Ein Fest der Groteske

(Vorschaubild (c) Thilo Beu)

Unterwerfung, Identität und Hass; dies sind die drei Schlagwörter, die in Claudia Bauers Inszenierung von DIE ZOFEN in der Werkstatt des Theater Bonn in einer alptraumhaften, im wahrsten Sinne des Wortes, nebulösen Verwirrung auf die Bühne gebracht werden. Dabei springen die Gefühle seitens des Zuschauers von Ekel und Abscheu einerseits,zu irritierendem Amüsement und Mitgefühl andererseits hin und her. Kurz um, es ist ein Fest der Groteske.

Jenes kuriose Fest feiern Claire, Solange und ihre Herrin die Gnädige Frau. Das Stück des französischen Dramatikers und Autors Jean Genet taucht ein in die Leidenswelt von zwei Zofen, die sich ein seltsam anmutendes Spiel schaffen, um ihrer von Selbsterniedrigung und falscher Fürsorge geprägten Realität zu entkommen bzw. um sie umzukehren. Die im Spiel aufkommenden Sehnsüchte nach Macht und Ansehen sowie der Wunsch nach Vergeltung, beginnen die Grenzen zwischen Spiel und Realität schnell zu verwischen und sie selbst, aber auch die Menschen in ihrem direkten Umfeld in Gefahr zu bringen.

(c) Thilo Beu

Die Gnädige Frau ist mit Holger Kraft, Solange mit Daniel Breitfelder und Claire mit Sophie Basse besetzt worden. Jean Genet wollte eigentlich alle drei weiblichen Charaktere mit männlichen Schauspielern besetzt sehen. Bauer erfüllt diese Forderungen auf ihre Weise und steckt alle Schauspieler in fleischfarbene Frauenkörper (die etwas auftragen), setzt ihnen Perücken auf und verpasst ihnen zur endgültigen Maskierung eine Art Sexpuppenästhetik, die die Gesichtszüge bis auf Zähne und Augen unkenntlich macht. Claudia Bauer möchte zeigen, dass jeder Schauspieler bloß die Idee einer Frau sei und eine geschlechtliche Festlegung irrelevant ist, da es allein um die Rolle und ihre Geschichte, ihre Empfindungen und Sehnsüchte geht. Zumeist sind dies pornographische Sehnsüchte, die interessanterweise alle drei Figuren miteinander teilen. So träumen sie alle von einem Sträfling in der Strafkolonie und glorifizieren dadurch das Verbrechen wie es Genet in all seinen Stücken tut. Eine Provokation vor allem für das damalige Publikum. Heute können wir alle aufgrund von verschiedensten fiktiven Charakteren wie Moriarty, Dexter oder Walter White – um nur einige zu nennen – das Genie eines Verbrechers und seine Anziehungskraft auf uns durchaus nachvollziehen. So kann uns der Stoff des Stücks zwar heutzutage vielleicht nicht mehr so in Schock versetzen wie er es damals noch konnte, allerdings bietet die Inszenierung eine Vielzahl anderer Provokationen, die Genet, mit seiner enormen Lust zum Tabubruch, gerecht werden. Alles ist hässlich – die Kleidung, die Stimmen, die Körper. Die Ästhetik des Hässlichen wird in erheblichem Ausmaße gefeiert und der Aspekt der Entmenschlichung, den Solange und Claire durch die ständigen Erniedrigungen vor anderen und sich selbst erleben müssen, spannend umgesetzt. Alles wirkt bewusst unecht und irritierend. Die Frauenkörper haben zwar die richtigen fraulichen Merkmale, sind aber offensichtlich nur verkleidet. Außerdem bewegen sich die Figuren teilweise wie Marionetten – dies zusätzlich noch durch passende Sounduntermalungen verstärkt. Selbst ihre Stimmen sind verzerrt (Live-Sounds: Roman Kanonik). Trotzdem schaffen es die drei Schauspieler mit den wenigen Mitteln, die ihnen in dieser durchkomponiert, künstlichen Inszenierung noch bleiben, Emotionen und Pointen gekonnt zu vermitteln. Zudem verzerren die gut getimten Soundeffekte, aber auch die gekonnt eingesetzten, überzeichnenden Musiksequenzen alles ins Surreale, in eine Art Alptraum, aus dem keiner entrinnen kann. Ein Spiegelbild einer Gesellschaft, die uns, je mehr Kompromisse wir eingehen, in ein Netz aus Verhaltensmustern, Pflichten und Verbindlichkeiten einschließt. Die Figuren auf der Bühne wirken wie Gefangene in ihrem eigenen Körper, die sich nicht mehr im eigentlichen Sinne gebärden können und für die es keinen anderen Ausweg gibt als den Tod.

(c) Thilo Beu

Diesen erproben die Schwestern mehrmals leidenschaftlich, bis der Zuschauer nicht mehr genau weiß, wann tödlicher Ernst und wann spielerische Leidenschaft Einzug hält. Dieses ständige Spiel mit den verschiedenen Realitätsebenen fasziniert und fesselt. Da haben wir die Ebene Schauspieler und Zuschauer,das Konstrukt des Theaterabends. Die zweite Ebene wirdgebildet durch das fiktive Leben der Zofen, die in einem Herrscher-Untertan-Konflikt am unteren Rande der Gesellschaft leben. Die dritte Ebene ist schließlich die des Spiels im Spiel, das die Zofen als Raum für ihre geheimen Sehnsüchte geschaffen haben. Alle drei Ebenen überschneiden sich und gehen Hand in Hand miteinander. Ohne die eine würde es die andere nicht geben.
In den Rollenspielen der Schwestern kommt zudem ein weiterer Aspekt auf: die Frage nach der eigenen Identität. Diese findet sich auch in der Requisite wieder. So ist die Hauptrequisite ein mannshoher Spiegel, der oftmals zum Einsatz kommt und dadurch eine Verbindung zur verzweifelten Suche der Figuren nach dem Konstrukt ICH herstellt. Witzigerweise wird dadurch aber auch das Publikum mit sich selbst konfrontiert und auf seine ganz eigene Rolle, die des Zusehers, zurückgeworfen. Die erste Ebene, die des Theaterabends an sich,kommt mit ins Spiel.

Zu guter Letzt kann man sagen: die für die Werkstatt eher untypischen 2 Stunden Spielzeit lohnen sich und bieten viel interessanten Stoff zum Nachdenken und Austauschen. Rundum ein gelungener aufregender, lustiger aber auch gruseliger Theaterabend.
In diesem Sinne zum Abschluss ein sehr bezeichnender Satz für Jean Genet und diesen Abend: „Mord ist einfach etwas unbeschreiblich Komisches.“

Henriette Wöllnitz

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