Es stimmt etwas nicht

Am 11. Dezember fand im Schauspielhaus eine Veranstaltung der etwas anderen Art statt. Statt Theater gab es eine Buchvorstellung. Der Godesberger Pfarrer und Politikwissenschaftler Dr. Wolfgang Picken stellte sein neues Buch „Wir die Zivilgesellschaft von morgen“ vor.

Eingeführt wird diese Veranstaltung durch den neuen Schauspieldirektor Jens Groß, der verstärkt auf Veranstaltungen neben dem eigentlichen Theater im Theater setzen möchte, um so mit den Menschen ins Gespräch zu kommen und das Theater wieder zu einem Ort des gesellschaftlichen Diskurs (vor allem in regionalen Belangen) zu machen. Als Start hierfür eignet sich natürlich kaum etwas besser, als mit der örtlichen Gemeinde in Kontakt zu kommen.

Zunächst liest Picken einen Auszug aus seinem Buch vor. Dabei allerdings erhält man ganz und gar nicht den Eindruck, dass hier ein katholischer Pfarrer sprechen würde. Das Bild, welches Picken von unserer Gesellschaft und den sozialen Systemen zeichnet, könnte schwärzer nicht sein: „Es stimmt etwas nicht!“ Sein Ziel ist es zunächst Festzustellen an welchen Punkt wir stehen und sich dabei nicht selbst zu belügen. In einem weiteren Schritt sollen wir anfangen miteinander zu reden, zu kommunizieren und uns den Problemen zu stellen. Das „Wir“ ist dabei von elementarer Bedeutung für Picken, so ist die These des Buches, wie er sagt: „Es gibt zum Wir keine Alternative“.

Nach der ersten kurzen Lesung fängt der Pfarrer an, verschiedene Aspekte des Lebens zu beleuchten, bei denen etwas nicht stimmt, und versucht im Folgenden Lösungen aufzuzeigen. Als ersten Punkt widmet er sich der Ehe und Familie, was sehr gut in das Bild des katholischen Pfarrers zu passen scheint. Seine These ist, dass eine Gesellschaft nicht nur aus dem Staat und einzelnen Individuen bestehen kann, sondern es noch kleinere Zwischeneinheiten geben muss. Diese sieht er in „jeder Art von auf Nachhaltigkeit angelegten Partnerschaften“. Damit seien sowohl die klassische Ehe gemeint, aber genauso nicht dokumentierte Lebenspartnerschaften. Hier zeigt sich Picken als durchaus offen und vertritt die Ansicht, dass es nicht darum geht wer mit wem zusammen lebt und ob es sich um eine staatliche Ehe handelt oder nicht, solange feste Einheiten innerhalb der Gesellschaft gebildet werden. Sein Ansatz also: Wir müssen mehr darauf achten nachhaltige Beziehungen zu führen. Das soll jedoch auch nicht bedeuten, dass man in einer unglücklichen Partnerschaft bleiben sollte, da dies dann auch nicht den geforderten Zusammenhalt bewirkt. Man fängt an sich zu fragen, was Picken denn hier eigentlich genau fordert. Klar ist, er fordert Zusammenhalt, aber bietet keine Lösung dafür, wie wir diesen Zusammenhalt erzeugen sollen. Auch konzentriert er sich sehr auf Ehe und Familie und lässt andere Bindungen, wie zum Beispiel Freundschaften, unbedacht. Hier, so bekommt man den Eindruck, spricht eindeutig Pfarrer Pricken.

Der zweite Punkt des Abends führt das Publikum zu den Kindertagesstätten und generell der Erziehung der jüngsten der Gesellschaft. Es geht um die U3 Plätze in Kitas. Zunächst ist es Picken wichtig, dass er keineswegs gegen diese Betreuung ist, was man auch daran sehen kann, dass es in Godesberg eines der ersten Angebote für U3 Plätze in katholischen Kindergärten gab. Das Problem läge hier vielmehr in der Umsetzung. Wo der Kindergarten früher eine familienbegleitende Erziehung geboten hat, ist er heute den Anforderungen einer familienersetzenden Erziehung ausgesetzt, ohne entsprechende Weiterbildungen oder Aufstockungen. Auch hier müsse die Gesellschaft gemeinsam eine Lösung finden und sich dessen bewusst sein, dass mehr Investitionen alleine auch nicht weit führen werden. Das Problem ist vielmehr auch der Personalmangel.

Ein ähnliches Bild zeichnet Picken von der Altenpflege. Auch diese müsse immer mehr die Familie der Menschen ersetzen bei einem wahrscheinlich noch gravierenderem Personalmangel. Schon jetzt würden die staatlichen Systeme zunehmends kollabieren, wobei heute noch 75% der Altenpflege privat organisiert werde. Die Schlussfolgerung daraus sei: „Wir brauchen das Wir zum Überleben“. Jeder solle sich in die Gesellschaft einbringen. Seiner Erfahrung nach funktioniere das am besten auf einer lokalen Ebene. Die Bürger vor Ort sind eher bereit sich für etwas zu engagieren, weil sie selbst unmittelbar davon profitieren können. Dies habe man besonders während der Flüchtlingskrise 2015 sehen können. Unter dem Druck stehend, dass jetzt viele Menschen kommen, die unsere Hilfe benötigen, habe man sich in Godesberg an einen Tisch mit allen gesetzt und ein Wir ohne Konkurrenz kreiert, durch das man eine zunächst unlösbare Aufgabe erfolgreich lösen konnte. Picken fordert, die Erfahrungen, die man in dieser Situation gesammelt hat, auf möglichst viele andere Dinge zu übertragen.

Im Anschluss an diesen Vortrag konnte das vorwiegend ältere Godesberger Publikum Fragen an den Pfarrer richten. Dabei wurde deutlich, dass es durchaus gemischte Reaktionen zu dem Vortrag, sowohl zustimmende als auch ablehnende oder kritische. Die Ideen von Wolfgang Picken sind sicherlich nicht falsch und auch ist es richtig, das Dinge nicht richtig laufen in unserer Gesellschaft, aber hier scheint es als mache Picken es sich bei den Lösungsansätzen zu leicht. Er fordert ein Wir zu erschaffen und gibt auch genügend nachvollziehbare Gründe hierfür an. Allerdings fehlt der Schritt dazwischen, also wie schaffen wir es, dass Menschen eher bereit sind zusammen zu arbeiten und sich zu vereinigen. Wenn dieses Problem nicht gelöst werden kann, ist es zwar schön, dass man weiß wohin es gehen sollte, aber praktisch bringt es einem wenig. Störend ist außerdem, dass in dem Buch und damit auch in dem Vortrag größtenteils über Probleme und Menschen gesprochen wird, die nicht anwesend sind. Vermutlich ein kleiner Bruchteil des Publikums kann aus eigener Erfahrung sagen, wo die Probleme liegen oder ist davon betroffen. Dieses über andere, nicht Anwesende, zu reden scheint fehl am Platz. Vielleicht ist dabei auch der Rahmen im Theater einfach falsch gewählt. Zudem macht Picken es sich relativ einfach, indem er einzelne Aspekte des großen Ganzen herausnimmt und nicht das „Große Ganze“ im Blick hat. Wäre es so einfach, wie Pfarrer Picken den Zuhörer glauben machen möchte, hätten wir deutlich weniger Probleme. Es kommt zu sehr zu einer Vereinfachung eines Themas, welches nun einmal nicht einfach ist, sondern im Gegenteil äußerst komplex.

Insgesamt war die Veranstaltung damit vom Inhalt her durchwachsen, hat aber sicherlich den Zweck erfüllt eine Kontroverse auszulösen. Pfarrer Picken leistet in seiner Gemeinde großartige Arbeit, dafür gebührt ihm großer Respekt. Was das Buch bzw. zumindest dessen Vorstellung angeht, kann sich das Lob eher in Grenzen halten.

Nichtsdestotrotz ist der Ansatz des Theater Bonns sehr schön, auch Veranstaltungen außerhalb des Theaters anzubieten. Eine sehr gute Idee, die es sich definitiv zu verfolgen lohnt. Dabei sollte aber darauf geachtet werden, Veranstaltungen für unterschiedliche Menschen anzubieten, sodass nicht immer der gleiche Schlag Menschen dabei ist und es zu einem wirklichen gesellschaftlichen Austausch kommen kann.

Katharina Wigger

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