BERTHA IST ZURÜCK

Foto: (c) Matthias Jung

DIE WAFFEN NIEDER! Bertha von Suttners Roman feiert erhält neue Bühnenfassung im Schauspielhaus

In Zeiten weltweit schwelender Kriege, die kein Ende erahnen lassen, werden Klassiker der Antikriegsliteratur wieder zunehmend populär. Kürzlich erhielt „Im Westen nichts Neues“ von Erich Remarque ein Kino-Remake, nun widmet sich Katrin Plötner im Schauspiel Bonn Bertha von Suttners fast vergessenem 600 Seiten starken Roman DIE WAFFEN NIEDER!, der bis zu Remarques Durchbruch als der wichtigste Roman im Kampf gegen Krieg galt.

Bertha von Suttner hat zahlreiche Gedenkplätze, auch in Bonn trifft man sich gerne am „Bertha“, ihr Konterfei findet sich auch auf der österreichischen Zwei-Euro-Münze.

Eine Bühnenfassung des Romans gab es bereits 1893 von Hans Engler. Nun haben Plötner und Dramaturgin Sarah Tzscheppan eine neue Fassung erarbeitet, die das Drama eines halben Jahrhunderts, das mit der Schlacht bei Magenta beginnt und mit dem Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges endet, in zwei Stunden packt und mit einem feministischen Anstrich versieht.

Vergnügen und Schrecken liegen in der Welt von Martha sehr dicht beieinander. L: LYdia Stäubli, R: Anna Paula Muth. Foto: (c) Matthias Jung

Die Protagonistin Martha, eine Tochter aus einem gut situierten Wiener Adelsgeschlecht, die anfangs noch wie alle jungen Mädchen vom Krieg naiv-begeistert ist, heiratet früh den gut aussehenden GrafArno, der noch vor der Geburt ihres gemeinsamen Sohnes in die Schlacht bei Magenta ziehen muss. Wie so viele Männer kehrt er von dort nicht zurück und Martha kämpft lange, um mit dem Verlust umgehen zu können. Stolz, dass ihr Mann für das Anliegen des Volkes gefallen ist, kann sie nicht empfinden. Diese Skepsis wird im Verlaufe der Geschichte in ihr immer stärker bis sie schließlich zur Pazifistin wird.

Ihr größter Widersacher ist der eigene Vater, ein begeisterter Kriegsbefürworter, der sich nichts Ehrenhafteres vorstellen kann als für das Vaterland zu sterben. Unterstützt wird er dabei stets von dem Minister „Staatsräson“. Die intelligente Martha, die sich für allerlei Wissenschaften von Darwin bis zum Astronomie interessiert, lernt eines Tages den gleichgesinnten Tilling kennen, der ihren verstorbenen Mann kannte und später ihr zweiter Ehemann wird, der aber ebenfalls seinen Dienst in der Armee ableisten muss.

Als Tilling ins Feld zieht, reist sie ihm voller Sorge hinterher und lernt am eigenen Leib was „Krieg“ bedeutet. Dies bestärkt sie immer mehr darin, dass „der Fortschritt die Liebe zum Krieg schwinden lassen müsse“. Leider irrt sie sich hier.

Da sie Tilling im Chaos des Krieges nicht finden kann, schließt sie sich Dr. Bresser, einem Freund der Familie, an, der zusammen mit einer erfahrenen Krankenschwester und den Nonnen der Barmherzigen Schwestern versucht den Verletzten zu helfen. Doch bald sieht er ein, dass sie die meisten nur sterben lassen können. Martha überfordert der Anblick der Verletzen und Dahinscheidenden und sie reist, tief verstört, wieder nach Hause, wo kurz darauf die Cholera ausbricht und alle ihre Geschwister dahinrafft. Vor Gram über den Verlust fast all seiner Kinder stirbt dann auch noch der Vater, der in seinen letzten Zügen schließlich ausruft: „Ich hasse den Krieg!“. Eine Läuterung auf dem Totenbett sozusagen, die für Martha aber keine Genugtuung mehr in sich birgt. Am Ende versinkt alles in ein langes Schweigen.

Wie man sich denken kann, ist Suttners Roman mehr als ein zweistündiger Abend fassen kann, weshalb ordentlich gekürzt wurde. Dennoch kann man sich sich gerade gegen Ende des Eindrucks nicht erwehren, dass es noch etwas konzentrierter hätte sein können.

Hängt in den Seilen des nicht enden wollenden Krieges. Martha (Anna Paula Muth) Foto: (c) Matthias Jung

Der ganze Abend wird getragen von drei Schauspielerinnen: Anna Paula Muth, Lydia Stäubli und Kristin Steffen teilen sich nicht nur die Rolle der Martha Althaus, sondern auch alle anderen.

In einem magentafarbenen, aus elastischen Bändern bestehenden Käfig (Bühne: Bettina Pommer), in dem alle Szenen von Marthas Heim bis zum Kriegsschauplatz spielen, präsentieren sich die drei Schauspielerinnen in den (fast) nackte Frauenkörper darstellenden Ganzkörpergewändern (Kostüme: Johanna Hlawica).

Im Kontrast zu diesem geradezu schreienden und irritierenden Auftritt, bleiben die Texte in der Sprache der Zeit verhaftet, auch die Kostüme, die die anderen Rollen kennzeichnen – Zylinder, (Fett-)Wanst, Schärpe – sind der erzählten Zeit entsprechend.

Plötner inszeniert die erste Zeit der Jugend und Naivität Marthas in einer beißend klamaukigen Weise, die erst allmählich nachlässt, jedoch nie ganz das Stück verlässt. Ob das dem Thema immer gut tut, sei dahingestellt. Wenn bewusst Empörung hervorgerufen werden sollte, hat die Regisseurin diese jedenfalls bei einzelnen Zuschauer*innen erreicht, die zwischendurch das Stück verließen.

Deutlich stärker ist die Inszenierung dort, wo der Krieg in all seinen Konsequenzen und in aller Deutlichkeit zuschlägt. So erhält Martha einen Brief von Tilling, der vom Schlachtfeld erzählt, wie in einem Wachtraum marschieren daraufhin die drei Marthas mit Bändern aneinander gekettet im Gleichschritt und singen Zeilen aus Friedrich Schillers Wilhelm Tell: „Rasch tritt der Tod den Menschen an,/Es ist ihm keine Frist gegeben,/Es stürzt ihn mitten in der Bahn,/Es reißt ihn fort vom vollen Leben,/Bereitet oder nicht, zu gehen,/Er muß vor seinen Richter stehen.“ Im Hintergrund wird das Donnern von Kanonen immer hörerbarer, nach und nach stürzt eine Martha nach der anderen zu Boden (Choreographie: Hannes-Michael Bronczkowski).

Auch durch den geschickten Einsatz von Licht- und Soundeffekten (Licht: Ansgar Evers, Musik: Johannes Hofmann) kippt die anfangs etwas übertrieben ausgelassene Stimmung in ihr Gegenteil. Ein Moment, der durch Mark und Bein geht.

Das Erschütterndste des Abends sind sicherlich die verzweifelten Fragen, die Martha immer wieder stellt: Warum gibt es kein internationales Schiedsgericht? Warum rüstet man nicht ab, wenn man doch niemanden bedrohen wolle (wie die Staaten sagen)? Warum regt sich beim Volk kein Widerstand gegen die Kriegspläne ihrer Staatsoberhäupter? Die fast banale Antwort ist selbst wie ein Dolchstoß: weil man es nicht möchte. Hier zeigt das Stück die ganze Absurdität der fingierten Kriegsabsichten und wer unter ihnen zu leiden hat.

Dennoch stimmt die Balance an diesem Abend nicht ganz. Nicht nur, weil es wie bereits erwähnt eine Überflut an Ereignissen ist, die erzählt werden, eine Schreckensnachricht die nächste jagt, so dass die Zuschauer am Ende diesem Schrecken fast gelähmt gegenüberstehen, die Informationen kaum mehr aufnehmen und verarbeiten können.

Auch die Bühne macht es den Schauspielerinnen nicht einfach. Sie arbeiten sich an dem Magenta-Spinnennetz stellenweise sehr ab. Mal hängen sie wie gefangene Fliegen darin fest, mal schlüpfen und entschwinden sie durch Löcher, ziehen an den Bändern, wickeln sich ein. Das ist richtige körperliche Arbeit. Dass der Krieg alle in seinem Netz gefangen hält und dass sich bald über ganz Europa und die Welt ausbreiten sollte, versteht man intuitiv. Dazu eine Masse an Text, wechselnde Rollen und das fast ohne Pause. Dennoch dank der sehr guten Darsteller*innen funktioniert das Zusammenspiel, der Text wäre aber ggf. ohne das Ziehen und Zerren auch gut rüber gekommen.

Verschworene Gemeinschaften. L.: Kristin Steffen, R.: Anna Paula Muth Foto: (c) Matthias Jung

Zuletzt muss etwas zur Nacktheit eingegangen werden, denn diese Frage wird sich vermutlich der eine oder die andere stellen. An mehreren Stellen wird in der Inszenierung auf den Vergleich zwischen Mutterschaft und Krieg eingegangen, so ist die Geburt ein Schlachtfeld und zugleich sind Mütter die Hauptleidenden, wenn ihre Söhne im Krieg fallen (man denke hier an Käthe Kollwitz, die eine ähnliche Biographie wie Martha durchlebte). Der Frauenkörper kann mit verschiedenen Assoziationen aufgeladen sein, beispielsweise könnte er für Wehrlosigkeit oder die Zerbrechlichkeit des Lebens stehen. Um Erotik geht es nicht. Zugleich provoziert die Nacktheit, wirkt fast kämpferisch und erinnert an den Titel des Stückes „Die Waffen nieder!“ – denn ein ewiger Frieden kann nur ohne Waffen, Drohung und Gewalt erzielt werden.

Der Abend zwingt zum Nachdenken, denn er hat eine klare Botschaft, viele Informationen, die über Bertha von Suttners Zeit hinausgehen, starke Schauspielerinnen und beeindruckende Szenen. Er hat aber auch die genannten Schwächen, die man aber um des Friedens willen und um Bertha von Suttners Werk zumindest in Teilen kennen zu lernen, wohlwollend hinnehmen sollte.

Rebecca Telöken