„Ich kann nicht mehr!“

 

Zwischen „Erbsen“, „Beschäftigung“ und „Zalando“

(Vorschaubild (c) Thilo Beu)

Das neue Stück Woyzeck feierte am 28. Februar Premiere in der Schauspielhalle Beuel und teilte die Meinungen der Zuschauer.

Eigentlich klingt die ursprüngliche Handlung des Fragmentes Woyzeck von Georg Büchner zunächst gar nicht so spektakulär. Ein weiterer gesellschaftskritischer Stoff eben, bei dem sich die Hauptfigur Franz Woyzeck in die Gewalt eines wissenshungrigen Arztes begibt. Alles um seinen kläglichen Lohn, welchen er als Bursche bei seinem Hauptmann verdient, aufzustocken, um so seiner Frau Marie ein besseres Leben zu ermöglichen. Der Soldat wird nicht nur an seinen beiden Arbeitsplätzen auf allen Ebenen gedemütigt – nein, selbst Marie, mit der er ein uneheliches Kind hat, vergnügt sich derweil mit dem gutaussehenden Tambourmajor. Als Woyzeck dies schließlich herausfindet, ersticht er sie am Ufer eines Sees.

In der neumodisch ausgerichteten Inszenierung ist die erste, zunächst vielleicht seltsam wirkende, Besonderheit das aufwändig zusammengebastelte Bühnenbild (Maike Stoff).

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(c) Thilo Beu

Es wirkt wie ein Dschungel: Pflanzen stehen herum, der Boden ist mit Wasser geflutet, dazu hängen – völlig deplatziert wirkend – Fernseher und große Leinwände über der Szenerie. Ein Baumhaus gibt es und auf einer Anhöhe steht ein Schreibtisch, über dem der Spruch „Der deutschen Wirtschaft“ prangert. Das Wasser ist das alles einnehmende Element, weshalb mit Wasserspritzern gerechnet werden muss, aber das Theater hat vorgesorgt: Die erste Reihe findet auf ihren Plätzen einen Regenschutz vor.

In dieser interessant gestalteten Kulisse hat zunächst jede Figur ihren eigenen, sich selbst charakterisierenden Platz. Marie(Maike Jüttendonk) befindet sich größtenteils in einem maroden Haus auf der rechten Seite der Bühne, während Woyzeck (Serkan Kaya) in seinem in der Mitte aufgestellten Laufrad unter ständiger Beschäftigung steht, ein Wort das dem Publikum überall entgegenschreit: Sowohl in Form von immer wiederkehrenden Echos als auch von den Wänden, die mit den wichtigsten Schlagwörtern des Dramas bemalt wurden.

Der Hauptmann bzw. die Hauptfrau (Laura Sundermann) überwacht das Geschehen von ihrem Schreibtisch aus, vernetzt mit auf großen Leinwänden projizierenden Kameras in Richtung der Zuschauer, wodurch ein jeder die Überwachung am eigenen Leib spüren kann.

Robert Höller spielt den Tambourmajor und Woyzecks Freund Andres. Letzterer sitzt mitunter in seinem Baumhaus auf der linken Bühnenhälfte und klagt über die Ausbeutung der einfachen Leute. Dabei weiß er aber, dass seine Bemühungen keine Wirkung zeigen werden und resigniert, indem er einfach nichts mehr tut.

Der Arzt (Hajo Tuschy) füttert währenddessen Woyzeck mit Erbsen und wandelt unbeteiligt durch die Zuschauerreihen.

Die Kostüme der einzelnen Figuren weisen auf den ersten Blick eine unverkennbare Ähnlichkeit auf. Mittels schwarzer Farbe wurden die bedeutungsvollsten Wörter des Stückes auf die Tops, wie auch in Form von Tattoos auf die Haut der Darsteller geschriebenen. Jedoch zeigt eine jede Figur eine zusätzlich individuelle Note durch einen besonderen im Kostüm (Julia Phillippi) vermerkten Akzent, wie beispielsweise ein Ballettröckchen bei Marie.

Man könnte nun bei so viel Medienaufladung fragen:Wo ist das Stück? Es ist überall, durchdringt den Zuschauer, er kann gar nicht entfliehen, denn von allen Seiten wird er von den Schlagworten des Stückes erdrückt. Die wichtigsten Dialoge und Zitate werden fast zermürbend oft wiederholt.

Zudem spielen die drei großen Themen Wissenschaft, Wirtschaft und Kapitalismus auch bei Woyzeck eine Vorreiterrolle. Stark an die heutige Zeit angelehnt, wird vor allem mithilfe des Aspektes „Konsum“ das eigentlich unantastbare System in Frage gestellt. So ertönt der berühmte „Zalando- Schrei“ seitens Maries und besagter Irrenarzt verwandelt sich zum Erbsen vermarktenden „Showmaker“, mit Kamera und Live- Übertragung.

Die schillernde Welt der Medien auf der einen Seite, auf der anderen Seite der vor Burnout wahnsinnig werdende Woyzeck: „Ich kann nicht mehr!“, ruft er immer wieder seinen Arbeitgebern entgegen, wird aber einfach nicht gehört. Sehr passend werden, um Woyzecks emotionalen Zusammenbruch zu unterstreichen, Zitate aus Büchners Tagebüchern vorgetragen. Darin finden sich Stellen, die den Empfindungen Woyzecks verdächtig gleichen. Zweiffelos eine Krankheit unserer Zeit – und somit eine erschreckend perfekte Parodie: Ein sich penetrant spannend wiederholender Teufelskreis, in dem sich das Publikum an manchen Stellen selbst ertappt, was ein verlegenes Lächeln auf manchem Gesicht bezeugt.

Allgemein bringt das Schauspielensemble alle Rollen im vollen Maß überzeugend rüber. Besonders Laura Sundermann (der Wahnsinn hinter der Kamera) und Maike Jüttendonk (das personifizierte Wechselbad der Gefühle) spielen sich emotional in Ekstase. Serkan Kaya verkörpert nach außen den gebrochenen Woyzeck sehr gut, nur akustisch ist er nicht immer ganz gut zu verstehen. Hajo Tuschy weiß in der Rolle des Arztes sowohl mit charmanter Ausstrahlung das Publikum anzusprechen als auch den irren Arzt zu geben. Obwohl die Rollen des Andres und des Tambourmajors dramaturgisch weniger stark angelegt waren, schenkt Robert Höller ihnen durch sein energisches Spiel Beachtung und Tiefe.

(c) Thilo Beu
(c) Thilo Beu

Simon Solberg (Regie), bekannt für seine extravaganten Ideen, kreiert in Zusammenarbeit mit Jens Groß (Dramaturgie) eine zum Nachdenken anregende Inszenierung nach (!) Büchner. Es wird auch auf die Zukunft der Halle Beuel angespielt: „Dann ist so eine Halle wie diese mal ebenso weg!“, heißt es deswegen kurz vor dem tragischen Ende der Vorführung.

Die Inszenierung lebt vielleicht nicht so sehr durch seinen Text, wie es sich mancher Büchner-Verehrer wünschen würde, aber sie lebt von der Idee, dass die Vorlage Fragmente sind, die wahrscheinlich nie einhundertprozentig richtig zusammengesetzt werden können, die aber zeigen, wie sich manches verändern kann, wenn man etwas hinzufügt oder weglässt, wenn Texte vertauscht oder in unterschiedlichen Stimmlagen gesprochen werden. Immer wieder werden die prägnantesten und verstörendsten Stellen aus Woyzeck rezipiert. Nicht unbedingt von der Figur, die sie ursprünglich spricht, was jedoch einen immer neuen Blickwinkel auf Opfer und Täter zulässt. Bis schließlich alle Opfer und alle Täter sind. Wenn inmitten der ganzen Aufregung dieser anarchischen Stimmung, in der zirkusgleich gelacht, gespielt und betrogen wird, es plötzlich ruhig wird, scheint schon fast etwas nicht zu stimmen und tatsächlich führt die Ruhe nicht zu einer Beruhigung der angespannten Lage. Ein Hoffnungsschimmer? Nein, sie leitet nur das nächste Unglück ein, bis schließlich die Katastrophe passieren muss und man fragt sich: wann ist es bei uns soweit.

Kim Sterzel & Rebecca Telöken

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