VON MÄUSEN UND MENSCHEN feiert Premiere im Schauspielhaus
Dass Regisseur Simon Solberg ein besonderes Faible für den Wilden Westen und Country-Songs hat, sah man vergangenes Jahr in seiner gelungenen Inszenierung THE BROKEN CIRCLE.
Jetzt wandte er die erfolgreiche Mischung erneut bei John Steinbecks VON MÄUSEN UND MENSCHEN an.
Verglichen mit JENSEITS VON EDEN (2015 in Bonn, Regie: Alice Buddeberg) ist VON MÄUSEN UND MENSCHEN (vom Seitenumfang) ein Fliegengewicht, das jedoch in komprimierter Form viele auch heute noch relevanten Gesellschaftsthemen anspricht, ohne sie stundenlang auswalzen zu müssen. Die Welt im Mikrokosmos einer Farm in den Südstaaten, auf der die beiden Freunde George (Paul Michael Stiehler) und Lennie (Daniel Stock) anheuern, um sich ihren Traum vom eignen Hof erfüllen zu können. Die Zeiten sind schlecht, eine Dürre zwingt die Männer als Wanderarbeiter durchs Land zu reisen und für immer weniger Lohn die gleiche Arbeit zu erledigen. Diese Aspekte werden im Buch nicht explizit erwähnt, doch Solberg und sein Team (Dramaturgie: Nadja Groß) möchten die Themen Emigration und bzw. wegen Naturkatastrophen hervorheben. Eigentlich müssen die beiden nur so viel durch die Gegend ziehen, weil Lennie, der zwar von Herzen gut, aber geistig auf dem Stand eines Kleinkindes ist, George ständig Ärger macht.
Auf der Farm treffen sie auf eine Reihe von Arbeitern, darunter Carlson (Timo Kählert), Slim (Janko Kahle) und Candy (Wolfgang Rüter). Letzterer hat einen alten Hofhund, der von Carlson erschossen wird, weil er niemanden mehr nützlich ist. Candy, der eine lahme Hand hat, befürchtet ebenso zu enden und schließt sich George und Lennie kurzerhand an, als er von ihrem Traum einer eigenen Farm erfährt.
Das Farmleben könnte soweit ruhig verlaufen, wären da nicht Curley (Max Wagner), ein hitzköpfiger Boxer und Sohn des Chefs und dessen Frau (Julia Kathinka Philippi). Die beiden machen auf ihre je ganz eigene Art den Arbeitern zu schaffen. Curleys Frau leidet unter der eifersüchtigen Art ihres Mannes, der sie nie ausgehen lässt, sich aber auch sonst wenig um sie zu kümmern scheint. Zugleich stichelt sie die Arbeiter und ist arrogant, weil sie der Auffassung ist, dass sie eigentlich ganz woanders sein sollte. Auch hier baut Solberg noch ein Detail ein, das in der Vorlage nicht auftaucht: eine ungewollte Schwangerschaft, die mit dem Tod des Kindes endet. Vielleicht sollte so mehr Empathie für Curleys Frau hervorgerufen werden, da sie eigentlich kein wirklich sympathischer Charakter ist. Es werden von Solberg aber auch Szenen gestrichen bzw. ein Charakter weggelassen. Dazu zählt der schwarze Arbeiter Crook, der eigentlich das Rassismusproblem angesprochen hätte, welches aber in dieser Bühnenversion nicht zur Sprache kommt. Seine wichtigsten Texte werden von Curleys Frau übernommen, wodurch ihre Figur nicht nur mehr Text, sondern auch mehr Charakterfacetten erhält, mit denen Philippi spielen kann. Thomas Rothschild von der Nachtkritik vermutet, dass durch die Streichung der Rolle des Crooks die Blackfacing-Debatte umgangen werden sollte. Ob es nun dieser Grund oder andere gute Gründe gab, ein bisschen Schade ist es dennoch, da möglicherweise der Rassismus durch die Kriegs- und zukünftig sicher auch die Klimawandelflüchtlinge wieder beunruhigende Züge annehmen kann. Erste Vorboten finden sich immer wieder in den Nachrichten.

Stattdessen wird viel gesungen, begleitet von einer exzellenten dreiköpfigen Live-Band (Philip Breidenbach, Joonas Lorenz, Samuel Reissen). Die Kombination aus einer großen aus mehreren Strahlern bestehenden Sonne, die unermüdlich auf- und untergeht und der melancholisch-verzweifelten oder auch wütenden im Country-Style arrangierten Songs sind an vielen Stellen gut eingesetzt. Allerdings erging es zumindest der Autorin so, dass irgendwann der Eindruck entstand, man singe fast so viel wie in einem Musical, in dem jede Emotion von einem Lied begleitet wird. Das ist nicht per se schlecht, störte aber mitunter das durchaus bemerkenswerte Spiel der Schauspieler*innen. Daniel Stock machte eine besonders gute Figur, indem er den fragilen und fast hilflosen Lennie so unbedarft darstellt, dass man ihm selbst den Totschlag an Curleys Frau nicht richtig übelnehmen kann. Umso transparenter schildert sich damit auch Georges innere Zerrissenheit, als er die Entscheidung treffen muss, ob er seinen Freund töten soll, bevor die aufgebrachten Arbeiter es tun. Zurecht wird an den alten Hund erinnert, aber muss dafür auch noch einmal ein Song eingespielt werden?
Dennoch: Solberg erschafft mit einfachen Mitteln wie gefühlt hunderten von leeren Holzkisten, einem körnigen unfruchtbaren Untergrund und der unbarmherzigen Sonne (Licht:Thomas Tarnogorski) sowie passenden schlichten Kostümen (Annika Garling), die vielleicht sogar an Strafanzüge erinnern mögen, die Illusion einer unbarmherzigen Welt, in der für Hoffnungen eigentlich kein Platz ist, in der aber alle Menschen sich große und kleine Hoffnungen machen. Denn ohne Hoffnung, wäre jede Anstrengung völlig sinnfrei. Die wahrscheinlich stärkste Botschaft Steinbecks, ob er aber an dieser bis zum Ende festhält oder ob Solberg bis zum Ende an ihr festhält, muss der Zuschauer selbst entscheiden.
Ein zwiespältiger Abend zwischen Standing Ovations und nachdenklichen Gesichtern.
Rebecca Telöken

