Die AMA der Nathan-Produktion von Volker Lösch
(Vorschaubild (c) Tabea Herrmann)
Am Abend des 2. Februar bekamen wir einen exklusiven Einblick in die AMA von Nathan. AMA ist die Abkürzung für ,,Alles mit Allem“, d.h. ein erster Durchlauf des Stückes mit Kostüm, Bühnenbild, Lichttechnik, Musik usw. Dieser Artikel soll nicht einfach nur den Inhalt von Volker Löschs Produktion wiedergeben sondern, was wir euch vermitteln wollen, ist die Stimmung, der Ablauf und die Eindrücke, die wir an dem Abend erlebt haben.
Als wir den Zuschauerraum der Kammerspiele betraten, herrschte eine angespannte Stimmung. Die Probe sollte in wenigen Minuten losgehen und man traute sich kaum, ein Wort zu sagen. Die Situation entspannte sich für uns erst, als der Durchlauf mit Glenn Glotz‘ Auftritt losging. Nun hieß es für uns zurücklehnen und genießen.
Doch auf die Entspannung der Zuschauer zielt Volker Löschs Abend eigentlich nicht ab. So viel soll vorab gesagt sein: Die Inszenierung ist nichts für schwache Nerven. Schon in der noch unfertigen Version bot sie uns ein Wechselbad der Gefühle. Mal wurde man erschreckt, mal schockiert oder auch nachdenklich gestimmt. Sie fordert den Zuschauer, sowohl auf geistiger als auch auf emotionaler Ebene.
Vom Ablauf her wirkte der Durchlauf noch eher wie eine Probe: Zu Beginn lief alles sehr flüssig. Die Musik setzte zum richtigen Zeitpunkt ein, das

Licht war richtig eingestellt und die Schauspieler spielten ihre Passagen, bis auf wenige Texthänger, tadellos durch. Doch je weiter das Ganze voranschritt, desto mehr Unterbrechungen gab es. Hier und da wurde eine Szene falsch oder gar nicht beleuchtet. Einmal wurde darüber nachgedacht, ob das Lied, was eben gespielt wurde, überhaupt das richtige sei und dann waren da natürlich Szenen, die noch etwas holprig wirkten und wiederholt werden mussten. Die Holprigkeit hatte ab und zu ungewollt komische Momente. So rutschte z.B. in einem emotionalen Ausbruch einer Figur, die Perücke der Schauspielerin vom Kopf. Ein anderes Mal versuchte eine Schauspielerin, akribisch einen Degen wieder in seine Hülle zu stecken, was ihr einfach nicht gelingen wollte. Gegen Ende nahmen solche Holprigkeiten und auch die Textschwierigkeiten immer mehr zu, sodass Volker Lösch den Durchlauf beendete und zu einzelnen Szenenproben überging (bei denen wir nicht mehr anwesend sein durften).
Trotz der Ablaufschwierigkeiten, waren wir sehr beeindruckt von dem, was wir sehen durften. Uns ist jedoch eines aufgefallen: Möchte man Volker Löschs Stück voll und ganz genießen und verstehen, so ist es besser, wenn man sich vorher mit Lessings Nathan der Weise auseinandersetzt. Deswegen hier ein kleiner Klassiker-Crash-Kurs für euch:
Gotthold Ephraim Lessing – Nathan der Weise
Das Drama Nathan der Weise von Lessing spielt während des dritten Kreuzzuges im 12. Jahrhundert in Jerusalem. Als der jüdische Geschäftsmann Nathan von einer Reise zurückkommt, erfährt er, dass seine Pflegetochter Recha von einem jungen christlichen Tempelritter aus dem brennenden Haus gerettet worden ist. Dieser lebt übrigens nur noch, weil der muslimische Herrscher von Jerusalem, Saladin, ihn aus äußerlicher Ähnlichkeit zu seinem verstorbenen Bruder Assad begnadigt hatte.
Saladin befindet sich in einer finanziellen Notlage und lässt Nathan auf Rat seiner Schwester Sittah zu sich rufen, um dessen Großzügigkeit zu testen. Zuerst jedoch stellt er ihm eine Falle, um seine berühmte Weisheit zu testen und stellt ihm die Frage nach der wahren Religion. Nathan jedoch weiß über die finanziellen Nöte und die Leichtsinnigkeit des Sultans Bescheid und erkennt die Falle. Um dieser auszuweichen, erzählt er ihm das Märchen von der Ringparabel:
Ein Vater besitzt einen wertvollen Ring, der seinen Träger anderen Menschen und Gott gegenüber angenehm macht. Als Familienerbstück soll der Ring immer an denjenigen Sohn weitergegeben werden, den der Vater am meisten liebt. Es kommt nun der Zeitpunkt, an dem ein Vater alle drei Söhne gleich lieb hat. Also lässt er drei absolut gleiche Replikationen für seine Söhne anfertigen. Nach seinem Tod verklagen sich diese vor Gericht, um herauszufinden, wer den wahren Ring besitzt. Der Richter kann jedoch nicht herausfinden, welcher Ring der echte ist und erinnert die drei Söhne deshalb an die Wirkung des Rings: seinen Träger angenehm zu machen. Tritt dieser Effekt bei keinem ein, muss der echte Ring verloren sein. Der Richter gibt ihnen den Rat, dass alle drei Söhne daran glauben sollten, ihr Ring sei der echte. Ihr Vater habe alle gleich geliebt und hatte keinen von ihnen kränken wollen, indem er ihn begünstigen würden. Wenn einer von den dreien den echten Ring habe, werde sich dies in der Zukunft zeigen, weshalb alle drei danach streben sollten, die Wirkung des Rings herbeizuführen.
Der Sultan ist gerührt von der Botschaft der Gleichberechtigung der drei großen Religionen und bittet um Nathans Freundschaft. Dieser willigt ein und schenkt Saladin gleichzeitig ein Darlehen.
Anschließend führt Nathan seine Pflegetochter Recha mit dem Tempelritter zusammen. Dieser verliebt sich Hals über Kopf und möchte Recha direkt heiraten. Sein Name, Konrad von Stauffen, lässt Nathan jedoch zweifeln, was den Tempelritter verstimmt. Daja, die Gesellschafterin für Recha, erzählt dem Ritter, dass Recha nur adoptiert wäre und ihre leiblichen Eltern Christen seien. Durch diese Neuigkeiten erneut verwirrt, sucht der Tempelritter Rat beim korrupten Patriarch von Jerusalem. Obwohl er seine Anfrage als hypothetischen Fall vorträgt, will der Patriarch den Juden suchen und auf den Scheiterhaufen bringen, ohne dessen Beweggründe zu berücksichtigen.
Die aufgetauchten Aufzeichnungen eines Mönches, der Recha einst als Baby zu Nathan brachte, fördern schließlich eine große Überraschung zutage: Recha und der Tempelritter sind Geschwister, was Nathans Zögern über die Hochzeitspläne erklärt. Gleichzeitig zeigt sich, dass Recha und der Tempelritter die Kinder des verstorbenen Assads, des Bruders von Saladin, sind. Es zeigt sich die enge Verwandtschaft aller drei großen Religionen Judentum, Christentum und Islam.
Tabea Herrmann & Sofia Grillo