Wo das Überleben aufhört und das Leben anfängt

(Vorschaubild (c) Thilo Beu)

Mit JAKOB DER LÜGNER feiert das dritte Stück Premiere auf der Werkstattbühne. Der Abend, der nach dem gleichnamigen Roman von Jurek Becker gestaltet wurde, ist zugleich berührend wie bedrückend.

Die Erzählung lässt sich in die Mitte der 1960er Jahre einordnen. Ein anonymer Erzähler schaut in seine Vergangenheit und berichtet über die Geschehnisse, die sich während der NS-Zeit in einem unbekannten Ghetto zugetragen haben. Im Mittelpunkt der Handlung steht die Figur von Jakob Heym, einem jüdischen Mann.

(c) Thilo Beu

Dieser erfährt zufälligerweise aus einem Radio, dass die russische Armee bereits bis zur Stadt Bezanika vorgerückt ist. Da selbige nur 400 Kilometer vom Ort des Geschehens entfernt liegt, bedeutet diese Information eine möglicherweise baldige Erlösung für die Juden des Ghettos. Um die Information gegenüber seinem Freund Mischa glaubhaft zu machen, behauptet Jakob, in Besitz eines Radios zu sein. Der Besitz eines Radios steht für die Juden des Ghettos unter Todesstrafe. Diese Notlüge Jakobs verselbstständigt sich, sodass nach kurzer Zeit alle Bewohner des Ghettos von Jakobs angeblichem Radio wissen. Zwar muss sich Jakob nun Tag für Tag neue Nachrichten bezüglich des Vorrückens der russischen Armee ausdenken, doch seine Lügen bringen dem Ghetto ein verloren geglaubtes Gut zurück: die Hoffnung. Am Beispiel der Geschichte Jakobs wird das Leben der Juden im Ghetto während des Nationalsozialismus‘ beschrieben. Die Geschichte setzt den Fokus insbesondere auf die Gefühle und auf die zwischenmenschlichen Beziehungen der Figuren, sowie auf die Bedeutung der Hoffnung für die Bewohner.

(c) Thilo Beu

Die Bühne sowie die Kostüme sind schlicht gehalten. Schwarze Trennwände minimieren den Bühnenraum, lassen ihn enger erscheinen. In der Mitte stehen einsam ein Tisch und ein Stuhl. Links und rechts davon ist die Inneneinrichtung eines Wohnzimmers durch eine Kommode mit Radio sowie einer Topfpflanze begrenzt. Die hinterste schwarze Trennwand dient als Projektionsfläche für verschiedene Bilder, um das Geschehen besser zu veranschaulichen. Das Kostüm des einzigen Schauspielers an diesem Abend – Stefan Viering – besteht aus einem einfachem Hemd mit Hose, die sich modisch den 40er Jahren annähern.

Den Rest der minimalistischen Kostüm- und Requisitenteile bringt  Stefan Viering in einer braunen Ledertasche selbst mit. Gemeinsam mit Regisseurin Jutta Berendes hat Viering den Text der Romanvorlage für die theatrale Realisation bearbeitet. Das Ergebnis ist ein gut zwei-stündiger Abend mit vielen ausdrucksstarken Texten. Die Rolle des Darstellers oszilliert zwischen dem anonymen Erzähler, der zum Teil die Geschichte tatsächlich vorliest und den verschiedenen Figuren: In Dialogen beispielsweise übernimmt der Schauspieler beide Rollen und der Erzähler tritt komplett hinter die Figuren zurück.

(c) Thilo Beu

Während dieser Zeit wird die Geschichte Jakobs keineswegs langweilig. Ganz ohne viele überflüssige Requisiten wird dem Zuschauer das Leben im jüdischen Ghetto vorgeführt. Durch die detailreiche und teils sehr emotionale Erzählweise von Stefan Viering dringt jede kleinste Gefühlsregung der jeweiligen Figur bis in den Zuschauerraum. Die Inszenierung ist vor allem durch ihren Minimalismus gekennzeichnet. Große Effekte oder eindrucksvolle Bilder wird vielleicht manch einer vermissen, doch gerade diese bewusste Beschränkung auf ein Minimum hebt JAKOB DER LÜGNER von anderen Inszenierungen ab.

Dieser Effekt der perfekten Illusion durch eine eher unscheinbare Ausstattung ist der Beweis für das grandiose Schauspiel von Stefan Viering. In jedem Fall sehenswert!

 

Weitere Vorstellungen finden am 7. Dezember sowie am 17. Januar statt.

Kim Sterzel und Frederike Hubl

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