieht, als ob Elisabeth und Maria in diesem Traum tatsächlich Frieden schließen könnten, verweigert Elisabeth ihr diesen letzten Schritt – der Graben bleibt bestehen.
Rebecca Telöken