Karin Duve liest aus ihrem neuen Roman über die junge Annette von Droste-Hülshoff
– Eine späte Nachlese –
Was verbindet der heutige Mensch mit dem Namen Annette von Droste-Hülshoff? Viele Schüler lesen in der Mittelstufe das bekannteste Werk der Droste „Die Judenbuche“, aber nur wenige wissen über das Leben der Dichterin Bescheid. Häufig wird sie als sehr fromm, zurückgezogen, ja beinahe langweilig charakterisiert. Doch dieser Eindruck mag täuschen, denn auch diese große Dichterin (wobei noch weniger ihre Gedichte kennen) war einmal jung und kämpfte mit den Tücken der ersten Liebe und der damaligen gesellschaftlichen Konvention. Doch was genau in dem verhängnisvollen Sommer 1820 zwischen Annette und zwei Verehrern geschehen ist, kann heute niemand mehr eindeutig rekonstruieren, da Annettes Verwandtschaft vorsorglich alle schriftlichen Zeugnisse vernichtet hatte. Diese Wissenslücke möchte ein Roman nun füllen.
Das Foyer mit der kleinen Seitenbühne war am 5.3.2019 fast bis auf den letzten Platz gefüllt. Die Ankündigung der Parkbuchhandlung hatte wohl viele Lesefreunde neugierig gemacht.Karin Duve, eine schon seit mehreren Jahren erfolgreiche Schriftstellerin, deren Romane nicht nur verfilmt, sondern teilweise auch für die Bühne adaptiert wurden, wirkte sichtlich entspannt und freute sich offenkundig auf den Abend.
Die Besitzerin der Parkbuchhandlung, Barbara Ter-Nedden, moderierte den Abend und war begeistert, dass sich sogar eine Haxthausen, die allerdings darauf bestand, keine geborene Haxthausen zu sein, im Publikum eingefunden hatte. Die von Haxthausens gehörten zu der Verwandtschaft Annettes, auf deren Gut sie zu Besuch war und auf dem sich die Ereignisse des Sommers hauptsächlich abspielten. Ohne Annettes Onkel August wäre die Ménage-à-trois sicher niemals zustande gekommen.
Als Karin Duve begann, aus ihrem Roman vorzulesen, wurden schnell einige Dinge klar: sie benutzt keine veraltete Sprache, um den Schein einer längst vergangenen Zeit heraufzubeschwören, was eine angenehm lockere Stimmung beim Zuhören und Lesen erzeugt. Zugleich streut sie aber immer wieder typische Wörter, die aus erhaltenen Briefen belegt sind in den Text ein. So „flügelt“ Annette, wenn sie Klavier spielt und ihre Verwandten schimpfen immer auf die Philister, ein damals übliches Wort, um Menschen zu bezeichnen, die weder Ahnung von Kunst noch von Ästhetik hatten. Besonders gelungen sind die Textstellen, in denen Annette ihre spitze Zunge benutzt und ihre Verwandtschaft damit regelrecht zur Weißglut treibt.
Obwohl der Roman keine Tatsachenschilderung sein kann, weil eben alle Briefe vernichtet wurden, so zeigt das sehr lange Quellenregister Duves akribische Beschäftigung mit Annettes Leben. Duve sagte, sie hätte versucht, sich selbst ein psychologisches Bild der Situation zu machen, durch Andeutungen in noch vorhandenen Dokumenten, die von Annettes Verwandten oder ihr selbst bis heute existieren. Natürlich bleibt es dennoch Fantasie, aber sie wirkt nicht so weit hergeholt.
Am Ende des Abends wurde viel gelacht und bei der Signierstunde nahm sich Duve für jeden viel Zeit und hielt kleine Plausche, wodurch sie wahres Interesse an ihren Lesern bekundete.
Sollte also Interesse bestehen, neben der Pflichtlektüre etwas leichtere Kost in das Klassenzimmer zu bringen und zugleich die Zeit des frühen 19. Jahrhunderts aufleben zu lassen, wären Lehrer wie Schüler sicher „hellauf begeistert“.
Rebecca Telöken