„Den König spielen die anderen“

(Voschaubild (c) Theater Bonn)

Im Gespräch mit dem Schauspieler Hajo Tuschy

Theatral: Du kommst ursprünglich aus Eckernförde und hast in Berlin studiert an der Ernst Busch Hochschule für Schauspielkunst. Hast du dir die Schule ausgesucht oder war das Zufall?

Hajo: Ja, ich glaube so läuft es meistens. Man wird irgendwo genommen und geht dort hin. Wenn man an mehreren Orten genommen wird, sucht man sich die vermeintlich beste Hochschule aus oder entscheidet sich für die „coolste Stadt“.

Theatral: Bildest du dir etwas drauf ein, Schauspieler zu sein?

Hajo: Nein. Ich finde, der Beruf hat auf der einen Seite etwas Außergewöhnliches, Schillerndes und auf der anderen Seite sehr viel mit deiner Außenwahrnehmung und deiner Wirkung auf andere zu tun. Die Frage ist, kann ich mir etwas darauf einbilden, wie ich von außen wahrgenommen werde? Ich finde, es ist ein toller Beruf. Ich bin dankbar dafür, dass ich machen kann, was ich mache. Wenn mir etwas gelingt, bin ich stolz darauf, dass es mir gelungen ist und freue mich, wenn mir das jemand sagt. Letztendlich bin ich auch nur ein Kind der Liebe, ich möchte von allen geliebt werden wie die anderen auch. Aber der Antrieb ist eigentlich ein anderer. Ich möchte auf keinen Fall diese „Straßen Prominenz“ sein, also, dass mich Leute ständig erkennen und ansprechen. Das stelle ich mir sehr unangenehm vor.

Theatral: Aber wenn man auf einer Party gefragt wird: Was machst du beruflich?, dann hat doch dieser Satz „Ich bin Künstler“ schon immer einen negativen Beigeschmack. Versucht man da vielleicht absichtlich selbstkritisch zu wirken, weil viele Leute automatisch denken, man wäre eingebildet?

Hajo: Ich erinnere mich tatsächlich daran, dass dieser Satz „Ich bin Schauspieler“ am Anfang sehr schwer auszusprechen war. Der Satz ist sehr klangvoll. Aber man gewöhnt sich auch an sich selbst. Ich würde sagen, Schauspieler ist vielleicht kein ganz normaler Job in dem Sinne, dass man sich den ganzen Tag mit Fantasien und Geschichten auseinandersetzt und sich überlegt, wie man die erzählen kann. Weil man sich viel mit dem eigenen Körper und dem Körper der Kollegen auseinandersetzt. Das ist natürlich kein Job wie jeder andere. Es ist aber nicht so, dass ich denke: Ey, guckt mal, was ich mache! Es ist nun mal so, dass der Schauspieler – gerade der Theaterschauspieler – gar nicht so einen großen gesellschaftlichen Stellenwert hat. Ich hab das Gefühl, der Theaterschauspieler kann nur in ganz bestimmten Kreisen jemand sein, zu dem man tatsächlich aufschaut. Da braucht es schon Menschen, die da auch den Zugang zu haben. Selbst die besten deutschen Kinofilme finden in der Regel vor einem relativ ausgewählten kleinen Publikum statt. Nicht immer, aber meistens. Ich meine, selbst wenn du in einem der besten, frequentiertesten Theater Deutschlands, meinetwegen dem Thalia Theater, auf der Bühne stehst, sieht dich trotzdem nur ein relativ kleiner Kreis von Zuschauern. Um bei einem großen Teil der Gesellschaft einen gewissen Bekanntheitsgrad zu erlangen, müsstest du Sachen machen, die einem großen Publikum zusagen. Da ist zum Beispiel der TATORT eine Möglichkeit, der oft sehr anspruchsvoll ist und bei dem einige sehr gute Kolleginnen und Kollegen regelmäßig mitmachen. Aber es gibt halt auch viele Formate, durch die man zwar viele Menschen erreicht und durch die man auch bekannt werden kann, aber es ist letztendlich nicht das, was einen anspricht.

Theatral: Gibt es denn Beispiele für etwas, was qualitativ gut ist UND ein großes Publikum anspricht? Was du machen würdest?

Hajo: Naja, ich würde wahrscheinlich nicht in einer Soap mitspielen, aber nicht, weil ich es so schlecht finde sondern, weil ich glaube, dass es ein knochenharter Job ist. Klar, den machen wir hier auch. Aber ich glaube, dass da der eigene Einfluss auf das Produkt und die Möglichkeiten sich künstlerisch auszuleben eher gering ist. Da wird meistens schnell, schnell, schnell gemacht und nicht primär auf die künstlerischen Stärken des Spielers eingegangen, sondern es geht hauptsächlich um Unterhaltung. Ich meine, wir machen das alle mal mehr, mal weniger nebenbei. Aber wenn man fest am Theater ist, was ja sehr schön ist, dann passt es ganz oft zeitlich nicht. Wir machen alle an die sechs Premieren pro Spielzeit und arbeiten praktisch durch. Kommt dann eine Anfrage , kann man nicht mal eben ein paar Wochen zwischendurch drehen. Man hat halt sehr großes Glück, wenn man ein Angebot bekommt, das man auf jeden Fall annehmen möchte. Dann muss man sich eher überlegen, ob das feste Engagement am Theater das Richtige ist oder ob man nicht eher freischaffend arbeiten sollte. Andererseits fehlt einem in diesem Fall auch die feste Laufbahn am Theater, die es einem ermöglicht, große Rollen zu spielen. Bei der zweiten oder dritten Produktion hat man ein ganz anderes Vertrauensverhältnis. Das ganze passiert dann im besten Fall auch in einer Stadt, in der du gerne deinen Lebensmittelpunkt haben möchtest und in einem Umfang, in dem du vielleicht nicht nur dich selbst sondern auch eine Familie ernähren kannst. Es sind also viele Faktoren, die da eine Rolle spielen.

Theatral: Warst du schon mal eine Zeit lang freischaffend?

Hajo: Nein. Ich war nach der Schauspielschule drei Jahre in einem festen Ensemble in der Schweiz und bin jetzt im dritten Jahr hier.

Theatral: Möchtest du es mal ausprobieren wie es ist freischaffend zu sein?

Hajo: Ja! Also hoffentlich möchte ich und kann mich selbst dafür entscheiden. Nicht, dass ich vielleicht keinen Job mehr finde oder irgendwo mein Vertrag nicht verlängert wird. Aber ja, ich kann mir schon vorstellen, dass das spannend ist, weil man nochmal andere Möglichkeiten hat, zum Beispiel an unterschiedlichen Theatern in unterschiedlichen Städten mit denselben Regisseuren zu arbeiten oder unter Umständen auch mehr vor der Kamera zu machen, was natürlich auch total reizvoll ist.

Grundsätzlich finde ich, dass es schon schön ist ein festes Ensemble zu haben. Aber am liebsten natürlich: Alles auf einmal!

Theatral: Das ist jetzt zwar eine sehr typische Frage aber dennoch: Was wärst du geworden, wenn nicht Schauspieler? Oder was würdest du morgen machen, wenn es auf einmal keine Schauspieler mehr geben würde?

Hajo: Regisseur? (lacht) Nein das kann ich überhaupt nicht sagen. Ich glaube, ich wäre damals vielleicht auch gerne Journalist geworden, aber ob ich das heute noch gerne werden wollen würde weiß ich nicht. Regie finde ich auf jeden Fall sehr reizvoll.

Theatral: Regie hast du bei „Cocaine“ auch geführt…

Hajo: Ja, beziehungsweise haben wir die Regie mehr oder minder weg gelassen und das ganze selber gestaltet. Aber in dem Szenario, in dem es auf einmal keine Schauspieler mehr gibt, kommt das natürlich nicht vor (lacht).

Theatral: Ist es nicht irgendwie seltsam, wenn man ein Stück inszeniert, in dem man selbst mitspielt?

Hajo: Also wenn ich selber in einem Ensemble mitspiele und gleichzeitig Regie führe, dann stelle ich mit das auch schwierig vor. Das habe ich aber am Theater noch nicht erlebt. Bei „Cocaine“ war es so, dass zuvor verschiedene Leute drin saßen und sich das angeschaut haben, Dramaturgen etc. Und wir beide auf der Bühne haben uns auch gegenseitig Feedback gegeben. In einem solchen Projekt muss man sich stark darauf konzentrieren, seine eigene Außenwahrnehmung zu schärfen. Immer wenn es eine Möglichkeit gibt, mir eine Rückmeldung zu holen, nehme ich die auch wahr, ich bin damit nie alleine.

Theatral: Aber ein Regisseur versucht doch, sich für seine Hauptrolle den Besten der Besten zu suchen.

Hajo: Du meinst, man muss sich dann selbst für den Besten halten? Das kommt ganz drauf an, wie gut man sich selbst einschätzen kann. Ob man sich selbst gut in diesem Vakuum betrachten kann und darum bemüht ist, eine möglichst objektive Sichtweise einzunehmen. Vielleicht merkt man einfach: Die Rolle passt perfekt zu mir. Wenn es dann am Ende nicht so ist, ist das natürlich peinlich (lacht).

Theatral: Dann ist es aber schon riskant, wenn man sich alleine auf die Bühne stellt, oder? Wenn man sagt: Ich alleine reiche aus, zwar mit einem Sitekick, aber in Prinzip mache ich die ganze Show.

Hajo: (überlegt lange) Ja, … also die Momente, in denen man an sich selbst zweifelt und mit sich hadert sind schon zahlreich. Man ist einem ganz anderen Druck ausgesetzt und viel mehr darauf angewiesen, wie andere einen von außen sehen. Aber ich würde sagen, mit jedem Stück, was man macht, lernt man mehr und mehr, was man gut kann und was man nicht so gut kann. Letztendlich kann man dann entscheiden, möchte man mehr auf das Vertrauen, was man kann oder möchte man an dem, was man nicht so gut kann, arbeiten.

Theatral: Hast du schon mal ein Projekt gemacht, wofür du dich später geschämt hast?

Hajo: Nein, nicht wirklich. Naja, ich habe mal in einem Musical mitgespielt, was ich hinterher vielleicht niemandem direkt empfehlen würde. Wenn sich jemand anschauen wollen würde, würde ich vielleicht eher versuchen, ihn in eine andere Vorstellung zu lotsen (lacht). Aber verbieten würde ich es keinem.

Theatral: Kann man nicht sogar in einer schlechten Inszenierung selbst besser glänzen?

Hajo: Nein, auf keinen Fall. Theater ist ein Mannschaftssport und ich wüsste nicht, was ich davon hätte, in einem schlechten Stück besser zu sein als die anderen. Es gibt diesen Spruch im Theater: Den König spielen die anderen. Soll heißen: Wenn in einem Stück ein mächtiger König vorkommen soll, vor dem alle Angst haben, dann kann ich natürlich versuchen diese Figur, den König, möglichst beängstigend und tyrannisch zu gestalten. Er kann einen riesigen Auftritt haben, herum brüllen und die totale Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Doch im schlimmsten Fall erreiche ich damit gar nicht das, was ich erreichen will. Im Zweifel wirkt das sogar albern und überhaupt nicht beängstigend. Wenn ich aber einen König habe, über den nur gesprochen wird auf der Bühne, über den geredet, getuschelt wird, dann erziele ich viel eher diesen Effekt. Wenn er dann kommt und nur die Hand hebt und schon alle anderen ängstlich zusammenzucken, wenn sofort alle leise sind und zur Seite gehen, dann habe ich einen absolut mächtigen König, ohne dass dieser überhaupt etwas sagen muss. Was ich sagen will ist: Theater funktioniert nur als Mannschaft.

Theatral: Man bekommt manchmal den Eindruck, Theater sei nur etwas für gut gebildete, wohlhabende ältere Menschen. Junge Leute ins Theater zu kriegen, ist nicht leicht, woran liegt das?

Hajo: Ich habe den Eindruck, dass ganz viele junge Leute, so um die Volljährigkeit herum, einen sehr konservativen Blick auf das Theater haben. Solche Dinge wie Nacktheit auf der Bühne oder einfach sehr moderne Inszenierungen stoßen sie eher ab. Daher kommt es häufig vor, dass sie, wenn sie das erste Mal mit der Schule ins Theater gehen, mal abgesehen von Kinderstücken, ein Bild vom Theater bekommen, das einen sehr realen Charakter hat. Das heißt, die erwarten oder erhoffen sich Leute in barocken Kostümen, die in sich reimenden Versen miteinander sprechen. Wenn dann etwas kommt, was diesen Erwartungen nicht entspricht, sind sie sehr überrascht, weil sie das in der Übersetzung, in der Überhöhung, die ja stattfindet, nur schwer einordnen können. Auf der anderen Seite denke ich, dass wenn das Publikum, ich sag mal deutlich älter als die Schauspieler ist, es auch häufig zu einem Missverständnis kommt. Sei es durch bildlich übersetzte Zitate oder Videoeinspielungen – Zeichen, die sie nicht dechiffrieren können. Gerade, wenn sie in einer Überhöhung verwendet werden, die nicht mehr lesbar ist, weil sie in einem anderen Kontext steht. Oft handelt es sich um einen medialen Kontext, den Leute ab einem gewissen Alter einfach nicht erkennen, weil sie sich – auch völlig zurecht und verständlich! – nicht mehr in diesem Kontext bewegen.

Theatral: Also kommt es auf die Erwartung an, die man an ein Stück hat? Sprich, ich kenne das Stück, kenne den Text, gehe in die Inszenierung, alle sind nackt und ich denke: Aber das ist doch im Original nicht so.

Hajo: Es kommt nur drauf an, ob die Übersetzung angebracht ist oder nicht. Wenn sich dann jemand aufregt, weil er die Übersetzung nicht gut findet, ist das okay. Und damit hat das Stück ja auch etwas erreicht. Ich finde, es gehört dazu im Theater auch geschockt zu werden, unterhalten zu werden. Dieser Genuss am Unangenehmen soll ja auch oft erzielt werden. Aber das setzt voraus, dass ich mich auch damit auseinandersetze, warum etwas für mich jetzt unangenehm ist. Ich selber würde mir als Theaterzuschauer wünschen, es zu schaffen, dass ich das, was mir dargeboten wird erst einmal aufzunehmen und die Wertung hinten anzustellen. Natürlich kann ich dann überlegen, was ist gut gelungen und was nicht. Ganz herunter gebrochen sehe ich auf der Bühne einen Menschen, der eine Behauptung aufstellt. Wenn ich ihm das nicht glaube, ist das erst einmal nicht wichtig, denn es ist keine authentische Situation. Was ich mir von den Zuschauern wünsche ist, dass sie sagen: Solange es mit Bemühen stattfindet, solange man feststellt, dass Menschen sich da etwas überlegt haben, ist die Frage nach dem Gut- oder Schlecht-Gelungen erst mal unwichtig. Und wenn ich einen Menschen dabei beobachte, der daran scheitert, wie er eine Aussage treffen will, kann das auch ein ganz spannender Prozess sein.

Theatral: Danke für dieses offene Gespräch!

Dieses Interview führte Camilla Gerstner

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..

%d Bloggern gefällt das: