Ein Dialog zwischen Beethoven Orchester und Schauspielensemble: Mit einer neuen Fassung von Homers „Odyssee“ als Sprechoper gibt Hausregisseur Simon Solberg auf der Bühne des Schauspielhauses Bad Godesberg den Ton für die Spielzeit 2025/2026 an – eine Uraufführung.
Das Licht im ausverkauften Saal erlischt, die Spannung bei der ersten Schauspielpremiere der Spielzeit war deutlich spürbar. Nach wenigen Sekunden bewegt sich etwas im tiefen Mulch, der auf der Bühne verteilt ist. Plötzlich reckt sich ein Arm in die Höhe, dann noch einer, gefolgt von Köpfen und Körpern. Doch das, was hier wiederaufersteht, sind keine Zombies aus einem Horrorstreifen. Vielmehr handelt es sich um Homers Heldenfiguren, die zum Leben erweckt werden, um mal wieder das Licht der Scheinwerfer zu erblicken. Ihre Mission? Die „Odyssee“ im Jahr 2025 zu erzählen.
Zur Erinnerung: In den 24 Gesängen der „Odyssee“ erzählt Homer die Abenteuer des griechischen Helden Odysseus (Glenn Goltz). Er war einer der führenden Akteure im Kampf um Troja und möchte nun zurück in sein Königreich Ithaka reisen zusammen mit seinen Gefährten (Timo Kählert, Alois Reinhardt). Aufgrund verschiedenster Umstände braucht Odysseus ganze zehn Jahre. Seine schöne Frau Penelope sitzt derweil mit ihrem Sohn Telemach in Ithaka und wartet auf die Rückkehr ihres Gatten.

Besonders viel Platz in der Bonner Inszenierung bekommt die Familie des Helden: Odysseus’ Frau Penelope (Julia Kathinka Philippi), die gegen die Freier ankämpfen muss, die den Platz ihres Mannes einnehmen wollen, und sein Sohn Telemach (Christian Czeremnych), der nach seinem ihm so gut wie unbekannten Vater sucht.
Auf der Bühne des Schauspielhauses vertreten Homers Figuren während ihrer Odyssee eine sehr gegenwärtige Perspektive, als hätte man sie dazu aufgefordert in ihrem eigenen Dreck zu wühlen, bzw. über die Begebenheiten und Hintergründe der Erzählung noch einmal nachzudenken. Abgesehen von Odysseus sind die Schauspieler*innen dabei in unterschiedlichen Rollen zu sehen: Odysseus ist hier übrigens nicht der gefeierte und listige Held, sondern ein Tyrann, der seine eigenen Gräueltaten praktischerweise auf der Bühne demonstriert, indem er sie begeht und dabei mit der Überzeugung eines Heldentenors auftritt. Beim ständigen Rollenwechsel helfen die minimalistischen Kostüme (Ines Bursch, Tanja Mürlebach), die ganz in schwarz gehalten sind und die durch farbige, gestrickte Kostümteile ergänzt werden. Das Ensemble kann sich diese Strickteile leicht im Spiel überstülpen.
Passend zu den Kostümen präsentiert sich die Kulisse des Epos als düstere Arena der Antike: Die weißen verzierten Säulen im hinteren Teil der Bühne (Simon Solberg) und der prunkvolle Kronleuchter erinnern an die glorreichen Zeiten der Helden. Im Kontrast zu den Palastelementen steht der Mulch, mit dem der Boden der Bühne fast komplett bedeckt ist. Außerdem hängen Stofftücher und Schnüre von der Decke herab. Ergänzt wird das dystopische Schlachtfeld durch futuristische Elemente, wie eine Reihe von kleinen Scheinwerfern in einer Reihe, die an die Lampen eines Raumschiffs erinnern. Sie erleuchten nicht nur den Dreck auf dem Boden von Homers Palast, sondern heben mit ihrem Licht auch das schwarze Podest hervor, welches in der hinteren Bühnenmitte aufgebaut ist. Auf ihrem erhöhten Platz spielen hier die Musiker*innen des Beethoven Orchester Bonn und thronen mit ihren Instrumenten über dem Geschehen.
Denn die Musiker*innen sind bei Weitem keine menschlichen Requisiten in Solbergs Inszenierung. Das Beethoven Orchester und vor allem die nuancenreiche Komposition von Ketan Bhatti spielt als Protagonist mit, alterniert und harmoniert mit dem ausdrucksstarken und dynamischem Sprechgesang des Ensembles. Mit Feingefühl, dirigiert von Generalmusikdirektor Dirk Kaftan, sorgen die Musiker*innen für die akustische Untermalung der „Odyssee“ und geben gleichzeitig mit viel Tempo einen Rhythmus vor, der das Publikum durch das Epos hindurchführt, und dabei hilft, am Ball zu bleiben. Zudem schafft es der Einsatz des Orchesters an den richtigen Stellen, im wahrsten Sinne des Wortes, Dissonanzen aufzuzeigen, und musikalisch abzubilden, was nicht vom Ensemble gesprochen wird.
Nicht nur die akustischen Bilder überzeugen in dieser Inszenierung: Auch visuell ergeben sich viele spannende, wenn auch abstrakte Analogien (Dramaturgie: Jens Groß). Wie die Kostüme sind die Mittel im Bühnenbild dabei multifunktional und einfach. Es wird deutlich, wie symbolisch die Inszenierung gedacht ist: Die Stofftücher, die von der Decke hängen, werden vom Ensemble im passenden Licht (Thomas Tarnogorski) als Ruder auf Odysseus’ Schiff verwendet und dienen auch als Schaukeln für die Freier im Palast in Ithaka. Die gestrickten Kostümelemente werden um Bänder und Schnüre ergänzt, die zum Bühnenbild gehören. Sie sind ein zentrales Motiv auf der Bühne. So sind es beispielsweise die Freier, die sich gierig an den Fäden von Penelopes Kostüm bedienen, um sich ihrer zu bemächtigen und es ist Penelope selbst, die sich mit einem dieser Fäden die Hände fesselt, um ihre innere Notlage zu verdeutlichen. Die Bänder der Inszenierung zeigen, wie sehr beide Perspektiven „miteinander verstrickt sind“, wie die Schicksale der Figuren „miteinander verwoben sind“ und welche Geschichten man sich „zusammenstricken“ kann.
Homers Epos, der im Schauspielhaus teilweise doch an die Fanstasiewelt der Percy Jackson-Filme erinnert, wurde hier visuell und akustisch sehr stark untermalt inszeniert. An manchen Stellen heißt es dabei leider eher Reizüberflutung vor Verständnis: Die reflektierte Heldengeschichte verliert sich etwas zu sehr in den Bildern und dabei den Roten Faden aus den Augen. Dennoch waren Odysseus’ Abenteuer mit 90 Minuten angenehm kurzweilig und durch die Reflexionsfähigkeiten der Figuren überraschenderweise sehr aktuell angelegt. So wie die Helden von Homer in ihrem eigenen Dreck die Odyssee nachspielen, bzw. begleitet durch das Beethoven Orchester nachsprechen, so hat Solberg die inszenatorischen Möglichkeiten des Abends durchgespielt. Diese Odyssee war anders und eine Reise nach Bad Godesberg wert gewesen.
Hinweis: Das Stück wurde ausschließlich im September gezeigt.
Kim Sterzel

