Friede, Freude, Wirtschaftswunder

Ein Ludwig Erhard-Abend in den Kammerspielen (19.11.15)

(Vorschaubild (c) Thilo Beu)

Haben Sie sich schon einmal gewünscht, Sie könnten Augenblicke der Geschichte mit- oder wiedererleben? Hatten Sie mal das Bedürfnis, eine Persönlichkeit der Geschichte kennenzulernen? Zu erfahren, was Menschen bewegt, was beim Treffen ihrer Entscheidungen den Ausschlag gibt?

Am 19 November 2015 lud das Theater Bonn zu einer Reise in die Vergangenheit ein: in die frühen 60-er Jahre, die Zeit der beginnenden Studentenbewegungen, der Popmusik, des „Wirtschaftswunders“. Im Fokus stand die junge Bundesrepublik Deutschland und an deren Spitze der Wirtschaftswissenschaftler Ludwig Erhard!

Gespannte Stille liegt über dem Zuschauerraum im Foyer der Kammerspiele. Man wartet darauf, dass die Zeiger der Uhr auf 19:30 rücken. Um Punkt halb acht verwandelt sich die Bühne in das Studio der ARD. Wir schreiben das Jahr 1965. Ein spannendes Ereignis beherrscht die Stunde: Die Bundestagswahlen! Der Computer, eine neumodische Erfindung, erstmals im Einsatz, brummt und rechnet. Schließlich verkündet er ein Ergebnis, das keiner so recht erwartet hat. Klarer Sieg für die CDU! Der neue Bundeskanzler wird: „…der gute Mensch vom Tegernsee. Kein Politiker sondern ein Ökonom“, Ludwig Erhard.

Gespannt warten ARD Moderatorin (Ursula Grossenbacher) und Kameramann (Benjamin Berger) auf den Mann der Stunde. Doch die beiden sind keine, wie man vielleicht denken könnte, unbedeutenden Nebenfiguren. Im Gegenteil: Ihre kritischen Kommentare und Einstellungen werden schon am Anfang deutlich, als sie klar stellen, dass viele, „allen voran Adenauer“, in Erhard als Kanzler allenfalls eine Zwischenlösung sehen.

Dann betritt Erhard (Bernd Braun) selbst Zigarre rauchend das Foyer. Mühsam meistert er den Aufgang zur Bühne. Eine schwere Kriegsverletzung am linken Fuß und ein aufgrund einer Kinderlähmung deformierter rechter Fuß erschweren ihm das Gehen und Stehen. Es ist diese Kriegsverletzung, die den gelernten Einzelhandelskaufmann nach Ende des ersten Weltkriegs an die Universität bringt und einen Wirtschaftsfachmann aus ihm macht. Erhard war vieles, aber kein Politiker, wie der kritische Zeitgeist in Gestalt des Kameramannes betont: „Der Bundeskanzler gehört zu jenen, nur scheinbar dickhäutigen und dickfelligen Pykniker-Typen, die Anerkennung brauchen.“ Getroffen hält Erhard dagegen und offenbart eines seiner wesentlichen Leitmotive: „Ich brauche die Zustimmung des deutschen Volkes. Das ist mein Lebenselixier.“ Erhard baut auf das Vertrauen, auf die Zustimmung der Bevölkerung. Er ist kein Freund von politischen Machtmenschen. Er sagt frei und rund heraus, dies sei nicht sein Stil und wenn er an der Macht bliebe, müsse sich vor allem der Stil ändern. „Gesinnung, Redlichkeit und Wahrhaftigkeit“ sind Erhards Anforderungen an einen Politiker. So möchte er dem Volk begegnen und seine Arbeit verrichten.

(c) Thilo Beu
(c) Thilo Beu

Erhard ist ein Mensch der Gegensätze. „In kleinen Kreisen kommunikationsunfähig“ verwandelt er sich vor größerem Publikum in einen charismatischen Redner. Ein Liebhaber klassischer Musik, ein verhinderter Dirigent und ein glühender Verehrer postmoderner Architektur, wie der Kanzlerbungalow beweist. Als Initiator der Währungsreform und Vater des Wirtschaftswunders sowie der sozialen Marktwirtschaft ein Mann herausragender Verdienste, aber als Kanzler glücklos. Schon im Dezember 1966 wird er gezwungen, seine Position aufzugeben. Sein Scheitern verdankte der Quereinsteiger vor allem seinen Prinzipien. Sein kollegialer Stil wurde ihm als Führungsschwäche ausgelegt.

Sein Erfolg war verblüffend, sein Scheitern tragisch. Ludwig Erhard, der Mann der Gegensätze, der Mann der Kompromisse, der „gute Junge“, die „Mutti der Nation“, der zweite Bundeskanzler der jungen Republik. Seine Amtszeit währte nur drei Jahre und doch prägte er seine Zeit und war für viele Menschen der Talisman, auf den man baute und dem man vertraute.

Fortsetzung folgt: Freuen Sie sich auf weitere Abende mit den Bundeskanzlern der Bonner Bundesrepublik Deutschland, die Sie zum Nachsinnen über vergangene Zeiten einladen!

Zusammengestellt wurde das Textmaterial für den Abend von Dramaturgin Johanna Vater, die szenische Einrichtung besorgte Regieassistentin Anais Durand-Mauptit.

Charlotte Hacker

Demnächst im Theater Bonn: Der Kanzler und sein Spion. Am 03.12 geht es um Erhards Nachfolger Willy Brandt, den ersten SPD-Kanzler der Republik (19:30Uhr im Foyer der Kammerspiele).

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