(Vorschaubild (c) Thilo Beu.)
Interaktives Theaterstück „DiplomatInnen des Todes“ im Haus der Bildung feiert seine Premiere am 1.Oktober.
Lautlos pirsche ich mich seitlich an die ehemalige Präsidentin heran. Ihre Autogramm-Karten kann ich schon sehen. Ich strecke meine Hand nach ihnen aus, doch dann sieht sie mich unvermittelt an. „Miau“, mache ich zögerlich. „Ach, was für ein süßes Kätzchen!“. Erleichtert greife ich mir eine Autogramm-Karte, sie hat mich nicht erkannt, meine Tarnung war perfekt. Auf dem Weg zurück zum Putschisten wische ich mir gerade über das geschwärzte Gesicht, als mein Partner mich am Arm packt. „Wie siehst du denn aus? Hast du das Geld besorgt?“. Ich schaue mich ängstlich um. „Miau“, antworte ich.
Nein, das ist kein verrückter Traum, in solche und ähnliche Situationen kommt man im interaktiven Theaterstück „Diplomatinnen des Todes“, konzipiert von Prinzip Gonzo. Viel mehr als „nur“ ein gewöhnliches Theaterstück, ähnelt die 90-minütige Veranstaltung eher einem strategischen Rollenspiel, das oft an „Wahrheit oder Pflicht“ erinnert. Ganz am Anfang wird die Rahmenhandlung des Stücks erklärt. Der Staatenbund auf dem fiktiven Kontinent Ahi Guria steht auf der Kippe: Die größte Nation Ahi Gurias, Midigura, ist gesellschaftlich und wirtschaftlich ruiniert. Nun stellt sich die Hauptfrage des Abends, soll Midigura Teil der UNA (United Nations of Ahi Guria) bleiben oder nicht? Die ehemalige Präsidentin Midiguras sowie die NGOs sind für

den Verbleib in der UNA, der Kommandant der Putschisten sowie die Handelsvertretung wollen den „M-Exit“. Die ZuschauerInnen spielen nun selbst DiplomatInnen der verschiedenen Nationen von Ahi Guria. Ihre Aufgabe ist es, möglichst viel Einfluss in Form von Einfluss-Karten zu gewinnen, indem sie Staatseigentum und Staatsverträge (ebenfalls in Form von Karten) untereinander oder mit den NGOs oder der Handelsvertretung gegen Diplomatie und Geld tauschen. Je mehr Einfluss, desto mehr Stimmen für oder gegen den M-Exit.
Hört sich kompliziert an, ist es am Anfang auch. Mein Spielpartner und ich brüten erst einmal zehn Minuten über den Erklärungen auf dem Tisch unserer Nation, Utaria. Dann fangen wir an, mit anderen DiplomatInnen Verträge auszutauschen und trauen uns irgendwann auch, die verschiedenen „Stände“ auszuprobieren. Dort muss man meist eine Karte gegen Diplomatie oder Geld tauschen und zusätzlich eine kleine Aufgabe erfüllen, zum Beispiel ein Mehrfamilienhaus aus Legosteinen bauen und seine Konstruktion erklären. Schnell wird auch klar, dass man ohne zu lügen nicht weit kommt, so gibt zum Beispiel die Handelsvertretung nur Pro „M-Exit“-Nationen Geld. Außerdem kann man an der sogenannten „Einfluss-Lotterie“ teilnehmen, bei der man, wie der Name schon sagt, entweder Einfluss gewinnen kann oder bei einer Niete durch eine kleine Karaoke-Einlage Geld oder Diplomatie gewinnen kann.
Wenn man schon einige Verträge verzockt hat, wie mein Partner, kann man bei der Delegation seiner Nation anrufen und – natürlich auch durch eine kleine Aufgabe – neue Verträge erhalten. So muss ich meine Feinmotorik unter Beweis stellen, indem ich genau fünf Maiskörner mit einem Playmobil-Bagger auf den Tisch befördere. Meine Feinmotorik ist miserabel, die Delegation drückt jedoch zwei Augen zu. Während ich noch überlege, wo wir Geld herbekommen könnten, kommt ein fremder Diplomat auf mich zu und teilt mir mit, dass der Putschist mich erwartet, da wir die einzige Nation seien, die noch nicht bei ihm war. Ich bin etwas erschrocken, wir wussten doch gar nicht, dass man zum Putschisten muss! Ich hatte das kleine, tarnfarbene Zelt zuerst gar

übersehen! Nervös krabbele ich in das dunkle Innere des Zeltes.
Um eines vorweg klarzustellen: Es ist etwas vollkommen anderes, einen Schauspieler auf der Bühne zu sehen, gemütlich in einem Sitz in der zehnten Reihe sitzend und das Geschehen als Außenstehender zu beobachten und plötzlich mit einem (sehr talentierten!) Schauspieler in einem zwei Quadratmeter großen Zelt zu hocken und direkt von ihm angesprochen zu werden. Besonders, wenn dieser sehr talentierte Schauspieler einen fanatischen Putschisten spielt und einen auffordert, laut das Kohle-Lied seiner Nation zu singen und zu schreien, dass man Katzen hasse. Als er mich dann fragt, ob ich bereit bin, die Grenzen der Illegalität für ihn zu überschreiten, muss ich erstmal schlucken. „Was müsste ich denn tun?“, frage ich ängstlich. Was, wenn er mich zwingt, die Ex-Präsidentin zu ermorden? Es erschrickt mich, wie leicht ich zu manipulieren bin – auch wenn das alles nur gespielt ist. Zum Glück will der Putschist nur, dass ich ihm eine Autogramm-Karte von der Präsidentin stehle. Als Katze geschminkt. Miauend.
Aber ich bin nicht die einzige, die mehr oder minder peinliche Aktionen erfüllen muss. Fast durchgehend hört man jemanden schief „Imagine“ von John Lennon trällern, mir begegnen Männer, die als Frauen verkleidet sind, Bauarbeiter und sogar eine andere Katze. Später erfahre ich, dass man sich zum Geheimagenten hätte ausbilden lassen können – deshalb die Verkleidungen als Frauen und Bauarbeiter. Entgegengesetzt zu den offiziellen Informationen vom Theater, die behaupten, man müsse strategisch und logisch denken, um erfolgreich zu sein, habe ich immer mehr den Eindruck, es geht eher um die Bereitschaft, sich voll und ganz auf das Spiel einzulassen und sich eben auch mal richtig zum Affen zu machen.
Gegen Ende der 90 Minuten haben wir drei Einfluss-Karten. Allerdings sind wir nicht einer Meinung, mein Partner ist für den M-Exit, da unsere Nation vom Kohleabbau abhängig ist und wir durch neue Zölle und keine allgemeine Klima-Konvention zu einer stärkeren und reicheren Nation würden. Ich finde das moralisch verwerflich und finde, wir sollten an das Wohl aller Menschen in Ahi Guria denken. Wir sind verwirrt: Sollen wir die Rolle knallharter Profit-orientierter Diplomaten spielen oder sollen wir so handeln, wie es unserem gesunden Menschenverstand entspricht? Realistisch wäre wohl eher, an das Wohl unserer eigenen Nation, Utaria, zu denken. Somit geben wir unsere Stimmen an die Pro-M-Exit-Bewegung. Die Nationen mit dem meisten Einfluss besitzen sechs Karten, die mit dem wenigsten nur eine. Wir liegen mit unseren drei Karten im guten Mittelfeld. Zu meiner Freude gewinnen schließlich doch die Präsidentin und die M-Exit-

Gegner.
Mein Partner und ich verabschieden uns. „Hat Spaß gemacht.“. Das hat es wirklich. Es ist interessant und spannend, mal Teil eines Stücks zu sein, anstatt es nur zu betrachten, allerdings ist es bestimmt auch nichts für Jeden. Man braucht die Bereitschaft, wirklich mitzuwirken und darf nicht zu schüchtern sein. Schließlich muss man sowohl mit den Schauspielern, die fest in ihren Rollen bleiben, als auch mit seinen Mit-ZuschauerInnen agieren und kommunizieren. Zudem waren die Erklärungen am Anfang sehr sporadisch, man muss sich einfach trauen, so viel wie möglich auszuprobieren, auch wenn die Zeit für all die Optionen reichlich knapp bemessen ist. Somit ist es auch anstrengender, als „nur“ ins Theater zu gehen und sich eine bereits festgelegte Geschichte anzusehen. Der Zuschauer selbst wird gefordert und gerade die aktuelle politische Anspielung auf den Brexit verstärkt vielleicht bei dem Einen oder Anderen den persönlichen Bezug zu Politik.
„DiplomatInnen des Todes“ ist kein traditionelles Theaterstück, es ist ein interaktives Rollenspiel. Die Handlung ist sehr dünn, der Zuschauer bekommt quasi nur die Zutaten, muss sie aber selbst zu einem Gericht verarbeiten. Das kann einem Spaß machen, es kann aber auch mühsam sein. Kochen ist nicht Jedermanns Sache.
Phyllis Akalin