(Vorschaubild (c) Thilo Beu)
Cybermobbing, Gruppendynamik, Frauenemanzipation
Ungewöhnlich viele junge Theaterbesucher*innen tummelten sich im Foyer der Werkstattbühne. Man spürte deutlich, hier hing Spannung und Vorfreude in der Luft. Am 7. März feierte das Stück „Mädchen wie die“ von Evan Placey, inszeniert von Carina Eberle, seine Premiere.
Evan Placey ist hierzulande sicher kein so bekannter Name wie Jelinek, Goethe oder Shakespeare, aber der noch junge kanadisch-britische Dramatiker hat schon eine Reihe preisdotierter Stücke geschrieben. Zum Beispiel erhielt er 2012 für „Holloway Jones“ den Brian Way Award for Best Play for Young People. In dem Stück ging es um eine Teenagerin, die in einer Pflegeeinrichtung lebt, weil ihre Mutter ins Gefängnis musste.
In „Mädchen wie die“ (orig. Girls like that) geht es ebenfalls um ein junges Mädchen, das die Auswirkungen des Cyber-Mobbings zu spüren bekommt.

Anfangs ist noch alles in Ordnung. Eine Mädchenclique, wie es sie an jeder Schule gibt, wird vorgestellt. Die vier Mädchen (es spielen: Soraya Abtahi, Julia Hofstaedter, Dorothée Neef und Joana Tscheinig) gehen auf ein Internat und kennen sich seit der Grundschule. Man möchte meinen, hier würde eine fest zusammenhaltende Gruppe aus Freudinnen portraitiert werden, doch das heile Bild zerbricht an dem Tag, an dem im Geschichtsunterricht alle Handys gleichzeitig eine empfangene Nachricht ankündigen. Schnell wird auf den Bildschirm geschielt und es ploppt ein Foto auf. Darauf ist niemand Unbekanntes zu sehen, sondern eine aus der Clique– Scarlett – völlig nackt. Das Bild verstört, irritiert die ganze Klasse. Sie sieht anders aus, Scarlett. Ist das sexy oder ist das schlampig? Man weiß sofort, dass dieses Bild nicht für die ganze Schule gedacht war und hierin liegt der Reiz es sich anzusehen, statt es einfach sofort zu löschen.
Gleich beginnt das Getuschel, das Gekicher. Die ersten abfallenden Kommentare fallen, ab diesem Punkt ist die Katastrophe nicht mehr aufzuhalten.

Carina Eberle arbeitet auf zwei, vielleicht sogar drei Erzählebenen (Dramaturgie: Angela Merl). Da gibt es die Geschichte der Emanzipation der Frau, die mit der Geschichte einer Großmutter beginnt, die sich in den 20er Jahren getraut hatte, sich im Badeanzug einer Partygesellschaft anzuschließen, über die Fliegerpilotinnen im Zweiten Weltkrieg bis zu der erfolgreichen Anwaltskanzlei. Diese Geschichten verschweigen nicht die Vorbehalte und Anfeindungen, die die Frauen von ihrer Umwelt erfuhren, wirken aber anspornend. Sie unterbrechen die andere Realität, in der ein Foto eines nackten Mädchens für Empörung, für Hass, Neid und Ausgrenzung sorgen und das im 21. Jahrhundert. Niemand ist auf der Seite von Scarlett. Ihre „Freundinnen“ sind sogar in der ersten Reihe beim Mobbing dabei. nicht ohne auch ab und an leichte Zweifel zu bekomme, ob sie wirklich die Richtige strafen. Und selbst als Scarlett einen Schlussstrich ziehen will und die Schule wechselt, verfolgen sie ihre Peinigerinnen.
Besonders interessant ist die Stelle im Stück in der noch ein Nacktfoto an der Schule auftaucht, das von Schulschwarm Russel. Dieser wird, selbst für die Mädchenclique erstaunlich, nicht gemobbt, nein er wird sogar für dieses Foto bewundert. Hier kommen die fehlende Logik und die eingefleischten Vorurteile besonders gut zum Ausdruck, die nicht selten auf Öußerlichkeiten und dem Geschlecht beruhen.
Besonders nachdenklich stimmt Scarletts Verhalten, sie ist passiv, äußert sich anfänglich gar nicht zu dem Foto, vielleicht weil sie ahnt, dass alles was sie sagt, wahrscheinlich doch nicht geglaubt wird. Irgendwann antwortet sie auf alle peinlichen, intimen Fragen nur noch mit „Klar“.
Das Stück wird im Internet für eine Altersklasse ab 13 angegeben. Das ist sinnvoll, denn die unterschiedlichen Erzählebenen sowie geschichtlichen Bezüge und die ungeschönte Sprache sind schon eine kleine (intellektuelle) Herausforderung, der allerdings durch eine gute Vorbereitung im Unterricht auch begegnet werden kann. Doch es lohnt sich, da das Spiel der vier Schauspielerinnen intensiv und berührend ist.
Rebecca Telöken